Immobilienbewertung: So wird’s gemacht

Der Wert einer Immobilie spielt in vielen Lebenslagen eine wichtige Rolle. Was es dabei zu beachten gibt, erklärt René Fürntrath, Geschäftsführer der Raiffeisen Immobilien Treuhand Gmbh und allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger.

Die Unsicherheiten am Immobilienmarkt haben seit dem rasanten Zinsanstieg und der Verschärfung der Kreditvergabe, Stichwort KIM-Verordnung, stark zugenommen. Wie hat sich die Nachfrage nach einer Immobilienbewertung entwickelt?
René Fürntrath: Anfangs waren die Anfragen nach Immobilienbewertungen rückläufig, weil die Neufinanzierungen ins Stocken geraten sind. Es hat etwas gedauert, um den Zinsschock zu überwinden. Dazu kam, dass viele Interessenten aufgrund der höheren Zinsen und der KIM-Verordnung einen Immobilienkauf nicht mehr finanzieren konnten. Zuletzt hat die Nachfrage nach Bewertungen wieder angezogen, auch weil es zum Beispiel vermehrt Sanierungsobjekte zu bewerten gibt. Zudem haben wir unser Dienstleistungsspektrum erweitert. Unter anderem bieten wir auch Immobilienanalysen über mögliche Nutzungen oder Vorabprüfungen für Kunden an, die später einen Kredit brauchen. Wir passen uns stetig an die Marktlage an.

Wozu braucht es eine Immobilienbewertung am häufigsten?
Fürntrath: Der größte Anteil unserer Bewertungen, rund 60 Prozent, wird für Finanzierungen benötigt. Anschließend folgen vielfältige Themen wie steuerliche Zwecke, Einbringungen ins Betriebsvermögen oder die klassischen Fälle wie Erbschaft, Scheidung oder Schenkung. Darüber hinaus kommen auch immer wieder Fälle von Generationenwechseln vor, wenn zum Beispiel Eltern mit mehreren Kindern nur eine Immobilie haben. Hier ist es wichtig, den Wert der Immobilie zu kennen, um rechtzeitig eine vorausplanende Vermögensverteilung etwa in einem Testament regeln zu können. Eltern können auf diese Weise dafür sorgen, dass ihre Kinder nicht nur Geschwister, sondern auch Freunde bleiben. 

Keine Immobilie gleicht einer anderen. Wie kann man dennoch einen Wert ermitteln?
Fürntrath: Der Verkehrswert ist jener Wert einer Immobilie, den man innerhalb eines halben Jahres am freien Markt ohne besondere Vorliebe erzielen kann. Dass bei zwei Gutachten der Wert einer Immobilie schon einmal um einige Prozent abweichen kann, ist durchaus im Rahmen des Möglichen, denn es wird für die Berechnung eine Vielzahl an Parametern herangezogen. Grundsätzlich kommen je nach Art der Immobilie unterschiedliche Bewertungsverfahren zur Anwendung. So wird etwa für privat genutzte Immobilien das Vergleichswert- bzw. Sachwertverfahren herangezogen, während der Wert gewerblicher Immobilien im Ertragswertverfahren ermittelt wird. 

René Fürntrath im Porträt
René Fürntrath © Markus Morianz

Was ist der Unterschied? 
Fürntrath: Im Vergleichswertverfahren werden hauptsächlich die Verkehrswerte von Grundstücken und eigengenutzte Wohnungen ermittelt. Hier ist es wichtig, die Vergleichsdaten zu homogenisieren, um valide Werte zu erhalten. Das bedeutet zum Beispiel, dass unterschiedliche Transaktionszeitpunkte valorisiert werden müssen. Auch müssen Alter, Größe und Qualität der Ausführung durch etwaige literaturbasierende Ab- oder Zuschläge angepasst werden.
Das Sachwertverfahren wird zur Berechnung des Verkehrswertes von Einfamilienhäusern herangezogen. Hier wird der Boden im Vergleichswertverfahren ermittelt. Für die darauf befindlichen Baulichkeiten wird der Neuherstellungspreis errechnet, danach lineare Alterswertminderung abgeschlagen und der Zustand berücksichtigt. Auch hier gilt, dass die Immobilie ein homogenes Bild abgeben muss, damit es keine zusätzlichen Abschläge gibt. Überdurchschnittliche Größe oder verlorener Bauaufwand würden zum Beispiel bei bestimmten Einfamilienhäusern den Interessentenkreis einschränken und somit zu einem weiteren Abschlag führen.
Das Ertragswertverfahren wird zur Verkehrswertermittlung ertragsorientierter Immobilien herangezogen. Hierbei handelt es sich um vermietete Wohnungen, Geschäftslokale und Gewerbeliegenschaften. Auch eigengenutzte Liegenschaften, die der Erwirtschaftung von Erträgen dienen, müssen im Ertragswertverfahren ermittelt werden. Hier werden marktübliche fiktive Mieterträge als Berechnungsbasis herangezogen. Jede Assetklasse hat je nach Risiko natürlich auch unterschiedlich hohe Renditeerwartungen, welche sich bei der Ermittlung des Verkehrswertes im jeweiligen verwendeten Liegenschaftszins widerspiegeln. 

Wie viele Bewertungen machen Sie in einem gewöhnlichen Jahr?
Fürntrath: Im Schnitt erstellen wir an die 1.000 Verkehrswertgutachten gemäß Liegenschaftsbewertungsgesetz pro Jahr. Dazu kommen noch rund 2.000 sogenannte „Desktop-Bewertungen“, die in einem vereinfachten Verfahren für Kleinrisiko-Projekte dargestellt werden. Prinzipiell bewerten wir Liegenschaften in ganz Österreich, wobei unser Fokus vorrangig auf Niederösterreich, Wien und Burgenland liegt. 

Seit der Signa-Pleite wird viel über Bewertungen diskutiert. Was sind Eckpunkte einer seriösen Immobilienbewertung?
Fürntrath: Zunächst muss bei einem guten Gutachten, wie bereits erläutert, das richtige Bewertungsverfahren angewendet werden. Schlechte Gutachten erkennt man oft daran, dass sie Bewertungsverfahren mixen. Wird in dem Gutachten vermehrt mit Zuschlägen gearbeitet, ist das auch ein Indiz dafür, dass der Gutachter Eingangsparameter falsch bewertet hat und durch etwaige Zuschläge ein marktkonformes Ergebnis erreichen will. Wenn ich beispielsweise einen Zuschlag für die Lage vornehme, habe ich den Grundstückswert nicht korrekt ermittelt. Anders verhält es sich mit Abschlägen, die ein Individualitätsfaktor sind. Wird in einer ländlichen Gegend auf billigem Grund eine Millionen-Villa errichtet, dann ist die Wahrscheinlichkeit nicht groß, dass es für die Villa einen Käufer am Drittmarkt geben wird, der bereit ist diese Liegenschaft zu den Anschaffungs- bzw. Errichtungskosten zu kaufen, was wiederum einen Einfluss auf den Wert hat.

Wie aufwendig ist es, ein durchschnittliches Einfamilienhaus zu bewerten? 
Fürntrath: Wir haben hier einen standardisierten Prozess, der unter anderem Anfahrt, Besichtigung, Rückfahrt, Beschaffung der Unterlagen, Abfragen von verschiedenen Datenbanken wie dem Grundbuch und die Berechnung umfasst. Dafür sind im Schnitt rund eineinhalb Arbeitstage notwendig. Viel hängt davon ab, wie gut die Unterlagen sind. Für ein Einfamilienhaus wird das Kerngutachten ohne Anhänge in der Regel einen Umfang von 30 bis 40 Seiten haben. 

Spielt die EU-Taxonomie bereits eine Rolle in der Immobilienbewertung?
Fürntrath: Das ist im Wesentlichen noch ein Zukunftsthema. Es kommt jedoch auf den Bewertungszweck an. Wenn man zum Beispiel Immobilien für einen Fonds bewertet, der ein Gutachten für die Portfolioaufstellung braucht, muss sich der Gutachter an die Vorgaben der EU-Taxonomie halten. Grundsätzlich sollte sich das Gutachten mit allen gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen an eine Immobilie auseinandersetzen.

Was muss ein guter Bewerter mitbringen?
Fürntrath: Ein grundsätzliches Interesse an Immobilien, Affinität zu Zahlen sowie eine strukturierte Arbeitsweise. Besonders wichtig ist es, dass man seine Arbeit gerne und genau macht. Wir haben in unseren Teams vorwiegend junge Mitarbeiter, die nebenbei eine Ausbildung, meist in Zusammenhang mit Immobilien machen. In der Immobilienbewertung können sie sich noch zusätzliche Skills aneignen. Denn der Markt ist immer in Bewegung. Es gibt immer wieder etwas Neues, auf das man sich einstellen muss.

AusgabeRZ38-2024

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