Seit Wochen diskutiert die Öffentlichkeit die Frage, wer es in den WM-Kader des ÖSV schafft. Intern bei euch Fahrern auch? Oder wisst ihr Athleten ohnehin schon mehr?
Daniel Hemetsberger: Nein, bis zur offiziellen Nominierung wissen wir gar nichts. Und es ist auch kein großes Thema, zumindest bei mir nicht. Bis zur WM sind noch drei Rennen (Anm.: Das Interview wurde zwischen Wengen und Kitzbühel geführt, wo Hemetsberger Vierter wurde), jeder kann sich nur über seine Leistung qualifizieren. Und da hinken wir alle den Erwartungen hinterher. Und ich versuche ohnehin immer, so schnell wie möglich zu sein, egal ob die WM vor der Tür steht oder nicht.
Diese Saison ist für Sie kompliziert. Sie mussten die vergangene Saison wegen einer Knieverletzung abbrechen, wurden operiert, hatten dadurch anfangs höhere Startnummern und keine zufriedenstellenden Ergebnisse.
Hemetsberger: Stimmt, momentan ist es erheblich schwieriger als die letzten Jahre. Mit meinem Knie ist es nur geringfügig besser geworden. Und bei den hohen Startnummern ist gar nicht so sehr die Piste das Problem, die wird nicht so richtig schlecht. Aber das lange Warten zehrt an den Nerven. Rein skifahrerisch läuft es gar nicht so schlecht, aber mir fehlen die Ausreißer nach oben.
Na ja, Sie kamen dreimal in die Top 12 …
Hemetsberger: Okay, aber die Konstanz geht mir einfach ab. Durch meine Operation im vergangenen Frühjahr ist es ja eine Comeback-Saison. Aber ich bin trotzdem nicht zufrieden, wenn ich am Ende 28. bin wie bei der Abfahrt in Wengen.
Und Ihr Knie macht Ihnen immer noch zu schaffen?
Hemetsberger: Ja, das wird auch nicht mehr besser. Ich habe Arthrose und einen Knorpelschaden. Das schränkt mich zwar nicht besonders ein, aber es ist immer im Hinterkopf, weil es wehtut.
Sie haben mit vier Kreuzbandrissen eine gewisse Verletzungs-Historie, waren bis zum Ausfall aber einige Jahre verschont geblieben. Wie schwer war das mental zu verkraften?
Hemetsberger: Lustig war es nicht … Mein Knie ist relativ komplex, gerade weil es diese Vorgeschichte gibt. Da muss man damit rechnen, dass es mal wieder schlechter wird und es dann eben so annehmen.
Fahren Sie mit Schmerzmitteln?
Hemetsberger: Nein, nie! Davon wird man im Kopf schwummrig, das ist mir zu gefährlich. Ich muss mich auf der Strecke spüren und die Geschwindigkeit gut einschätzen können. Ich habe immer gesagt: Wenn ich eines Tages nur mit Schmerzmitteln fahren kann, ist die Karriere beendet.
„Wenn man es mit aller Macht erzwingen will, funktioniert es auch nicht“
Daniel Hemetsberger
Sie haben Ihr Hobby zum Beruf gemacht und für viele einen Traumjob. Ist es auch einer in Phasen wie diesen?
Hemetsberger: Wenn ich einen Top-10-Platz schaffe, ist es ein absolut geiler Beruf. Wenn ich aber, wie in Wengen, 28. werde und mich frage, warum ich so langsam fahre, ist es überhaupt kein Traumberuf. Aber das gilt wohl für jeden Job, wenn der Erfolg fehlt. Bei uns in der Mannschaft läuft es derzeit generell nicht gut, und wir wissen selber nicht, wo uns das fehlende Quäntchen abgeht. Wir sind ja alle gute Skifahrer, probieren alles. Nur wenn man es mit aller Macht erzwingen will, funktioniert es auch nicht.
Am 4. Februar beginnt die WM in Saalbach. Verfolgt Sie dieses Highlight schon seit Beginn der Vorbereitung oder denken Sie wirklich nur von Rennen zu Rennen?
Hemetsberger: Ich hatte den Fokus nicht darauf und habe immer gesagt, dass ich in jedem Rennen gut fahren muss, um mich überhaupt zu qualifizieren. Und wenn ich dabei bin, werde ich am Tag X alles geben, um bestmöglich abzuschneiden. Aber klar: Wir sind daheim, haben keine weite Anreise, super Essen, viele Fans. Es wird sicher richtig cool werden!
Ihr Rennfahrer steht in einer Ski-Nation wie Österreich besonders im Fokus und werdet dementsprechend auch kritisiert, wenn es nicht läuft. Inwieweit lasst ihr dieses Thema an euch ran?
Hemetsberger: Das ist jede Sekunde ein Thema, ganz klar. Aber es kann ja nur jeder für sich schauen, wie er sich verbessern kann. Ich hatte in den letzten Jahren immer das Glück, dass es bei mir von Anfang der Saison an gut gelaufen ist. Wenn du am Beginn aber gleich auslässt, wird es für den Kopf schwieriger, die Leichtigkeit fehlt. So wie sie die Schweizer oder die Norweger aktuell haben. Die fahren gar nicht so viel besser Ski als wir, aber sie haben die Lockerheit, die Selbstverständlichkeit. Und das hilft dir in wichtigen Kurven, die entscheidenden Zehntel herauszufahren. Wenn ich an entscheidender Stelle nur mit 97 statt mit 100 Prozent fahre, habe ich keine Chance mehr aufs Stockerl.
Dafür ist das Niveau an der Spitze einfach zu hoch.
Hemetsberger: Stimmt, das ist ein entscheidender Punkt. Viele Läufer fahren mit dem Messer zwischen den Zähnen, sind aggressiv und riskieren alles. Wenn sie durchkommen, landen sie ganz vorne, aber aus meiner Sicht ist das auch ein Grund für die vielen schlimmen Stürze, die wir aktuell erleben. Und wenn dann etwas passiert, dann richtig.
„Es kann jederzeit passieren, dass wir den Turnaround schaffen“
Daniel Hemetsberger
Zuletzt hat es auch Vincent Kriechmayr in Wengen erwischt. Wie schwer ist es, sich eine Abfahrt hinunterzustürzen, wenn es den Kollegen vorher zerbröselt hat?
Hemetsberger: Normalerweise kann ich so etwas sehr gut abschütteln. Aber beim Vinc war es etwas anderes, der ist bei uns eine totale Bank, ein Fels in der Brandung. Ich hab ihn nur ganz selten stürzen sehen. Von daher war es schon etwas unangenehm. Gefürchtet hab ich mich aber nicht.
Die WM könnte nun die perfekte Gelegenheit sein, den Eindruck zu korrigieren und die Saison in einem anderen Licht erscheinen zu lassen.
Hemetsberger: Absolut! Es kann jederzeit passieren, dass wir den Turnaround schaffen. Die Qualität in der Mannschaft ist absolut vorhanden.
Sie sagen Mannschaft: Seid ihr Fahrer beim ÖSV wirklich ein Team oder am Ende doch nur 20 Ich-AGs, die alle gut Ski fahren können und den gleichen Rennanzug tragen? Ihr seid ja auch Konkurrenten, Stichwort WM-Nominierung.
Hemetsberger: Nein, nein, wir sind definitiv viel mehr Mannschaft als man glaubt. Wir sind ja mehr miteinander unterwegs als mit unseren Familien. Wir sind Freunde und unterstützen uns gegenseitig. Klar, die zweieinhalb Minuten auf der Piste ist jeder allein und auf sich gestellt. Aber da fährt man ausschließlich gegen die Uhr, nicht gegen einen Kollegen. Und wenn einer schneller ist als ich, erkenne ich das neidlos an und versuche, beim nächsten Mal der Bessere zu sein.
Beim letzten Interview an dieser Stelle haben Sie erzählt, dass Sie ein spezielles Paar Renn-Socken haben, die auch als Glücksbringer fungieren. Ihr Joker für die Weltmeisterschaft?
Hemetsberger: (lacht) Durchaus, die sind immer noch dabei. Vielleicht sind die am Ende ja das Zünglein an der Waage.