In den letzten beiden Jahren ist die Austria jeweils hauchdünn und in letzter Sekunde am Meistertitel vorbeigeschrammt. Sitzt der Stachel noch tief?
Filip Babic: Leider, ich erinnere mich nur sehr ungern daran zurück. Vor allem letztes Jahr war es bitter: Wir hatten nach der Punkteteilung (Anm.: der Modus ist analog zur „echten“ Bundesliga) zehn Punkte Vorsprung, das kann man fast nicht mehr verspielen. Wir hatten im Grunddurchgang die beste Ausbeute aller Zeiten, es hat trotzdem nicht gereicht. Dieses Jahr wollen wir uns keinen Druck machen und schauen, was geht. Wir liegen derzeit knapp hinter Altach, wissen aber aus eigener Erfahrung, dass es erst jetzt ums Ganze geht. Wenn wir alle unsere Leistungen abrufen, kann es heuer gelingen.
Ihr gehört unbestritten zu den Top-Teams des Landes und zum engsten Favoritenkreis. Was macht euch so stark?
Babic: Ganz klar: unsere individuelle Stärke. Es geht in der eBundesliga immer eins gegen eins, jeder von uns ist schwer zu schlagen. Zum Team gehören noch Marcel Holy und Maxi Mayrhofer. Jeder von uns hat den Bewerb schon einmal gewonnen, was wichtig ist, da man weiß, auch den letzten Schritt noch gehen zu können. Wir sind das mit Abstand routinierteste Team im Finale, bringen auch viel internationale Erfahrung mit.
Im Einzel ist allerdings mit Marcel Holy nur einer von euch am Start.
Babic: Das ist verrückt! Maxi und ich waren in den letzten beiden Jahren immer Top 4 oder Top 2 und sind diesmal in der Runde der letzten 64 ausgeschieden. Das war eine kalte Dusche für uns beide. Das zeigt aber auch, wie eng Freud und Leid auf dem Niveau beieinander liegen.
Gespielt wird FIFA23 auf der PS5. Wie läuft so ein Final-Wochenende ab?
Babic: Im MuseumsQuartier sind nur noch die besten sechs Teams dabei (Anm.: neben der Wiener Austria noch Altach, Salzburg, Sturm Graz, Austria Klagenfurt und Austria Lustenau). Es sind also nur noch fünf Runden pro Mannschaft (je drei Spiele pro Runde), die haben es aber in sich. Der Druck ist riesig, alles wird von Kameras festgehalten, du hast ständig die Tabelle im Hinterkopf. Ein Ausrutscher, und du stehst mit dem Rücken zur Wand!
Wie bereitet ihr euch vor?
Babic: In den Tagen davor gibt es ein Boot-Camp in der Generali Arena (Anm.: Heim-Stadion von Austria Wien). Dort werten wir Video-Material unserer Gegner aus, besprechen unsere eigene Taktik, analysieren Stärken und Schwächen. Wir vollen top vorbereitet sein, damit uns am Final-Wochenende nichts überraschen kann. Es ist ja nicht so wie im Fußball, wo du 90 Minuten Zeit hast und dir auch mal eine schwächere Periode von 15 Minuten erlauben kannst. Wir spielen 2 x 6 Minuten, da kann eine kleine Unaufmerksamkeit ein ganzes Spiel entscheiden. Ein Schnitzer und man ist weg. Deshalb ist es auch ganz wichtig, physisch topfit zu sein. Nur dann ist man auch mental stark.
Was denkst du über die alte Frage, ob eSports auch wirklich Sport ist?
Babic: Darüber kann ich nur lachen. Am Ende eines Tages ist man komplett durchgeschwitzt und fertig. Nur wer zum Ausgleich trainiert und auf seine Ernährung achtet, kann wirklich vorne mit dabei sein. Ich gebe aber zu, dass ich früher selbst dachte: Okay, die zocken halt ein bisschen auf der PlayStation herum, da steckt nicht viel dahinter. Aber so ist es nicht.
Du hast deine Karriere bei Sturm Graz gestartet, bist aber aktuell bei der Wiener Austria.
Babic: Als ich mit Sturm den Titel geholt habe, hatte ich danach die Möglichkeit, zwei Jahre international zu spielen. Ich war bei einem Hybrid-Team von AS Roma und Fnatic (eSports-Organisation) und habe auch für den 1. FC Köln gespielt. Bei der Austria gibt es große Ambitionen, weswegen ich mich bei meiner Rückkehr nach Österreich für dieses Team entschieden habe. Wobei ich für die Austria nur in der eBundesliga aktiv bin.
Der Laie erkennt oft nur geringe Unterschiede zwischen den FIFA-Versionen jedes Jahr – für euch Experten sind die aber mitunter riesengroß. Wie schwer ist es, sich immer wieder daran zu gewöhnen?
Babic: Jedes Jahr ist es ein neues Spiel mit neuen Mechaniken, an die man sich gewöhnen muss. Und nicht nur das, zum Teil gibt es monatliche Updates, die relativ große Auswirkungen haben. Das ist nicht leicht, da haben es andere eSports-Titel leichter und sind für Spieler auch lukrativer.
Du kannst ja noch umswitchen.
Babic: (lacht) Vergiss es. Wenn du von FIFA auf, sagen wir Counter-Strike wechselst, ist das so, wie wenn ein Fußballer beschließt, plötzlich Tennisprofi zu werden. Das wird auch nicht funktionieren.
Fußballer beenden ihre Karrieren mit etwa Mitte 30. Wie ist das bei den Gamern?
Babic: Das ist noch schwer zu sagen, so lange gibt es die Szene noch nicht. Es hängt davon ab, wie lange die Reflexe mitmachen. Es kann sogar sein, dass die Karrieren kürzer sind als im realen Sport. Es gibt heute 16-Jährige, die reif und schlau sind und einfach schneller als ein 29-Jähriger. Dazu kommt, dass die eSports-Industrie ein junges Publikum im Auge hat.
Machst du es hauptberuflich oder hast du nebenbei einen „echten“ Job?
Babic: Bei mir ist es so, dass ich auch hauptberuflich im eSports tätig bin. Ich lebe zwar in Graz, leite aber in Zagreb ein eSports-Projekt mit einer ukrainischen Firma namens CyberLiveArena. Wir organisieren Turniere, fördern Talente, machen Analysen und Coachings.
Du bist österreichischer eBundesliga-Meister, hast internationale Turniere gewonnen, spielst als gebürtiger Kroate auch für das Nationalteam der „Feurigen“. Hast du noch ein übergeordnetes Karriere-Ziel?
Babic: Bei einer WM dabei zu sein und die auch zu gewinnen. Das mag hoch gesteckt klingen, aber so ist meine Philosophie: An einem guten Tag kann man jeden schlagen, deshalb will ich jedes Turnier, bei dem ich antrete, auch gewinnen. Wenn man diese Einstellung nicht hat, hat man auf diesem Level meiner Meinung nach nichts verloren.
Auf welche Skills kommt es an, um ein guter Gamer zu werden?
Babic: Ich vergleiche es gerne mit Tennis: Man braucht in erster Linie eine gute Hand-Augen-Koordination. Wenn man etwas sieht, muss man direkt darauf reagieren und seine Entscheidungen blitzschnell ändern können. Dazu kommen ein gutes Feingefühl und mentale Stärke, die ist ohnehin das Um und Auf. Man muss nicht über die komplette Spielzeit auf höchstem Niveau sein, aber man muss „tough to beat“, also schwer zu schlagen sein. Wenn dein Gegner dich nicht knacken kann, bekommst du deine Chancen. Wenn du dann gnadenlos zuschlägst, kippt das Spiel innerhalb weniger Sekunden auf deine Seite.