„Noch ein langer Weg“

Strom spielt für die Energiewende eine wesentliche Rolle. Über den Investitionsbedarf, die politischen Vorgaben und die technischen Herausforderungen diskutierten hochkarätige Experten beim „Talk im Schloss“.

Der energetische Umbau der Wirtschaft – die Energiewende – ist eine gewaltige Herausforderung für die Industrie, den Energiesektor, aber auch für die Finanzindustrie – darüber waren sich Verbund-Vorstandsvorsitzender Michael Strugl, Voestalpine-Aufsichtsrat und langjähriger CEO Wolfgang Eder sowie Rainer Schnabl, Geschäftsführer der Raiffeisen KAG, bei der Kundenveranstaltung „Talk im Schloss“ der Raiffeisenbank Kleinmünchen/Linz auf Schloss Hohenbrunn einig. Es gilt an vielen Stellschrauben zu drehen, um die Pariser Klimaziele und damit eine Reduktion der CO2-Emissionen zu schaffen, um die Erderwärmung einzudämmen.

„Das zur Verfügung stehende CO2-Budget ist fast schon ausgeschöpft. Es muss zu drastischen Maßnahmen in allen Sektoren kommen, um das Ziel zu erreichen, möglichst CO2-neutral zu werden“, betonte Michael Strugl. Die Dekarbonisierung der Industrie, der Raumwärme und des Verkehrs habe einen gemeinsamen Nenner – dafür wird überall Strom gebraucht. Österreich habe sich ambitionierte Ziele gesetzt, einerseits bis 2040 klimaneutral zu werden und bis 2030 den Strom zu 100 Prozent – zumindest bilanziell über das Jahr gerechnet – aus erneuerbaren Quellen zu produzieren. Mittlerweile sei klar, dass die Energiewende zu einem steigenden Strombedarf führen werde, fasst der Verbund-Vorstandsvorsitzende die Ausgangslage zusammen.

Hoher Investitionsbedarf  

Aufgrund der großen Bedeutung der Wasserkraft sei Österreich beim Thema erneuerbare Energien mit einem Anteil von rund 75 Prozent an der Stromerzeugung schon jetzt sehr weit im Vergleich mit anderen Ländern. Um die restlichen 25 Prozent zu stemmen, brauche es dennoch massiver Investitionen, so Strugl. Berechnungen zufolge wären Solaranlagen auf 2 Millionen österreichischen Dächern und 1.200 zusätzliche Windräder notwendig, um den elektrischen Mehrbedarf zu decken. Darüber hinaus müssten neben Effizienzsteigerungen in der Wasserkraft auch einige Wasserkraftwerke gebaut werden. „An dieser Illustration kann man sehen, was es bedeutet, wenn man die Ziele erreichen will. Ich sage nicht, dass es nicht möglich ist. Aber es wird nicht möglich sein, wenn man alles verhindern will, was an neuen Anlagen gebraucht wird“, warnt Strugl. 

Dazu komme der notwendige Ausbau der Stromnetze. „Ohne einen parallelen, synchronen und regional abgestimmten Netzausbau wird es nicht gehen“, ist der ehemalige oberösterreichische Politiker überzeugt. Eine weitere Herausforderung sei, dass die erneuerbare Stromerzeugung volatil sei. Wenn kein Wind gehe oder die Sonne nicht scheine, brauche es Reservekapazität und Speicher, um die Schwankungen im Stromnetz auszugleichen und damit für die nötige Stabilität zu sorgen. Derzeit habe man als einzige Technologie sogenannte Pumpspeicherkraftwerke zur Verfügung, um große Stromproduktionskapazitäten über längere Zeit vorrätig halten zu können. Dabei wird Wasser in Reservoirs hochgepumpt und bei Bedarf durch das Herablassen des Wassers wieder Strom erzeugt. Es werde aber aber darüber hinaus eine zusätzliche Speichertechnologie brauchen – wahrscheinlich Gasspeicher –, um dieses Problem auch in anderen Ländern nachhaltig lösen zu können, ist der Verbund-Vorstandsvorsitzende überzeugt.

Vorstand Winfried Schönberger mit Rainer Schnabl, Vorständin Michaela Anzinger, Wolfgang Eder, Michael Strugl und Vorstandsvorsitzender und Moderator Bernhard Sommerauer
Die RB Kleinmünchen/Linz lud zu einem informativen Energie-Abend ein: Vorstand Winfried Schönberger mit Rainer Schnabl, Vorständin Michaela Anzinger, Wolfgang Eder, Michael Strugl und Vorstandsvorsitzender und Moderator Bernhard Sommerauer (c) RB Kleinmünchen/Linz/Ugur Celik

Darüber hinaus müsse bei der Energiewende auch die Gewährleistung der sicheren Stromversorgung mitbedacht werden. Denn Europas Stromnetze enden nicht an den nationalen Grenzen, sondern sind miteinander verbunden. Über sogenannte grenzüberschreitende Lastflüsse müsse man „europäisch schauen, damit es sich immer ausgeht“, strich Strugl hervor. Andernfalls könnten sogenannte Blackouts drohen, also das kaskadenartige Abschalten von Anlagen bei Überlastungen.

Strugl wies außerdem darauf hin, dass der Strompreis in den vergangenen Jahren explodiert sei. 2016 habe die Megawattstunde (MWh) noch 20 Euro gekostet, jetzt stehe sie bei rund 135 Euro. Auch alle anderen Energiepreise hätten zuletzt massiv zugelegt. „Das hat wichtige Folgen für einen Wirtschaftsstandort wie Oberösterreich, aber auch für die Haushalte. Darüber werden sich die Regierungen den Kopf zerbrechen müssen“, ist Strugl überzeugt und konstatierte: „Diese Energiewende wird kein Sonntagsspaziergang werden.“

„Existenzielles Thema“

„Die Spielräume sind limitiert“, ist auch Wolfgang Eder überzeugt. Den Menschen müsse bewusst werden, dass die Energiewende „ein existenzielles Thema“ in Hinblick auf Klimawandel, Ressourcenausbeutung und Nutzung des Lebensraumes sei. Es brauche eine enorme Disziplin und „weltweit strenge kontrollierbare und kontrollierte Regeln“. Letzteres sei ganz entscheidend, um nicht regional in Ungleichgewichte zu kommen. Eder rät zu einem strengen Bonus-Malus-System, mit dem Vorreiter mit Incentivierungen belohnt und Verweigerer bzw. Nachzügler bestraft werden. „Es ist nicht nur zulässig, sondern notwendig, dass die Industrie sowohl in technologischer als auch zeitlicher Hinsicht gefordert wird. Sinnlos ist aber eine Überforderung, denn die führt nur zu Frustration und am Ende des Tages zu Resignation“, warnt Eder vor zu hohen Anforderungen seitens der Politik. Denn Entwicklungsprozesse müssen neu aufgesetzt werden, dies brauche eine gewisse Mindestzeit, um praxistauglich zu werden. Dies in Zeiten der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz politisch verkürzen zu wollen, sei nicht möglich, warnt der Industrieexperte. 

Darüber hinaus brauche es auch raschere behördliche Verfahren, um neue Projekte zu realisieren. Beim Pumpspeicherkraftwerk Koralm seien schon fünf Jahre vergangen und man wisse immer noch nicht, wann der Baustart erfolgen wird. „Das Thema ist unendlich komplexer, als es meist dargestellt wird. Insgesamt haben wir noch einen langen Weg vor uns“, konstatierte Eder. Dabei habe man die immensen Umstellungskosten noch gar nicht angesprochen.

„Politik vehement dahinter“

Rainer Schnabl sieht neben den massiven und mannigfaltigen Herausforderungen der Energiewende auch Chancen für Europa, Anleger und Investoren. „Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn selten von politischer Seite etwas gesehen, das so vehement vertreten wird wie der Green Deal der EU-Kommission“, betonte Schnabl. Global werden derzeit rund 30 Prozent des Strombedarfs über erneuerbare Energien erzeugt, bis 2040 soll dieser Anteil verdoppelt werden. Allein in den Solarbereich sollen bis dahin 2,8 Billionen Euro fließen, mehr als das Siebenfache des österreichischen Bruttoinlandsproduktes (BIP). „Daran kann man den immensen Geldbedarf für die Finanzierung der Energiewende ablesen“, so Schnabl.

Die Politik habe den Druck zur klimafreundlichen Veränderung über die Kapitalflüsse gelenkt, die von der Finanzindustrie kontrolliert werden müssen. Deshalb seien mittlerweile jede Banken- und Versicherungsgruppe sowie größere Fondsgesellschaften so stark am Thema Nachhaltigkeit dran. Im internationalen Wettbewerb biete die Klimathematik, in der Europa besser aufgestellt ist als die USA, aber auch als China, eine Chance, eine Vorreiterrolle langfristig einzunehmen. Um grüne Investments insgesamt noch mehr zu pushen, sollten diese auch steuerlich begünstigt werden, forderte Schnabl.

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