Die EU-Kommission hat vor kurzem ihre Ausbaupläne für erneuerbare Energien nachgeschärft und will nun bis 2030 den Anteil von ursprünglich 40 auf 45 Prozent heben. Nach diesem REPowerEU-Plan soll die Solarenergie bis 2025 verdoppelt werden. Wie realistisch sind diese Ziele?
Josef Plank: Grundsätzlich ist diese Beschleunigung sehr positiv, aber hoch anspruchsvoll, wenn man sich anschaut, wie diese Pläne gerade in Zeiten wie diesen umsetzbar sind. Dahinter steht ein riesiges Transformations- und Investitionsvolumen.
Warum kommt diese Beschleunigung gerade jetzt?
Plank: Die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen und insbesondere die enorme Abhängigkeit von Russland hat den Stress zu mehr Eigenproduktion natürlich erhöht. Es ist ein klares Signal. Wobei der Klimaschutz wäre auch ohne Sanktionen ein Gebot der Stunde.
Haben die EU-Pläne auch Auswirkungen auf die nationalen Ziele?
Plank: In Österreich haben wir im Strombereich schon jetzt den Plan der Bundesregierung, 2030 de facto 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen zu haben. Gleichzeitig gibt es die Notwendigkeit, auch im Bereich Wärme, Mobilität und bei Industrieprozessen, raus aus fossilen Energieträgern zu kommen. Also auch in Österreich ist die Dynamik deutlich erhöht worden.
Wie rasch können erneuerbare Energien russisches Gas kompensieren?
Plank: Bei Beschleunigung aller Kräfte in diese Richtung wird es etwa zehn Jahre dauern. Das Grundverständnis, diesen Weg zu gehen, ist zwar groß, aber das Commitment, wo die erneuerbaren Anlagen stehen, ist gering. „Ja, aber bitte nicht vor meiner Haustür.“ Das wird nicht funktionieren. Erneuerbare Energie braucht Fläche, um Photovoltaik, Biomasse, Windenergie oder Wasserkraft weiterzuentwickeln.
Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) ist seit dem Vorsommer die Grundlage für Energiegemeinschaften. Warum war es dem Gesetzgeber ein Anliegen, die Energieerzeugung dezentral voranzutreiben?
Plank: Der österreichische Gesetzgeber hat das Thema nicht erfunden, sondern es stecken europäische Richtlinien dahinter. Wenn man die ambitionierten Ziele sieht, ist es natürlich notwendig, die Bürger stärker in diese Energiewende einzubinden und ein gutes Instrument dafür ist die Energiegemeinschaft. Energie wird aus unterschiedlichen Quellen produziert und man versucht diese möglichst in der Region zu halten und zu verbrauchen. Der Gesetzgeber hat dafür auch einen Bonus und gewisse Entlastungen vorgesehen.
„Hier wird wieder regionale Verantwortung übernommen.“
Josef Plank
Welchen Beitrag können Energiegemeinschaften zur Energiewende leisten?
Plank: Ich würde das jetzt nicht an irgendeiner Prozentzahl festmachen wollen. Der große Vorteil ist, dass hier – stärker als in der Vergangenheit – wieder regionale Verantwortung übernommen wird. Es geht nicht nur um Anlagen, sondern viel mehr darum, dass Verbrauch und Produktion stärker aufeinander abgestimmt werden. Das ist bei erneuerbarer Energie besonders wichtig, da am Ende vielleicht auch in gemeinsame Speicheranlagen investiert wird. Hier entsteht gemeinsame Verantwortung für das Energiesystem. Auch wir als Raiffeisen wollen hier entsprechend offensiv sein.
Gesetzliche Voraussetzungen sind das eine. Was braucht es, um eine Energiegemeinschaft zu bilden?
Christoph Hammerl: Der wesentliche Punkt: Man braucht Anlagen. Das können klassische Photovoltaikanlagen, kleine Wasserkraftwerke oder das Windrad ums Eck sein, die schon bestehen oder aber auch neu errichtet werden. – Der zweite Punkt ist die technische Expertise von externen Partnern für ein Stromabrechnungssystem, denn der genutzte Strom muss ja auch innerhalb der Energiegemeinschaft abgerechnet werden. Und drittens braucht es eine Person, Organisation oder Gemeinde, die das in die Hand nimmt.
Wenn drei Hausbesitzer Photovoltaikanlagen haben, macht es da schon Sinn, eine Energiegemeinschaft zu gründen?
Hammerl: Das Um-und-Auf-Kriterium für die Wirtschaftlichkeit ist die Zusammensetzung der Mitglieder. Haushalte, die Stromspitzen in der Früh und am Abend haben, und Unternehmen, die den Strom untertags brauchen. Ein gesunder Mix aus Haushalten, öffentlichen Gebäuden und Unternehmen garantiert eine hohe Wirtschaftlichkeit. Um auf das Beispiel zurückzukommen, grundsätzlich ist auch hier die Gründung einer Energiegemeinschaft möglich, aber gerade für Genossenschaften geht der Fokus ganz klar in Richtung größerer Strukturen, wo ganze Ortschaften und Gemeinden umfasst werden. Für die Gründung einer erneuerbaren Energiegenossenschaft haben wir uns auf einen Anhaltspunkt verständigt: Der jährliche Stromverbrauch aller Interessenten sollte ungefähr 80.000 Kilowattstunden betragen, das entspricht zirka 30 Haushalten.
„Das Um-und-auf-kriterium ist die Zusammensetzung der Mitglieder.“
Christoph Hammerl
Für Energiegemeinschaften kommen in der Praxis als Rechtsform entweder Verein oder Genossenschaft in Frage. Was spricht für eine Genossenschaft?
Plank: Wenn sich ein paar Kleinverbraucher zusammentun, dann werden sie wahrscheinlich die für sie einfachste Lösung nehmen, das ist ein Verein. Wenn aber mehr Leute dahinterstehen, vielleicht auch Institutionen, Unternehmen oder kommunale Einrichtungen, sind zwei Dinge wichtig: Erstens einmal, dass es eine entsprechende Professionalität in der Betreuung gibt, auch für die Rechtsform, und dass es verbindlich ist, also jemand Externer drüberschaut. Die Revision ist natürlich etwas mehr Aufwand, aber man schafft diese Verbindlichkeit, die viele gerne haben wollen oder brauchen. Für Projekte mit regionaler Energieverantwortung und Gemeinden ist die Genossenschaft genau das Richtige. Wenn man die Gemeinschaft längerfristig anlegt und Potenziale heben will, tut man auch gut daran, nicht zu klein zu denken.
Die Voraussetzungen für eine erneuerbare Energiegenossenschaft sind die gleichen wie für andere Genossenschaften?
Plank: Grundsätzlich ja, der Zweck ist hier eben die Energieversorgung. Unsere Aufgabe war, federführend vom Kollegen Hammerl, mit den Revisionsverbänden gemeinsam einen Leitfaden zu entwickeln, Musterdokumente zu erstellen und alle Eckpunkte abzuklopfen und vorzubereiten, dass alle auf die gleichen fundierten Grundlagen zurückgreifen können.
Wie groß ist die Nachfrage nach Energiegenossenschaften?
Hammerl: Wir merken eine große Nachfrage – vom Bodensee bis zum Neusiedler See. Die Interessenten wenden sich dabei immer an die jeweiligen Revisionsverbände in den Bundesländern. Grundsätzlich sind wir als Österreichischer Raiffeisenverband gemeinsam mit den Landesrevisionsverbänden seit zwei Jahren an dem Thema dran. Wir übernehmen die Koordinierung; die praktische Umsetzung erfolgt in den jeweiligen Landesrevisionsverbänden. Da ein sehr hoher Informationsbedarf besteht, haben wir auch die Website kooperieren.at ausgebaut und ein Video sowie einen Folder produziert.
Was motiviert Bürger oder Unternehmen bei einer Energiegenossenschaft Mitglied zu werden?
Hammerl: Es ist ein ökologisches Thema, wo man gemeinsam etwas bewegen kann. Der Bäcker ums Eck ist dabei, die Schule, der Bauhof, das Gemeindeamt und Einfamilienhäuser sind dabei. Das ist sicher der ganz große Motivator. Die erneuerbare Energiegemeinschaft ist der erste Schritt hin zu einer energieautarken Gemeinde, wo man auch die Bürger aktiv ins Zentrum der Energiewende holt. Die Genossenschaften werden zum Motor der Energiewende.
Können Raiffeisenbanken und Lagerhäuser auch aktiv daran teilnehmen?
Hammerl: Teilnehmen kann eigentlich jeder. Es gibt per Gesetz nur zwei Ausnahmen, Großunternehmen und Energieversorgungsunternehmen. Eine unterstützende Rolle von Raiffeisenbanken, aber auch Lagerhäusern ist in jedem Fall wichtig und erstrebenswert.
Wird der Strom für die Mitglieder einer Energiegenossenschaft billiger?
Plank: Es wird billiger, weil man sich einen Teil der Netzgebühren erspart, und auch die Energieabgabe, die Ökostromabgabe – die jetzt allerdings für alle ausgesetzt worden ist.
Wie viele Energiegenossenschaften wurden bereits gegründet?
Hammerl: In ganz Österreich wurden bisher etwas mehr als 15 erneuerbare Energiegenossenschaften gegründet, neun davon bei Raiffeisen. Man ist jetzt in der klassischen Pionierphase – nicht nur bei Raiffeisen, sondern im ganzen Energiesektor –, wo einige Punkte noch nicht ganz finalisiert sind, wie etwa die energiewirtschaftliche Plattform für die Stromabrechnung. Das betrifft zwar primär die Netzbetreiber, ist aber eine Voraussetzung für funktionierende Energiegemeinschaften. Da ist noch Vorarbeit der Netzbetreiber nötig. Das wird aber im Herbst fertig sein.
Welche Rolle nehmen traditionelle Energieversorgungsunternehmen ein?
Plank: Es wäre übertrieben zu sagen, dass wir dort die Haupttreiber für die Entwicklung haben. Aber eine Energiegenossenschaft tut gut daran, auch mit dem Energieversorger in einer vernünftigen Form zusammenzuarbeiten, weil sie wird möglicherweise mal Strom brauchen oder vielleicht auch zu viel Strom haben, der muss verkauft werden. Auf jeden Fall gibt es Berührungspunkte zu den Netzbetreibern. Sie müssen per Gesetz die Energiegenossenschaften aufnehmen und zulassen. Auf der anderen Seite ist das Netz ein großer Faktor in der Umsetzung dieser Energiewende. Konzipiert ist das Stromnetz ja für ein großes Kraftwerk mit einer starken Leitung weg. Jetzt haben wir plötzlich 10.000 oder 100.000 Stromerzeuger, die einspeisen wollen. Das ist für die Netzbetreiber eine große Herausforderung, keine Frage, aber auch für die Genehmiger und die Finanzierer von Infrastruktur.
Ist das Netz die größte Herausforderung, um Energiegemeinschaften voranzutreiben?
Plank: Für die dezentrale Entwicklung gibt es zwei begrenzende Faktoren: Neben der Netzkapazität ist es die hohe Nachfrage und damit die extrem langen Liefer- und Errichtungszeiten. Natürlich gehen auch die Genehmigungen viel zu langsam, gerade bei größeren Anlagen gibt es oft Einsprüche. Das ist tatsächlich ein Riesenproblem für den gesamten Ausbau.
Bei Biomassegenossenschaften gab es immer wieder mal Probleme, als sich die Förderungen verändert haben. Gibt es das Risiko, dass bei den erneuerbaren Energiegenossenschaften nach dem Hype auch eine Ernüchterung kommt?
Plank: Für viel Hype ist jetzt kein große Grundlage da. Die Boomphase ist durch den hohen Strompreis etwas draußen, was ich aber nicht schlecht finde, weil jetzt in Ruhe für die normale Zeit danach gelernt werden kann. Außerdem sind die Investitionsnotwendigkeiten mit einer Biomasse-Fernwärmeanlage nicht vergleichbar. Das Thema ist etwas flacher. Trotzdem ist es wichtig, dass der wirtschaftliche Aspekt stets oben drüber steht.
Wie viel Potenzial sehen Sie bei Energiegenossenschaften?
Plank: Wir haben jetzt neun, aber wir haben uns keine Latte gelegt. Unsere Zielgruppe sind Gemeinden und Regionalverbände, die in dem Bereich mehr tun wollen und stark ins Energiemanagement hineingehen. Für uns ist wichtig, dass Raiffeisen bei diesem Thema ganz vorne dabei ist, nicht nur im Bereich Energiegenossenschaften als Partner auftritt, sondern auch wenn es um die Finanzierung geht. Dezentrale Energieversorgung ist notwendig und Raiffeisen ist dabei ein verlässlicher Partner.