Frieden klingt in unseren Tagen wie ein Ideal, das sich abgenutzt hat: Ein Wort, das im politischen Diskurs gern beschworen wird, aber zugleich seine Substanz zu verlieren droht. Frieden ist nicht länger allein die Abwesenheit von Krieg oder Konflikt, sondern ein Zustand, der Vertrauen, Versöhnung und das Eingeständnis unserer Verwundbarkeit einschließt. Er beginnt im Herzen, im Blick auf den Mitmenschen, im Bruch mit der Logik der Gewalt.
In diesem Sinn ist die Weihnachtsbotschaft nicht bloße Nostalgie, sondern Hervorrufung einer Stimme, die gehört werden möchte. Frieden – das ist kein Zustand, sondern eine Haltung. Kein fertiges Geschenk, sondern eine tägliche Entscheidung. Simone de Beauvoir schrieb in „Alle Menschen sind sterblich“: „Unsterblichkeit entwertet alles, was geschieht.“ Ein Roman, der das Sein in der Zeit reflektiert, das Vergängliche und zugleich das Potenzial jedes Lebens. De Beauvoir lässt den Protagonisten über Jahrhunderte leben, und zeigt: Überdauerung allein macht nicht sinnerfüllt.
Gerade weil wir vergänglich sind, tragen unsere Handlungen Gewicht. Frieden entsteht dort, wo wir den Augenblick ernst nehmen, wo wir das Andere nicht als Bedrohung, sondern als Möglichkeit begreifen. Auch die Antikriegsliteratur des 20. Jahrhunderts – von Remarque bis Sachs – wusste um die fragile Grenze zwischen Menschlichkeit und Barbarei. In vielen dieser Texte klingt eine Sehnsucht an, die der Weihnachtsbotschaft verwandt ist: die Sehnsucht nach einem Ort, an dem das Leben zählt, bevor es geopfert wird.
Weihnachten erinnert an eben diesen Ort – an eine Krippe, die zum Symbol des Widerspruchs gegen Macht und Zerstörung wird. Die Popkultur hat diese Sehnsucht längst aufgegriffen. Das Lied „Happy Xmas (War Is Over)“ von John Lennon und Yoko Ono ist nicht nur ein Weihnachtslied, sondern auch ein Protestlied mit der Aufforderung: „War is over, if you want it.“ Oder das Duett „Peace on Earth/Little Drummer Boy“ von David Bowie und Bing Crosby, das die klassische Weihnachtsmelodie mit dem Friedensruf „Peace on Earth“ verbindet. „Do You Hear What I Hear?“ wiederum entstand 1962 von Noël Regney und Gloria Shayne als Friedensappell während der Kubakrise. Darin heißt es: „Said the night wind to the little lamb, ‚Do you see what I see?‘“ und „Pray for peace, people everywhere“. Shayne erklärte Jahre später in einem Interview, dass keiner von beiden das Lied damals vollständig habe singen können, weil sie von den Emotionen der Kubakrise überwältigt gewesen seien.
Und als Jahrzehnte davor auf dem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs die feindlichen Soldaten zu Weihnachten die Waffen niederlegten, ohne offizielle Waffenruhe und gegen den erklärten Willen ihrer Kommandeure, war dies Ungehorsam im Geiste der Brüderlichkeit über die Schützengräben hinweg. Auch hier gibt es zwei Weihnachtslieder aus den frühen 1980er-Jahren, die daran erinnern, „Pipes of Peace“ von Paul McCartney und „Stop the Cavalry“ von Jona Lewie.
Über den Traum von Liebe und der Kraft von Frieden singt ganz aktuell die österreichische Band The Lemon Club auf dem Album „Every Christmas“ im Lied „The Christmas Waltz“. Da heißt es unter anderem: „Do you remember? What peace has felt like. What war’s taken from us. The tender and bright.“ Diese Pop-Weihnachtslieder, oft nur als sentimentale Weihnachtspopmusik wahrgenommen, sind vielmehr kleine liturgische Gesten einer säkularen Welt.
Sie sagen: Der Friede ist nicht verloren, solange wir ihn noch besingen. Papst Leo XIV. hat in seiner ersten Weihnachtsansprache denselben Gedanken ausgesprochen, dass es keinen Frieden ohne Umkehr des Herzens gibt, und dass es der Friede des Entwaffneten ist, der dem anderen in seiner Verletzlichkeit begegnet und so heißt denn auch sein erstes offizielles Buch „Frieden!“. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Weihnachtsbotschaft „Friede auf Erden“ eine Dreifaltigkeit von Bedeutung: literarisch-existenziell, popkulturell-symbolisch und kirchlich-theologisch. Und wir sind aufgerufen, sie neu zu hören. Nicht als Utopie, sondern als Wegweisung. Vielleicht ist dies das eigentliche Weihnachtswunder, dass gerade in unserer Endlichkeit und Unsicherheit der Friede beginnen kann. In uns. Und somit in der Welt.









