Ohne Druck nach Peking

Snowboard-Doyen Andreas Prommegger fährt zu seinen fünften Olympischen Spielen – und das sportlich so relaxt wie nie. Er muss dank seiner großen Erfolge niemandem mehr etwas beweisen und hat durch die Krebserkrankung seiner Frau hautnah erfahren, worauf es im Leben wirklich ankommt.

Aus mentaler Sicht könnten die Voraussetzungen nicht besser sein. „Ich kann gar nicht enttäuscht aus China zurückkommen“, sagt Andreas Prommegger. Das Salzburger Snowboard-Ass, seit vielen Jahren fixer Bestandteil des Teams der Raiffeisen-Sportler, blickt auf eine Karriere zurück, die jetzt schon alle Erwartungen übertroffen hat. „Ich sitze gerade neben meinem Trophäenschrank. Dort sind sieben Kristallkugeln, zwei WM-Trophäen und unzählige Medaillen drin. Selbst wenn ich wieder ohne olympisches Edelmetall zurückkomme, würde ich meine Laufbahn nicht als unvollendet ansehen.“

So spricht jemand, der mit sich und seiner Karriere im Reinen ist. Dabei könnte man durchaus meinen, der 41-Jährige hätte mit Olympia eine Rechnung offen. Denn bei allen sonstigen Erfolgen – seine Ausflüge zu den Spielen waren bis dato nicht gerade von überschwänglichen Glücksgefühlen begleitet. „Kann man wohl sagen. Oft musste ich erfahren, wie schwer es ist, mit der Favoritenrolle umzugehen und dem irrsinnigen Druck, der auf einem lastet, standzuhalten.“ Was ein Streifzug durch die vier bisherigen Teilnahmen zeigt:

Turin 2006: „Einfach nur cool“, erinnert er sich an seine ersten Spiele. „Selbst als ich in der ersten Runde verloren habe und ausgeschieden bin, war ich froh, mir diesen Traum erfüllt zu haben. Ich wusste, dass es Teil eines Lernprozesses ist und habe die Atmosphäre genossen.“

Vancouver 2010: „Von allem Drum und Dran meine schönsten Spiele, die Stimmung war einzigartig. Dort habe ich den olympischen Spirit erlebt“, sagt er. Dass er erneut in der ersten Runde die Segel streichen musste, wurmte ihn dort schon mehr als noch vier Jahre zuvor. „Benjamin Karl und ich hatten im Vorfeld alle Rennen gewonnen, ich gehörte zum Favoritenkreis. Da war die Enttäuschung schon groß.“

Sotschi 2014: „Der Hang war extrem vereist, ich hab mich in der Qualifikation schon schwergetan. Immerhin kam ich diesmal über die erste Runde hinaus und wurde am Ende Achter – mein bislang bestes Ergebnis bei Olympia.“

Pyeongchang 2018: Nach seinen beiden WM-Titeln 2017 war auch hier die Favoritenrolle für Andreas Prommegger reserviert. Doch diesmal schlug der Verletzungsteufel gnadenlos zu. „Zwei Tage vor dem Rennen schoss es mir in die Lendenwirbel ein, ich konnte einen Fuß kaum belasten. Zurück in Österreich stellte sich heraus, dass es ein kleiner Bandscheibenvorfall war.“ Unter diesen Voraussetzungen war Rang zwölf ohnehin das Höchste der Gefühle.

Dass auch Olympia in Peking unter besonderen Vorzeichen zu betrachten ist, steht außer Frage. Vor allem die berühmte C-Frage machte ihm im Vorfeld absolut zu schaffen. „Ab einem gewissen Zeitpunkt weißt du: Wenn dich jetzt Corona erwischt, kannst du den Höhepunkt, auf den du vier Jahre lang hingearbeitet hast, abhaken. Das kostet Nerven!“ Die Kinder wurden sicherheitshalber aus der Schule genommen, alle Vorsichtsmaßnahmen wurden doppelt und dreifach eingehalten, Prommegger hat sich so gut es ging isoliert. Keine einfache Situation für den Mann, der immer schon betonte, dass die Familie das Wichtigste für ihn sei.

Doch in dem Punkt gab es für ihn eine Prüfung, die ohnehin alles andere in den Schatten stellte. Denn seine Frau Susanne erkrankte im Herbst 2020 an einer aggressiven Brustkrebsvariante, eine Diagnose, die das Leben der Familie von heute auf morgen auf den Kopf stellte. „Plötzlich sind die Prioritäten anders verteilt, es geht nur noch darum, wieder gesund zu werden. Das war eine extreme Prüfung, die unsere Familie total zusammengeschweißt hat“, erzählt Andreas Prommegger, dem die wichtigsten Trainingsmonate vor der Saison abhandenkamen. Sein Sport erfüllte in dieser Phase eine wichtige, wenn auch gänzlich andere Funktion. „Es ging nicht mehr ums Gewinnen. Es ging darum, beim Snowboarden den Kopf abschalten und die Batterien wieder aufladen zu können, damit ich zu Hause wieder richtig funktioniere. Denn dort wartete ja meine wichtigste Aufgabe.“

Mittlerweile ist seine Frau auf einem guten Weg, „der aber noch nicht zu Ende ist“, sagt er. Das Paar ging mit der Diagnose bewusst in die Öffentlichkeit, um Frauen auf die Wichtigkeit von Vorsorgeuntersuchungen hinzuweisen, denn: „Wenn nur eine von zehn Frauen dadurch gerettet werden kann, ist schon viel gewonnen. Man darf die Gefahr nicht unterschätzen.“ Wichtig sei in solch einer Phase, positiv zu bleiben und sich nicht unterkriegen zu lassen. Dass er in der vergangenen Saison am Ende trotz allem Weltcup-Zweiter und Vizeweltmeister wurde, ist mit den gängigen Maßstäben nur schwer zu bewerten. „Das konnte wirklich niemand erwarten.“

Nur logisch, dass man sich mit so einer Geschichte im Gepäck leichter von sportlichen Erwartungen freimachen kann. Was auf der anderen Seite natürlich nicht bedeutet, dass Prommegger nicht trotzdem alles in seiner Macht Stehende unternimmt, das Edelmetall abzugreifen. Doch gerade in dieser Saison gibt es bei den Spitzenathleten eine unfassbare Dichte, die Entscheidung, wer es in die nächste Runde schafft, liegt oft im Hundertstelbereich. „Einmal die Hand an der falschen Stelle rausgestreckt, und du kannst weg sein. Auf der anderen Seite bedeutet es aber auch, dass für viele Sportler eine Medaille möglich ist. Da kann meine Routine auch hilfreich sein.“

Ein großer Trumpf. Denn als der Salzburger zu Saisonbeginn in Russland einen Weltcupsieg holte, war es nicht nur der 20. seiner Karriere – Rekord aller aktiven Fahrer. Es war auch das Statement, dass zwischen seinem ersten Sieg 2008 und seinem bis dato letzten fast unglaubliche 14 Jahre liegen. „Die Konstanz, über so einen langen Zeitraum zur Weltspitze zu gehören, macht mich schon stolz. So etwas schaffen nur die wenigsten Sportler.“

Eines ist allerdings jetzt schon fix: Peking werden die letzten Olympischen Spiele für ihn sein, „da fährt die Eisenbahn drüber“. Aber ist es auch das Ende dieser einzigartigen Karriere? So weit will sich Andreas Prommegger dann doch nicht aus dem Fenster lehnen. „Ich schließe es nicht aus, will mich aber auch nicht festlegen“, sagt er. „Warten wir einmal das Ende der Saison ab, dann entscheide ich mit etwas Abstand in Ruhe.“ Auch hier gilt: Die mentalen Voraussetzungen, ohne großen Druck die für ihn richtige Entscheidung zu treffen, sind nahezu ideal. Olympia hin oder her.

AusgabeRZ05-2022

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