Finanzbildung wird vererbt

Österreichs Schüler liegen über dem OECD-Mittelfeld, was Finanzbildung angeht. Doch immer noch ist das Elternhaus ausschlaggebend für die Wissensweitergabe. Ein einheitlicher Wirtschaftsunterricht könnte gerechtere Voraussetzungen schaffen.

Die Ergebnisse der Pisa-Studie sind besser als erhofft. Man freut sich in Österreich über einen sehr guten sechsten Platz, was die Finanzbildung der 15- bis 16-Jährigen betrifft. Der Themenbereich „Financial Literacy“ wurde 2022 erstmals im Rahmen der viel zitierten Pisa-Studie abgefragt. Trotz des guten Ergebnisses wird schnell klar, dass es große Wissensunterschiede bei den Jugendlichen gibt, wenn man die Auswertungen im Detail betrachtet.

Platz 6, aber … 

Eine zentrale Fragestellung der Pisa-Studie ist, wie gut es den unterschiedlichen Schulsystemen gelingt, Schüler auf die Herausforderungen der Zukunft und das „lebenslange Lernen“ vorzubereiten. Beim Thema Finanzbildung geht es konkret darum, ob Jugendliche die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten haben, um finanzielle Fragen abzuwägen und fundierte Entscheidungen treffen zu können. Am besten haben dabei die belgischen Schüler mit 527 Punkten abgeschnitten, dicht gefolgt von Dänemark (521 Punkte), Kanada (519 Punkte) und den Niederlanden (517 Punkte). Österreich liegt mit 506 Punkten genau zwischen Tschechien (507 Punkte) und den USA (505 Punkte). Der OECD-Durchschnitt ist bei 498 Punkten angesiedelt. 

Der gute Platz unter den Top Ten beginnt beim genauen Hinsehen aber ein wenig zu wackeln. Hier kristallisiert sich ein relevanter Unterschied zwischen einer sehr leistungsstarken und einer schwachen Gruppe heraus: 13 Prozent der österreichischen 15-Jährigen rangieren auf der höchsten Leistungsstufe und befinden sich damit im OECD-Spitzenfeld (OECD-Schnitt: 11 Prozent). Diese Teenager sind in der Lage, eine breite Palette von Finanzbegriffen zu definieren, Konsequenzen von Finanzentscheidungen zu beschreiben und komplexe Finanzprodukte zu analysieren. Die leistungsschwache Gruppe liegt mit 17 Prozent einen Prozentpunkt unter dem OECD-Durchschnitt. Diese Schüler können zwar einfache Finanzentscheidungen treffen, die ihr Alltagsleben betreffen, sobald die Fragestellungen aber komplexer werden – etwa bei der Abwägung eines Preis-Leistungs-Verhältnisses oder der Umsetzung von Finanzwissen in die Praxis – stoßen sie an ihre Grenzen. Die prozentuelle Aufteilung dieser beider Gruppen entspricht im Großen und Ganzen auch den Ergebnissen in den Bereichen Mathematik und Deutsch.

Ungleiche Voraussetzungen

Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären? Matthias Reisinger, geschäftsführender Vorstand der Stiftung für Wirtschaftsbildung, kommentiert die Ergebnisse folgendermaßen: „Die Pisa-Ergebnisse in Finanzbildung lassen sich mit einem lachendem und einem weinenden Auge betrachten. Denn während Österreichs Schüler im internationalen Vergleich überdurchschnittlich abschneiden, wird Finanzbildung immer noch innerhalb der Familie vererbt.“ 

Bettina Fuhrmann vom Institut für Wirtschaftspädagogik an der WU Wien bezeichnet die große Spannweite als alarmierend. Denn es sind genau jene Schüler aus wohlhabenden, gebildeten Familien, die bei der Pisa-Studie im Finanzbereich sehr gut abgeschnitten haben. Dem gegenüber stehen Kinder aus sozial benachteiligten Familien, die der leistungsschwachen Gruppe zugeordnet werden können. Rund 100 Punkte liegen zwischen diesen beiden Welten. Damit befindet sich Österreich über dem OECD-Schnitt von 87 Punkten. Noch ausgeprägter ist der Wert bei Schülern mit Migrationshintergrund – hier beträgt der Leistungsunterschied 63 Punkte und ist damit doppelt so hoch als in den Vergleichsländern. Der sechste Platz ist aus der Sicht von Fuhrmann kein Grund zum Jubeln, da aus den Detailergebnissen ersichtlich wird, dass viele Teilnehmer der Studie Aufholbedarf haben und nicht in der Lage seien, alltägliche finanzielle Entscheidungen bewusst treffen zu können.

Was die Geschlechteraufteilung betrifft, so haben in acht Ländern Mädchen besser abgeschnitten als Burschen. Nicht so in Österreich – bei uns lagen die Schülerinnen um 8 Punkte hinter ihren männlichen Kollegen.  Diese waren auch öfter in der leistungsstarken Gruppe vertreten (16 gegenüber 11 Prozent).

Wer hat die Lösung?

Wer nicht mit Geld umgehen kann, tappt leicht in die Schuldenfalle, wie die Schuldnerberatung des Fonds Soziales Wien weiß. Dort beobachtet man eine gestiegene Jugendverschuldung, die unter anderem auf Social Media oder sozialen Druck zurückgeführt werden kann. Um auch Schüler aus bildungsfernen Familien thematisch abzuholen, raten Experten dazu, die Vermittlung von Wirtschafts- und Finanzwissen bereits in der Schule zu verankern. Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung, ist überzeugt: „Die Verbesserung der Finanz- und Wirtschaftsbildung an den Schulen ist ein besonders wirksamer Hebel, um jungen Menschen einen guten Start ins Leben nach der Schule zu ermöglichen.“ 

Auch Teodoro Cocca, Professor für Asset Management an der Johannes Kepler Universität in Linz, sieht dringenden Handlungsbedarf. Er plädiert dafür, ausgebildete Fachexperten an den Schulen mit einem eigenen Unterrichtsfach „Wirtschaft“ zu betrauen. Im Hinblick darauf, den Alltag auch aus finanzieller Sicht meistern zu können und ein grundlegendes Verständnis für Finanzen, aber auch Wettbewerb und wirtschaftliche Hintergründe zu implementieren. Dieses Ziel verfolgt auch das Pilotprojekt der Stiftung für Wirtschaftsbildung, bei dem 60 österreichische Schulen teilnehmen. Diese werden vier Jahre lang von der Stiftung bei der Umsetzung individueller Projekte begleitet. Die Erfahrungen sind positiv und berichten von einem verstärkten Bewusstsein der Schüler für die Thematik. Ein erster Schritt, dem weitere folgen sollten, um alle Schüler mit dem notwendigen Rüstzeug auszustatten.

AusgabeRZ28-24

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