Elīna Garanča: „Noch will und kann ich singen“

Mezzosopranistin Elīna Garanča lässt ihr Jahr Revue passieren, gibt Einblicke in das Programm der „Klassik Open Air“ und verrät, was beim Weihnachtsfest nicht fehlen darf.

Elina Garanca im Interview
© Katharina Schiffl

Im letzten Jahr feierten die „Klassik Open Air“-Konzerte Doppeljubiläum. Wurden Ihre Erwartungen diesbezüglich erfüllt?
Elīna Garanča: Ja, ich glaube, dass die Energie schon ganz besonders war. Wenn man zum Ende des Konzerts kommt und von den Menschen, die uns schon 15 Jahre treu begleitet haben, hört „Das war das beste bis jetzt“, dann freut man sich schon sehr. Und überhaupt sind 15 Jahre in unserer schnelllebigen Gesellschaft ein Mammutjubiläum. 

Gibt es da Druck, diese besondere Jubiläumsstimmung im nächsten Jahr wieder herzustellen?
Garanča: Diesen Druck hatten wir schon ab dem ersten Jubiläum. Uns helfen aber immer wieder die Jubiläen anderer Größen der Opernwelt. Am 2. Dezember beginnt heuer das Maria Callas-Jahr, das werden wir in das kommende Jahr überziehen. Sie hatte auch eine besondere Verbundenheit zu Giacomo Puccini, der ebenfalls im nächsten Jahr ein großes Jubiläum feiert. Diese zwei Musikgiganten möchten wir in unserem 16. Jahr besonders ehren. 

Sie ehren diese beiden Ikonen darüber hinaus mit einer besonderen Premiere. Warum fiel die Wahl gerade auf die Arie „O ma lyre immortelle“ aus Gounods Oper „Sapho“?
Garanča: Diese Arie ist schwierig, weil sie einen Stimmumfang über zwei Oktaven besitzt. Als Mezzosopran kann ich damit die tiefen genauso wie die hohen Noten präsentieren. Außerdem haben wir damit auch nach 15 Jahren wieder ein Stück gefunden, das ich dort noch nie gesungen habe und das freut uns sehr.

Wie wichtig sind persönliche Premieren für Sie?
Garanča: Es ist immer reizvoll für mich, etwas Neues zu lernen. Das strengt mich auch ein bisschen an. Am einfachsten wäre es, immer wieder Dalila oder Carmen zu singen, das wird mir aber selbst zu langweilig. Und es geht auch ein bisschen um eine Ausbildungskultur für die Zuschauer. Denn oft sind Stücke dabei, die sie so vielleicht noch nie auf der Opernbühne gehört haben. 

Der Bewerbungsprozess für den von der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien mitinitiierten Wettbewerb „ZukunftsStimmen“ ist bereits im Gange. Wie können aufstrebende Operntalente überzeugen?
Garanča: Das Projekt heißt ja „ZukunftsStimmen“, also brauchen wir eine Stimme mit der nötigen Zukunft dazu. Auf jeden Fall geht es um gewisse technische Qualitäten, den Ausdruck und die Stimmfähigkeiten, die man entweder erlernt hat oder die einem auch einfach von Gott gegeben wurden. Und manchmal ist es auch einfach nur Glück. 

Im Rahmen von Kitzbühel Klassik werden auch nächstes Jahr wieder die Finalisten von „ZukunftsStimmen“ bei freiem Eintritt im Stadtpark zu hören sein. Ist das ein Versuch, klassische Musik etwas zugänglicher zu machen?
Garanča: Auf jeden Fall. Einerseits wird den Auftretenden die Berührungsangst genommen und andererseits wird dem Zuschauer etwas angeboten, das er noch nicht kennt. Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Und die jungen Talente lernen in diesen Tagen den Umgang mit außergewöhnlichen Situationen und Adrenalin. Das ist keine gewöhnliche Studienklasse, sondern Open Air mit Sonne, Regen und Wind. Damit müssen sie sich auch zurechtfinden. 

Heuer standen Sie auch beim Sommernachtskonzert vor dem Schloss Schönbrunn auf der Bühne. Konnte diese Erfahrung mit „Klassik Open Air“ mithalten?
Garanča: In Schönbrunn haben wir gefroren bis zum Gehtnichtmehr, weil es wirklich wahnsinnig kalt war. Durch diese Feuchte und Kälte mussten auch die Instrumente etwas leiden. Es sind grundsätzlich zwei vollkommen unterschiedliche Events, obwohl die Message dieselbe ist. Aber Schönbrunn ist ein riesengroßer Ort mit einer großen Menschenmasse, so viel Publikum könnten wir in Göttweig und Kitzbühel gar nicht aufnehmen. In dem Sinn ist „Klassik Open Air“ vielleicht etwas direkter und intimer.

Elina Garanca im Interview
© Katharina Schiffl

Spüren Sie dort mehr Verbundenheit zum Publikum?
Garanča: Als Profi geht man immer raus und tritt in seiner besten Kapazität auf. Für mich wäre das Schlimmste, vor zehn Leuten zu singen, weil das doch so nahe ist. Gleichzeitig weiß man in Schönbrunn zum Beispiel, dass dort die Kameras sind. Man arbeitet einfach anders. 

Und auch sonst stehen Sie überall auf der Welt auf der Bühne. Aktuell auch im Teatro alla Scala in Mailand, eines der bedeutendsten Opernhäuser der Welt. Was macht trotzdem gerade Göttweig und Kitzbühel Jahr für Jahr wieder interessant?
Garanča: Es ist einfach unser erstes Baby. Noch vor der Geburt unserer Kinder habe ich mit meinem Mann begonnen, das aufzubauen. Und wir sehen, dass es auch nach so vielen Jahren noch erfolgreich ist und wir immer wieder etwas Neues anbieten können. Wir sehen, wie sich die Umgebung und die wirtschaftliche Lage dort entwickelt hat und wie uns die Leute wirklich von Jahr zu Jahr treu folgen – egal ob es zwölf oder 35 Grad hat, ob es regnet oder donnert, wir sind immer miteinander verbunden. Für mich ist es wahnsinnig spannend zu sehen, wie die Leute schon ab Mittag herumspazieren und im Gras sitzen, bis wir dann tatsächlich alle am Abend zusammenkommen. Es ist einfach das, was wir mit Ideen und Unterstützung jetzt schon 15 Jahre lang an die Volljährigkeit treiben. 

Das heißt, aus Ihrer Sicht geht es noch lange so weiter?
Garanča: Das hoffen wir natürlich. Mich würde es vor allem reizen, weil es mir die Möglichkeit geben würde, das „ZukunftsStimmen“-Projekt weiterzuentwickeln und es vielleicht auch in eine neue Form zu bringen. Noch will ich singen und noch kann ich singen. 

Wie können sich die „ZukunftsStimmen“ noch weiterentwickeln?
Garanča: Zurzeit können sich nur Menschen mit österreichischem Pass bewerben, das könnte man noch öffnen auf in Österreich lebende Menschen, auf den deutschsprachigen Raum, auf Europa oder sogar weltweit. Aktuell ist das, was ich selbst mache, aber so anstrengend und zeitzehrend, dass ich ein derartig großes Format noch nicht zur Gänze unterstützen könnte. Aber man sieht auch bei jüngeren Kollegen, dass das Interesse für Singen besteht und überall wo man hinfährt, trifft man neue Sänger, die große Wellen schlagen und zu neuen Superstars werden. Was mich aber interessiert, ist, die Leute in diesem Zwischenstopp zwischen Akademie und Job zu unterstützen, damit sie viel fragen und ausprobieren können, ohne Druck oder das Gefühl, allein zu sein. Was ich sage, ist natürlich nicht die Bibel, aber ich spreche aus vielen Jahren Erfahrung und ich glaube, ich kann ihnen auf jeden Fall etwas raten. Aber die Entscheidungen müssen sie letztendlich selbst treffen.

Generell ist Ihr Terminkalender sehr voll. Mit Verdis „Don Carlo“ sind Sie in Mailand noch bis 22. Dezember zu sehen. Bleibt da noch Zeit für Weihnachtsstimmung?
Garanča: Ich sehne mich nach meiner letzten Vorstellung im heurigen Jahr. Danach habe ich tatsächlich bis zum 6. Jänner frei. Es war ein wahnsinnig volles und intensives Jahr, also freue ich mich umso mehr, wenn ich dann einmal drei Tage im Pyjama herumlaufen kann. Für mich ist das wirklich die Zeit,  um mit meinen Töchtern herumzublödeln, zu dekorieren und einfach zu Hause zu sein, ohne jegliche gesellschaftliche Aktivitäten.

Wie werden Sie das Fest heuer verbringen?
Garanča: Im Alltag bin ich eine Schnellköchin und brauche maximal eine halbe Stunde. Aber zu Weihnachten fange ich meistens schon Tage davor an, mit Keksen, mariniertem Fleisch und allerlei eingelegten Sachen. In Lettland hat man außerdem den Glauben: Je reicher der Tisch beim Weihnachtsessen, desto reicher wird das kommende Jahr. Da müssen es schon mindestens neun Gerichte sein. 

Und schließlich – weil sich auch 2023 langsam dem Ende zuneigt – was wünschen Sie sich für das kommende Jahr 2024?
Garanča: So banal es klingt, natürlich die Gesundheit für mich und für alle meine Liebsten. Und auch für Menschen allgemein, dass der Frieden jetzt tatsächlich eintritt. Nicht nur physisch in Form eines endenden Krieges, sondern auch der Frieden im Gehirn vieler Menschen. Dass wir vielleicht endlich einmal aufeinander zukommen und miteinander von Angesicht zu Angesicht kommunizieren und nicht mit Kamera, Telefon und Social Media. Ich glaube, wir haben verlernt, miteinander zu reden und einander zuzuhören, und ich wünsche mir, dass dieser Wahn einem Ende naht. Hoffentlich werden wir besser.