Barrierefreiheit als Kunstform

Es ist eine große Herausforderung für sämtliche Kultureinrichtungen, der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gerecht zu werden. Das Barrierefreiheitsgesetz soll Bühnen ermuntern, den Zugang einfacher zu machen. Ein Überblick über Erfahrungswerte und Erkenntnisse.

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Wenn man sich die Webseiten der diversen Theaterhäuser in Österreich ansieht, dann wird man in der Regel recht schnell auf den Menüpunkt „Barrierefrei“ aufmerksam und kann dort einige spezifische Nutzungsangebote für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen lesen. Dieses Engagement geht auf den Artikel 30 der UN-Behindertenrechtskonvention zurück, der das Recht von Menschen mit Behinderungen in einen menschenrechtlichen Begründungszusammenhang stellt, gleichberechtigt mit allen Menschen am kulturellen Leben teilnehmen zu können. Wie aber kann diese Teilhabe sichergestellt werden, wenn man nicht gerade ein Bundestheater ist, sondern ein „freies“ Theater? 

Schauen wir zunächst einmal zu den barrierefreien Angeboten beim Burgtheater Wien, das das Theatererlebnis „vor, hinter und auf der Bühne inklusiver und zugänglicher gestalten“ möchte, sei es bei der „Barrieresensibilität“ für Rollstuhlnutzer oder der Hörverstärkung, die mittels einer speziellen Radiofrequenz auf dem Smartphone über (selbst mitgebrachte) Kopfhörer in Anspruch genommen werden kann. Darüber hinaus gibt es bei manchen Vorstellungen Audiodeskriptionen in Kooperation mit dem Projekt theater4all. Ein Sprecher beschreibt in Echtzeit das Bühnenbild, die Kostüme und liefert Informationen zur Handlung. Angewendet wird bei einigen Vorstellungen auch die Übersetzung für gehörlose und schwerhörige Menschen in die Österreichische Gebärdensprache. Für ausgewählte Vorstellungen ist das Programmheft vom Burgtheater sogar in Braille-Schrift erhältlich. 

Ähnliche Angebote finden sich beim Volkstheater Wien, hier in Kooperation mit der Hilfsgemeinschaft der Blinden und dem Audio2Team. Zusätzlich gibt es eine Induktionsschleife, die Personen mit induktionsfähiger Hörhilfe einen barrierefreien Theaterbesuch ermöglicht. Diesbezüglich gut aufgestellt ist auch das Schauspielhaus Graz, das Landestheater Niederösterreich und das Landestheater Linz. Taktile Einführungen vor dem Theaterstück, bei denen ein Bühnenbildmodell, Stoffproben sowie Requisiten betastet werden können, um ein Gespür für den Abend zu bekommen, werden in Graz ebenso angeboten wie die Erlaubnis, Assistenzhunde mitzunehmen. 

Multisensorisches Theatererlebnis

Großes Engagement zeigt das brut in Wien, insgesamt als Institution inklusiver zu werden. Hier steht im brut nordwest (Nordwestbahnstraße) mit „shining rose“ vom Performancekollektiv Maria Mercedes am 27. März nicht nur ein Stück mit Audiodeskription in deutscher Sprache auf dem Programm, sondern es bietet auch den Workshop „Dramaturgie blind inklusiv“ an (19.–22. Februar). Fia Neises und Liv Schellander stellen hier die Frage, wie Bühnenkunst geschaffen werden kann, wenn das Publikum divers gedacht wird und vermitteln den Teilnehmern Methoden und Strategien anhand von Beispielen aus ihrer eigenen Arbeitspraxis, wie etwa mit Audiodeskription ein multisensorisches Theatererlebnis entwickelt werden kann.

Theresa Schein­ecker/Ray, die „als weiße, behinderte Künstlerin und Psychologin in Wien“ lebt, bietet ebenfalls Workshops an, in denen verschiedene Aufgaben und Vorschläge ausprobiert werden, um Tanz und Performance in eine beschreibende Sprache und Sounds zu übersetzen – sowohl als Akteure von innen als auch als Beschreiber von außen. Auf die Frage, wie gut die Umgebung eines Theaterhauses funktioniert und was es allgemein zur Optimierung braucht, sagt Theresa Scheinecker: „Was in Theaterhäusern sehr hilfreich wäre für die Orientierung, sind taktile Leitsysteme, die oft nicht mitgedacht oder integriert wurden.“ Größere und deutlichere Beschriftungen sind wünschenswert, sowie Lichtquellen im Eingangsbereich. Ein helleres Licht hilft bei der Orientierung, denn oft gibt es Stufen, wenn es zu den Sitzplätzen geht. Und: „Wenn in Häusern freie Platzwahl ist, dann kann dies viel Stress im Vorfeld verursachen. Dort macht es Sinn, Early Boarding anzubieten für Personen, die einen speziellen Sitzplatz brauchen, damit man hier einen früheren Einlass gewährleistet.“

Wichtig findet Theresa Schein­ecker auch, dass eine Ansprechperson vor Ort ist, „im Sinne von Access Friends, die sich dafür zuständig fühlen, um Orientierung im Raum bzw. im Haus zu geben“. Für die Konzeptionierung wiederum sind Experten unbedingt notwendig, damit das jeweilige Theaterhaus aus der gelebten Erfahrung profitieren kann. „So kann man auch am besten überprüfen, ob beispielsweise das Leitsystem oder die Beschriftungen überhaupt Sinn machen.“ 

Die Herausforderung

Die Dramaturgin Katrin Brehm vom brut wien über das Anliegen vom Projekt brut barrierefrei, ergänzt: „Die Vorstellungen von Tanz und Performance, die oft wenig Text enthalten, müssen so angelegt sein, dass der zentrale Sinn nicht das Sehen ist und für diverse Wahrnehmungsstile erlebbar wird. Das Einladen, Hosten sowie die Vorstellung an sich ist nur barriereärmer möglich, wenn auf allen Ebenen gedacht wird und alle Abteilungen des Hauses miteinbezogen werden: Technik, Kommunikation, Dramaturgie, Ticketing, Einlasspersonal.“ 

Die größten Herausforderungen, um einen Theaterabend „inklusiv“ zu gestalten, benennt Brehm folgendermaßen: „Institutionen, wo Tanz und Performance erarbeitet und gezeigt werden, sind grundsätzlich elitäre, weiße, ableistische und ausschließende Orte. Diese zu Orten zu gestalten, dass Menschen mit diversen Perspektiven sowie unterschiedlichen Behinderungsformen sich nicht nur willkommen, sondern auch repräsentiert fühlen, ist eine grundsätzliche Herausforderung. Barrierefreiheit als Kunstform zu denken und damit Jahrhunderte lang etablierte normative Erwartungen und Ansprüche zu überdenken und Theater als mehr-sinniges Erlebnis zu ermöglichen, ist eine große Herausforderung.“

Zu diesem Zweck bedarf es auf alle Fälle mehr Fördermöglichkeiten, „die sich explizit an Institutionen richten“, so Brehm, „ihr Programm und ihre Strukturen inklusiver zu gestalten, ihr Personal weiterzubilden oder die Strukturen so neu- oder umzubauen, dass sie Teilhabe für eine Vielfalt an Menschen ermöglichen“.

AusgabeRZ7-2025

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