Seit Monaten sind Landwirte mit steigenden Produktionskosten konfrontiert. Der Krieg in der Ukraine bringt für die gesamte österreichische Wirtschaft mannigfaltige Unsicherheiten und Herausforderungen wie die stark steigende Inflation oder diverse Verwerfungen auf den Energiemärkten mit sich. Unter dem Motto „Landwirte in Zeiten der Energiewende“ wurden die konjunkturelle Großwetterlage und deren Folgen im niederösterreichischen Biberbach diskutiert. Dabei betonte Michael Höllerer, Generaldirektor der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien und Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine nachhaltige und langfristige Auswirkungen haben werde. Die Dinge greifen ineinander. Derzeit könne man dies am stärksten auf den Energiemärkten beobachten. Europa sei bis zu einem gewissen Grad vom Weltmarkt abhängig. „Umso wichtiger ist es, die Resilienz zu stärken, damit man die eine oder andere Krise durchstehen kann“, so Höllerer. Derzeit sei die Frage, ob man überhaupt Energie bekommen werde, nicht die große Herausforderung, sondern ob sie leistbar sein werde. „Das wird zumindest mittelfristig Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft haben“, warnt der Generaldirektor.
Weitere Schwierigkeiten bereite der Wirtschaft die stark steigende Teuerung. Derzeit erlebe man eine „gefühlte Inflation von 15 bis 20 Prozent. Prognosen zufolge werden wir in den nächsten drei bis vier Jahren so viel Inflation sehen wie in den letzten zehn Jahren. Das muss man erst verkraften können“, analysiert Höllerer. Die eingeleitete Zinswende werde in den nächsten Monaten weiter Schwung bekommen, daran führe kein Weg vorbei. „Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen ist es ein Riesenthema, wenn der Schuldendienst von 30 auf 40 Prozent des Einkommens steigt“, sagte Höllerer. Zur Großwetterlage gehöre aber auch die Entwicklung am Arbeitsmarkt. In den letzten eineinhalb Jahren sei die Anzahl der Arbeitnehmer, die Überstunden leisten, von 23 auf 15 Prozent gesunken, und die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 41 auf 39 Stunden. „Das hört sich zwar nicht nach viel an, ist volkswirtschaftlich aber enorm. Ohne einen funktionierenden Arbeitsmarkt und Arbeitskräfte werden wir als Volkswirtschaft nicht wieder auf Touren kommen“, ist Höllerer überzeugt.
Raiffeisen NÖ-Wien habe bereits in der Corona-Pandemie bewiesen, der führende Finanzdienstleister in der und für die Region zu sein. „50 Prozent der Covid-Stundungen und Hilfskredite in Niederösterreich wurden über Raiffeisen abgewickelt“, erinnerte Höllerer. Angesichts der wirtschaftlichen Verwerfungen wolle man die Aufgabe als Finanzpartner nun noch stärker wahrnehmen. Dazu gehöre es auch, innovative Unternehmensformen und Ideen, die durchaus riskanter sein können, zu unterstützen. „Wir wollen der Partner für die Umsetzung von Ideen vor Ort sein, um die Absicherung der ländlichen Struktur zu ermöglichen. Das ist unser historischer Auftrag und den wollen wir auch in die Zukunft übersetzen“, strich Höllerer hervor. Das klassische Geschäftsmodell, das immer wieder belächelt wurde, das sogenannte „Brot-und-Butter-Banking“, erlebe derzeit ein echtes Revival.
Turbulente Energiemärkte
Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf erwartet im Winter die eine oder andere schwierige Stunde: „Das muss man offen ansprechen.“ So stehe derzeit die Stromversorgung Europas auf wackeligen Beinen, auch weil in Frankreich nur die Hälfte der Atomkraftwerke in Betrieb sei. Dadurch sei das Land vom Exporteur zum Importeur geworden. Auch Österreich importiere im Winter bis zu 30 Prozent seines Strombedarfs. „Die Lage ist ernst, einen großen Blackout wird es in Europa wahrscheinlich aber nicht geben“, meinte Pernkopf. Während in Frankreich diskutiert werde, ob ganze Regionen im Notfall vom Netz genommen werden müssen, gehe man in Österreich nicht davon aus. Hierzulande könnte es aber Großverbraucher treffen. „Wir müssen dieses Szenario verhindern, deswegen steht Energiesparen und der Ausbau von erneuerbarer Energie auf der Tagesordnung“, berichtete Pernkopf. Als eine Möglichkeit, energieautarker zu werden, nannte der Politiker „grünes Gas“, das etwa aus Maisrückständen gewonnen werde und bis zu 30 Prozent des Gasbedarfs decken könne.
Kritik äußert Pernkopf an der Preisgestaltung des Strommarktes, der sogenannten Merit-Order-Regel. Dabei bestimmt das Kraftwerk (meist Gas) mit den höchsten Grenzkosten, das noch benötigt wird, um die Nachfrage zu decken, den Marktpreis. Was in Friedenszeiten „möglicherweise gut war“, sorge nun für massive Verwerfungen auf den Strommärkten, weil die Gaspreise infolge des Ukraine-Krieges sich vervielfacht haben. „Wir können momentan nicht mehr mit normalen politischen Methoden handeln, weil wir zum Teil kriegswirtschaftsähnliche Zustände haben. Es muss ein Umdenken in der EU geben. Denn es ist klar, dass die regionalen Kreisläufe funktionieren müssen. Das ist nicht nur umweltpolitisch wichtig, sondern auch für die Sicherstellung der Versorgung“, so Pernkopf. Dieser Gedanke spiele auch bei der Versorgung mit Lebensmitteln eine wichtige Rolle, ergänzte Franz Raab, Kammerdirektor der Landwirtschaftskammer Niederösterreich, und fügte hinzu: „In der Krise hat sich manches im Kopf der Menschen geändert, zum Beispiel, dass Versorgungssicherheit auch mit Lebensmitteln keine Selbstverständlichkeit ist.“ Wenn man in einer Krisenzeit eine gute Versorgung haben möchte, dann müsse man als Konsument die Dinge auch dann nachfragen, wenn es keine Krise gibt.
Darüber hinaus steigt das Bewusstsein auch für die Eigenversorgung im Energiebereich. Immer mehr Betriebe, Organisationen und Menschen schließen sich zu Energiegenossenschaften zusammen. „In Niederösterreich gibt es insgesamt acht Raiffeisen-Energiegenossenschaften, die am Markt teilnehmen. In 15 weiteren Gemeinden sind die Gründungsgespräche sehr weit gekommen“, strich Energieexperte Anton Hechtl von der RLB NÖ-Wien hervor. Das sei ein Weg, um etwas fürs Klima zu tun, die Region zu stärken und unabhängiger zu werden.