An den Börsen sind Wahljahre nichts für schwache Nerven. Auch wenn im heurigen Superwahljahr schon einige politische Rennen entschieden wurden – wie etwa die Wahlen zum Europäischen Parlament oder jene in Frankreich – das große Highlight steht in weniger als 80 Tagen am 5. November 2024 mit den US-Wahlen erst bevor. 

Der Rückzug des amtierenden US-Präsidenten Joe Biden und die Unterstützung der Demokraten für Vizepräsidentin Kamala Harris, die gegen den Republikaner und Ex-Präsidenten Donald Trump antreten wird, hat eine neue Dynamik in den Wahlkampf gebracht. Für die nächsten Wochen steht den Finanzmärkten angesichts der höheren Volatilität, der schwachen globalen Wirtschaftsentwicklung und der weiteren Aussichten bei der Zinsentwicklung einiges an Unsicherheit bevor.

Roter Bulle blauer Bär, Symbolbild für US Wahlen und Republikaner und Demokraten

Die wichtigsten US-Wahlen

Obwohl Fundamentaldaten und Bewertungen langfristig den Ton an den Aktienbörsen angeben, lässt sich ein bedeutender Anteil der Marktentwicklung durch das Zusammenspiel zwischen Erwartungen und Enttäuschungen erklären. Es ist daher ratsam, die politischen Agenden der jeweiligen Kandidaten genau im Auge zu behalten und gegen die tatsächliche Umsetzbarkeit abzuwägen. 

„Angesichts der aktuellen globalen Themen kann man sicher sagen, dass es die wichtigsten US-Wahlen seit mehreren Jahrzehnten sein werden. Und auch für die Märkte spielen die US-Wahlen in der größten Volkswirtschaft der Welt traditionell eine wichtige Rolle“, erklärt Gunter Deuber, Leiter von Raiffeisen Research.

Bis zum Rückzug Bidens aus dem Wahlkampf galt ein Sieg von Ex-Präsident Donald Trump, insbesondere nach der ersten US-TV-Debatte, als sehr wahrscheinlich. Mittlerweile sieht Gunter Deuber aber die Demokratin Kamala Harris im Vorteil, auch wenn sie bisher auch aufgrund der fehlenden Unterstützung ihrer Partei kaum glänzte. „Aber jetzt rennen die Demokraten für sie. Sie stehen hinter ihr. Man sieht sofort, da kommt ein anderes Momentum in den Wahlkampf rein“, so Deuber. Jetzt sei die Frage, ob das so auch bis zum Schluss halten werde. Zudem bewies Kamala Harris mit Tim Walz (60) bei der Auswahl ihres „Running Mate“ (Kandidaten für den Vizepräsidenten, Anm.) laut Deuber ein besseres Händchen als ihr Gegner Donald Trump mit dem US-Senator James David Vance (40), der bisher vor allem mit abfälligen Aussagen für Schlagzeilen sorgt. Das könnte vor allem bei den unentschlossenen Wählern den Ausschlag für Harris geben, meinen Wahlbeobachter.

„In einer rein wirtschaftspolitischen Denkart und auch in Richtung Börse gedacht, ist Kamala Harris nicht ‚the most favorite candidate‘“, so Deuber. Kurzfristig gesehen wäre also Donald Trump der Wunschkandidat. Denn der aggressive Protektionismus, den er anschlägt, könnte nicht nur negativ für die US-Wirtschaft sein. Dazu komme, dass die Börsen im Falle eines Sieges des Ex-Präsidenten von einer höheren Planbarkeit ausgehen. Aber mittel- bis langfristig wäre Trump 2.0 mit fiskalischen und politischen Risiken sowie Inflationsrisiken versehen. „Insoweit wäre er keine langfristige Stütze für die Börsen“, ist Deuber überzeugt. Als ein Beispiel dafür nennt der Raiffeisen-Experte den „institutionellen Populismus“ Trumps. So will der ehemalige US-Präsident etwa bei den Entscheidungen der US-Notenbank Fed mitreden. Er hat aber auch schon angedeutet, dass ein US-Präsident mehr als zwei Amtszeiten haben sollte.

Gunter Deuber © RBI/Martin Schreiber
Gunter Deuber © RBI/Martin Schreiber

Robuste Konjunktur

Erstaunlich für Deuber ist, dass der amtierende Präsident Joe Biden neben seinen übrigen Schwächen auch einen wirtschaftlichen Malus bei den Wählern hatte, obwohl die Wirtschaft in seiner Ära in Summe zwar „nicht super gut, aber immerhin relativ gut gelaufen ist“. Im Vorjahr legte die US-Wirtschaft um 2,5 Prozent zu und auch für heuer wird ein Wachstum von über 2 Prozent erwartet. Zum Vergleich: In Österreich schrumpfte 2023 die Wirtschaftsleistung um 0,8 Prozent und im Euroraum leicht um 0,1 Prozent. Damit zeigte die US-Konjunktur trotz zahlreicher Widrigkeiten, mit denen die Wirtschaft zu kämpfen hat, wie hohen Zinsen von über 5 Prozent, einer immer noch erhöhten Inflation und einer Verschlechterung am Arbeitsmarkt, eine starke Resilienz.

„Es gibt allerdings erste Anzeichen, dass die Effekte der restriktiven Geldpolitik zu wirken beginnen“, so Deuber mit Hinweis auf die jüngsten Bremsspuren am Arbeitsmarkt und beim Konsum. Allerdings sei die Entwicklung nicht besorgniserregend. Die Abschwächung erfolge von einem immer noch relativ gutem Niveau aus. „Die US-Wirtschaft sollte sich nicht so dramatisch abkühlen, dass man bis zur Wahl gröbere Effekte sehen wird“, so der Raiffeisen-Ökonom. 

Der US-Konsument sei der Treiber für die Märkte – die aktuelle Schwäche versetze die US-Notenbank Fed in Alarmstimmung. Und auch die Inflation liege mittlerweile knapp unter den Anlegererwartungen. Somit stehen derzeit die Zeichen auf Zinssenkung, was eher für Harris und das aktuelle Set-up spreche als für Trump, meint der Raiffeisen-Analyst. Dass sich die US-Wirtschaft trotz immer wieder aufkommender Rezessionsängste robuster entwickelt als erwartet, führt er darauf zurück, dass sich viele Großunternehmen auf eine Rezession vorbereitet hatten, die nicht gekommen sei. Davon habe die Wirtschaft lange auf der Gewinnseite profitiert. Jetzt laufen diese Effekte aber langsam aus. 

Weiterhin vorsichtig agieren

Für Überraschungen für die Wirtschaft – und die müssten nicht immer positiv sein – könnte Kamala Harris sorgen, schätzt Deuber. So sei die Zerschlagung der großen Tech-Unternehmen in den USA immer wieder ein politisches Thema. Dies werde vor allem in Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI) von den Demokraten ins Auge gefasst und hätte auch „spannende Folgen für die Börsen“. Denn ein Gutteil der starken Performance der US-Indizes geht auf die Entwicklung der Tech-Werte zurück. Das erklärt zum Teil auch die Unterstützung des mächtigen US-Milliardärs und -Unternehmers Elon Musk für Donald Trump.

„Insgesamt wird die Volatilität an den Börsen bis hin zur Nervosität zunehmen, je näher der Wahltermin rückt – vor allem in diesem Szenario, das wir jetzt haben. Denn die Wahlentscheidung kann in beide Richtungen, Harris oder Trump, gehen“, so Deuber. Im Wahlkampf könnte es mehrmals hin und her gehen. Zudem seien die Bewertungen vor allem an der US-Börse trotz der August-Korrektur nach wie vor hoch, weil sich die Indizes bis auf den Auslöser Japan rasch erholt haben. „Der Sell-off ist wieder fast ausgewaschen“, sagt Deuber. Angesichts dieser Gemengelage gelte es, an den Märkten weiterhin vorsichtig zu agieren. 

Donald Trump © Shutterstock
Donald Trump © Shutterstock

Trump steht für „Old Economy“

Unter Marktteilnehmern gilt Donald Trump als wohlgesonnen gegenüber Industrien der sogenannten „Old Economy“. Klimawandel und Umweltschutz wurden zumeist von ihm belächelt und auch den großen Tech-Konzernen stand und steht er alles andere als freundlich gegenüber. Am Aktienmarkt spiegelt sich dies jedoch nicht wider. Ironischerweise waren es zu seinen Zeiten als US-Präsident einzig und allein Aktien aus dem Energiesegment, welche teils drastische Kursrückgänge zu verbuchen hatten. Tech-Werte und Aktien, die als nachhaltig klassifiziert werden, erlebten in der Ära Trump einen regelrechten Boom und ließen den breiten US-Markt hinter sich. 

Auch unter Biden geht der Tech-Hype dank des KI-Themas weiter. Die stärksten Anstiege gibt es bisweilen jedoch im Energiesektor, wohingegen ESG-Aktien einen schwereren Stand haben – trotz umfangreicher energiepolitischer Agenda der Biden-Administration. Ungeachtet der heiklen budgetären Lage will Donald Trump unter anderem die Körperschaftsteuer abermals senken – von 21 auf 20 Prozent. Kann Trump seine Pläne umsetzen, würde dies für den US-Aktienmarkt daher mehrheitlich die Beibehaltung des Status quo bedeuten, was durchaus positiv zu bewerten wäre.

Dagegen war Kamala Harris in ihrer Programmatik lange vage geblieben. Nun kündigt sie an, bei einem Wahlsieg die Senkung der Lebenshaltungskosten für die US-Bürger zu ihrer Priorität zu machen. So wolle sie Steuern für die Mittelschicht senken sowie gegen überhöhte Lebensmittelpreise, zu hohe Kosten für Immobilieneigentum und gegen Mietwucher vorgehen. Unter anderem stellt sie ein bundesweites Verbot von Preiswucher bei Lebensmitteln und 25.000 Dollar Anzahlungshilfe für Erstkäufer von Wohneigentum in Aussicht. Für viele ihrer Vorhaben bedarf es der Zustimmung des Kongresses, über dessen Zusammensetzung und Mehrheitsverhältnisse bei der Wahl am 5. November ebenfalls abgestimmt wird.

Kamala Harris © Shutterstock
Kamala Harris © Shutterstock

Harris besser für Europa 

Beim Thema Handelspolitik wäre nach Ansicht Deubers Harris die bessere Wahl vor allem aus Sicht Europas: „Trump würde die Protektionismuskarte sicher aggressiver und offensiver gegenüber China spielen, vielleicht aber auch gegenüber Europa.“ Auch wenn ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU vom Tisch sei, habe man sich in den vergangenen Jahren bei vielen kleinen technischen Produktbereichen angenähert und Handelserleichterungen geschaffen. „Dafür steht Harris auch weiterhin“, meint Deuber. Sie würde den Protektionismus gegenüber China klarer vertreten als gegenüber Europa. „Insoweit macht es abseits der unterschiedlichen Rhetorik schon einen Unterschied, wer ins Weiße Haus einziehen wird“, so Deuber. Generell müsse man sagen, dass das Protektionismusthema in den USA und Washington breit gestreut sei. „Deswegen hätte es Trump leichter, in einer neuen Präsidentschaft radikalere Maßnahmen durchzusetzen als in seiner ersten Amtszeit“, so Deuber.

Spannender Herbst

Die heißen Wahlkampfthemen dürften allerdings nicht die Wirtschaftsthemen werden, sondern vor allem die Migration und die Innenpolitik. Trump werde sicher die Karte spielen, dass die Wirtschaft zwar vordergründig ganz gut läuft, aber für den kleinen Mann nicht so viel davon übrig geblieben sei, so Deuber. Zwar haben sich die Einkommen in den letzten Jahren im Aggregat in den USA besser entwickelt als in Europa, allerdings mit einer sehr großen Ungleichheit. Es gäbe viele Bevölkerungsschichten in den USA, die unter der hohen Inflation stärker gelitten haben, als es teilweise in Europa der Fall ist. Dass die Inflation wie in Österreich und weiten Teilen der EU den Bürgern abgegolten werde, sei jenseits des Atlantiks kaum der Fall. „Deswegen es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die wirtschaftliche Performance besser aussieht, als sie sich in gewissen Bevölkerungsschichten in den USA anfühlt“, so Deuber.

Das aktuelle Gesamtbild der globalen Konjunktur ist insgesamt gesehen nicht besonders gut. Die Zinsen gehen zwar runter, aber nicht so stark wie die Märkte eingeplant haben. Auch wenn man von den optimistischen Szenarien von der Senkung des US-Leitzinses bis zu 150 Basispunkte bis Jahresende weg sei, erwarten die Märkte immer noch um die 100 Basispunkte. „Das scheint mir immer noch zu optimistisch zu sein“, so Deuber. In Europa ist eine Zinssenkung im September „sehr, sehr, sehr sicher“. Auch hier gibt es, wie in den USA, zunehmend Sorgen, dass die Notenbank „behind the curve“ fallen könnte und dass man dann schneller senken müsste.

„In Europa ist der Rückgang der Inflation sehr stark nachfrageseitig getrieben – und auf der Nachfrageseite wird sich aus heutiger Sicht nichts tun“, so Deuber. Außerdem müsse man bedenken, dass trotz der vorsichtigen Zinswende in der Geldpolitik diese weiterhin restriktiv wirke. „Leitzinssenkungen auf diesen Niveaus bedeuten, etwas Restriktion rauszunehmen – und das mache angesichts des Inflations- und Konjunkturausblicks durchaus Sinn“, so Deuber. Insoweit verspricht der Herbst insbesondere mit Blick auf die US-Wahlen viel Spannung – sowohl für die Wirtschaft, als auch für die Börsen.