Himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt

Lange Zeit war Österreich bei EM-Endrunden nur Zuschauer – dabei gab es durchaus auch Glanzmomente. Tatsächlich war das Nationalteam einst sogar Europameister.

Die Mannschaft von Trainer Hugo Meisl ging als „Wunderteam“ in die Geschichte ein und gewann 1932 den Europapokal der Fußball-Nationalmannschaften.
Die Mannschaft von Trainer Hugo Meisl ging als „Wunderteam“ in die Geschichte ein und gewann 1932 den Europapokal der Fußball-Nationalmannschaften. © Picturedesk.com/brandstaetter images/Votava

Wenige Tage vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland zeigt bei den rot-weiß-roten Fans die Spannungskurve nach oben. Vorfreude und Euphorie sind nicht nur aufgrund der souverän gelungenen Qualifikation hoch – auch der historische erstmalige Vorstoß bis ins Achtelfinale bei der vergangenen EURO 2021 hat die Erwartungen unter den österreichischen Anhängern in die Höhe geschraubt.

Doch das war nicht immer so, wie ein Blick in die Geschichtsbücher der Nationalmannschaft zeigt: Österreichs Bilanz bei Fußball-Europameisterschaften ist trotz des starken Auftritts vor drei Jahren sowohl quantitativ als auch qualitativ überschaubar – zumindest jene unter der Schirmherrschaft der UEFA.

Seit der europäische Fußballverband die EM organisiert, nahm der ÖFB in 64 Jahren nur vier Mal an einer Endrunde teil – 2008, 2016, 2021 und eben heuer. Tatsächlich reicht die Geschichte der Fußball-EM jedoch viel weiter zurück – und in ihrer Entstehung spielte Österreich sehr wohl eine gravierende Rolle.

Meisls Traum

Springen wir zurück in die 1920er-Jahre. Es war ausgerechnet ein Wiener, der erstmals die Idee eines Turniers der europäischen Nationalmannschaften aufs Tapet brachte: Hugo Meisl. Im Zuge der zunehmenden Professionalisierung des Fußballs träumte er davon, mit Duellen zwischen den besten Länderauswahlen die Leidenschaft für den Sport bei den Fans zu entfachen. Mit Erfolg: 1927 wurde Meisls Idee mit der ersten EM Wirklichkeit, die damals noch als Europapokal der Fußball-Nationalmannschaften firmierte. Bereits bei der zweiten Austragung 1931/32 gelang, was aus heutiger Sicht unglaublich scheint: Österreich gewann das Turnier und wurde Europameister – bis heute der einzige Titelgewinn einer ÖFB-Auswahl und die Geburtsstunde des sogenannten „Wunderteams“ von Trainerlegende Meisl.

Freilich war das damalige Turnier mit dem heutigen kaum zu vergleichen. Nur fünf Mannschaften – Österreich, Italien, Ungarn, die Tschechoslowakei und die Schweiz – nahmen teil, heutzutage sind es 24. Gespielt wurde in einem Meisterschafts- statt einem Pokalmodus.

Enttäuschende Heim-EM

Ab 1960 übernahm die UEFA die Organisation der EM, zunächst noch als Europapokal der Nationen. Die ersten Wettbewerbe fanden im K.-o.-System statt. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl begann die Endrunde erst mit dem Halbfinale – welches das ÖFB-Team nach dem Coup 1931/32 nie mehr zu erreichen vermochte. Auch die Aufstockung auf 16 Endrunden-Teilnehmer und die Umstellung auf den heute bekannten Qualifikationsmodus brachte für Österreich nichts Zählbares.

Erst 2008 wurde auch in der Alpenrepublik wieder Fußballfieber entfacht: Als Co-Gastgeber neben der Schweiz durfte Österreich nicht nur die großen europäischen Fußballnationen im Land begrüßen, sondern war selbst gesetzter Teilnehmer. Die Elf um Teamchef Josef Hickersberger konnte somit erstmals seit Einführung der modernen EM im Konzert der Großen mitspielen – auf dem Rasen folgte jedoch bereits im Auftaktspiel mit einem 0:1 gegen Kroatien große Ernüchterung. Den einzigen Punktgewinn sicherte dann der eingewechselte Ivica Vastic mit dem 1:1-Ausgleich gegen Polen per Elfmeter in der 93. Minute. Bis heute ist er mit damals 38 Jahren, acht Monaten und 14 Tagen der älteste EM-Torschütze überhaupt. Mit einer 0:1-Pleite gegen Deutschland durch einen Freistoß von Michael Ballack war das Aus in der Gruppenphase dann besiegelt.

Es sollte weitere acht Jahre dauern, bis Österreich erneut zu einer EM fahren durfte. Unter Teamchef Marcel Koller spielte das Team wie verwandelt auf und meisterte die Qualifikation nicht nur erstmals sportlich, sondern auch als ungeschlagener Gruppensieger. Auf den Hype vor der Endrunde 2016 in Frankreich folgte dort jedoch wieder eine kalte Dusche: Trotz Favoritenrolle schlitterte man gegen Ungarn in eine 0:2-Niederlage. Gegen Portugal mit Superstar Cristiano Ronaldo errang Österreich dann zwar ein 0:0 und hielt die Aufstiegschance am Leben. Durch ein 1:2 gegen Island war diese jedoch ebenfalls dahin und das Nationalteam als Gruppenletzter ausgeschieden.

Sasa Kalajdzic konnte mit seinem Tor in der Verlängerung gegen Italien das Achtelfinal-Aus des Nationalteams bei der EURO 2021 nicht verhindern.
Sasa Kalajdzic konnte mit seinem Tor in der Verlängerung gegen Italien das Achtelfinal-Aus des Nationalteams bei der EURO 2021 nicht verhindern. © Picturedesk.com/EXPA/Focus Images

Glanzvolle Niederlage

Auf Koller folgte Franco Foda als Teamchef, und dem nicht unumstrittenen Trainer gelang schließlich bei der EURO 2020, die coronabedingt erst 2021 stattfand, der bisher größte Erfolg in der österreichischen EM-Geschichte seit Hugo Meisl. Mit 3:1 feierte man zum Auftakt gegen Nordmazedonien den ersten Sieg bei einer Endrunde. Darauf folgte zwar ein 0:2 gegen die Niederlande, dennoch wurde danach mit einem 1:0-Sieg gegen die Ukraine der Aufstieg ins Achtelfinale fixiert. Dort wartete niemand Geringerer als Italien. Doch wer dachte, die Österreicher würden sich von dem Fußballgiganten vom Platz schießen lassen, erlebte eine Überraschung: David Alaba und Co. boten der „Squadra Azzurra“ über lange Zeit nicht nur Paroli – streckenweise war Österreich sogar die bessere Mannschaft. Mit Fortdauer des Spiels wurde selbiges zu einer Achterbahnfahrt der Gefühle. Marko Arnautovic drehte bereits zum Jubel ab, als sein Treffer wegen Abseits vom Videoschiedsrichter zurückgenommen wurde. Nach torlosen 90. Minuten ging es in die Verlängerung – und die sollte bitter enden: Italien stellte mit einem Doppelschlag auf 2:0. Sasa Kalajdzic durchbrach zwar nach 1.168 Minuten die Torsperre der Italiener, sein Anschlusstreffer zum 1:2 kam jedoch zu spät.

Am Ende hingen beim ÖFB-Team zwar einmal mehr die Köpfe, jedoch überwog diesmal der Stolz auf die historische Leistung: Erster Sieg, erstmals in der K.-o.-Phase und dort Italien bis zuletzt die Stirn geboten – einer Weltklasse-Mannschaft, die immerhin das Turnier gewinnen sollte.

Nun sollen bei der EURO 2024 in Deutschland die nächsten spielerischen Highlights folgen. Dass mit Ralf Rangnick mittlerweile nicht nur ein Deutscher, sondern auch ein echter Kapazunder als Teamchef am Werk ist, dämpft die Erwartungshaltung nicht gerade. Klar ist: Der Startrainer hat die ÖFB-Kicker noch einmal auf ein höheres Level gehoben – das beweisen nicht nur die erfolgreiche Qualifikation mit sechs Siegen, einer Niederlage und einem Remis, sondern auch Triumphe gegen namhafte Gegner wie etwa Deutschland, Italien, Kroatien oder die Türkei.

Rangnick und sein Team wollen bei dieser EURO jedenfalls erneut Geschichte schrei­ben. Die Frage, ob das gelingen wird, lässt sich am besten mit einer alten Fußballweisheit beantworten: Die Wahrheit liegt auf dem Platz.