Sieben Jahre sind seit Ihrem Regiedebüt „Wilde Maus“ vergangen. Wie lange tragen Sie die Geschichte zu „Andrea lässt sich scheiden“ nun schon mit Ihnen herum?
Josef Hader: Ich habe erst angefangen, nachdem „Wilde Maus“ im Kino war, mir etwas Neues zu überlegen, weil ich so schlecht darin bin, Dinge parallel zu machen. Und die erste Idee war, dass ich nach einem Film über die seltsamen Stadtmenschen einen Film über die seltsamen Landmenschen machen wollte.
Wie unterscheiden sich die Stadtmenschen von den Landmenschen?
Hader: Die und die gibt es ja gar nicht. Aber wenn ich meine Lebenswelt in der Stadt mit der von meinem Bruder auf dem Bauernhof vergleiche, dann würde ich sagen, ich kann mir viel mehr aussuchen, welche Menschen ich treffe, kann stärker in meiner eigenen Blase leben. Auf dem Land läuft man sich zufällig über den Weg und trifft dabei auch Leute, die anderer Meinung sind als man selber. Man muss eine Strategie finden, miteinander umzugehen. Man ist anderen Menschen mehr ausgesetzt auf dem Land.
Der Film beschreibt das Leben am Land sehr authentisch, mit Charakteren, wie man sie aus dem Leben kennt. Inwieweit haben Sie eigene Erfahrungen in den Film und seine Protagonisten einfließen lassen?
Hader: Wenn man die ersten 20 Jahre seines Lebens – wenn ich meine Internatszeit in Melk mitrechne – in einem Dorf und dann in einer Kleinstadt aufwächst, dann hat man ein Gefühl fürs Land. Da kann man für ein Drehbuch viele Details verwenden, die man gehört oder erlebt hat. Jeder Film ist eine kleine Welt und lebt von solchen Details. Mir war wichtig, dass der Film genau ist und die Stimmungen auf dem Land einfängt.
Sowohl in „Wilde Maus“ als auch in „Andrea lässt sich scheiden“ werden die Protagonisten mit den weniger schönen Seiten des Lebens konfrontiert. Und das gewissermaßen von allen Seiten. Woher kommt der Hang zur Tragikomödie?
Hader: Wahrscheinlich durch Filme, die ich in meiner Jugend gesehen habe. Mich hat immer die realistische Komödie viel mehr fasziniert als die romantische. Als Jugendlicher habe ich Filme gesehen wie „The Apartment“ von Billy Wilder. Da gibt es nur grausige Menschen und trotzdem muss man so viel lachen.
Die Protagonistin Andrea wird von Birgit Minichmayr gespielt. Was macht gerade sie für diese Rolle so passend?
Hader: Birgit ist erstens einmal eine Großschauspielerin, die alles kann. Außerdem stammt sie vom Land, sie kennt alle feinen Zwischentöne. Und die Birgit kann so wunderbar inwendig spielen. Sie macht in dem Film das, was früher nur Männer durften: nach außen das Pokerface wahren und innen brodelt es.
War es eine bewusste Entscheidung, diesmal nicht selbst die Hauptrolle zu übernehmen?
Hader: Eine Frau ist am Land einfach die interessantere Hauptfigur. Die hat es, vor allem, wenn sie ihren eigenen Kopf hat, schwerer als ein Mann und braucht eine wirklich gute Taktik, um sich in der Männergesellschaft durchzusetzen.
Stattdessen verkörpern Sie Franz, einen Religionslehrer und trockenen Alkoholiker. Wie war es für Sie, sich in diesen Charakter hineinzufühlen?
Hader: Das war nicht so schwer. Wenn man katholisch sozialisiert ist, dann kennt man solche Schicksale. Und in gewisser Weise ist es auch eine mögliche Biografie von mir. Hätte ich ein paar Abbiegungen im Leben anders genommen, wäre ich vielleicht jetzt dort.
War Religionslehrer eine berufliche Option für Sie?
Hader: Nein, dafür war ich immer zu ungläubig, ich hab immer gezweifelt, an praktisch allem. Aber ich wollte ursprünglich, bevor ich Kabarettist wurde, Lehrer für Geschichte und Deutsch werden. Dann ist das Kabarett aber erfolgreich geworden und ich dachte mir, auf lange Sicht ist es schon besser, vor Leuten aufzutreten, die Eintritt zahlen. Nicht wegen des Einkommens, sondern weil das Publikum was haben will für sein Geld und deswegen besser aufpasst.
Andrea und Franz gehen sehr unterschiedlich mit dem Thema Schuld um. Während Andrea alles versucht, um unschuldig zu wirken, konfrontiert Franz seine Schuld direkt. Wozu tendieren Sie für gewöhnlich?
Hader: Ich bin ein sehr kompetenter Verdränger. Ich glaube, ich würde eher so reagieren wie Andrea und würde vertuschen. Beim Franz habe ich das Gefühl, er konfrontiert sich mit seiner Schuld deshalb so gern, weil in seinem Leben schon lange nichts mehr passiert ist. Er hat eine Freude, dass irgendetwas passiert, egal was. Hauptsache, es rührt sich wieder was.
Drehort war das Weinviertel, eine Gegend, die oft auch als etwas langweilig bezeichnet wird. Konnten Sie sich vom Gegenteil überzeugen?
Hader: In meinem Kabarett-Programm behaupte ich auch am Anfang, dass das Weinviertel ganz langweilig ist. Aber eigentlich ist es so, dass ich noch nirgendwo in Österreich so großartige Sonnenaufgänge und -untergänge erlebt habe. Es gibt keine Gegend, wo der Himmel so dramatisch ist.
Der Film feiert auf der Berlinale seine Weltpremiere, dabei ist er doch sehr österreichisch. Welche Reaktionen erwarten Sie sich vom deutschen Publikum?
Hader: Ich bin viele Jahre in Deutschland herumgefahren und war immer überrascht, wie ähnlich Provinz ist. Selbst wenn ich im Urlaub in einem Dorf in Italien oder irgendwo in der Normandie war und die Bauernhöfe, die Traktoren und die Menschen angeschaut habe, dann habe ich mir immer gedacht, das ist ja wie bei uns. Provinz ist nichts typisch Österreichisches, sondern zumindest etwas Europäisches. Und nachdem die Leute heutzutage schon überall genauso angezogen sind wie in Amerika, wird es am Land auch bei uns auch schon fast amerikanisch. Auch im Hinblick auf die politischen Haltungen, die manche haben. Natürlich ist die letzte Ausprägung des Films österreichisch, aber die Geschichte und die Menschen darin wird man überall verstehen.
Mit „Hader on Ice“ sind Sie auch 2024 so gut wie ständig unterwegs. Sie haben also den direkten Vergleich zwischen Kabarett und Film. Gibt es eine Richtung, in die Sie eher tendieren?
Hader: Kabarett ist für mich schon der Grundberuf und Film ist immer ein Ausflug. Ein sehr spannender Ausflug, weil man plötzlich wieder viel mehr gefordert wird. Kabarett mache ich, seitdem ich 17 bin, Regie habe ich mit Mitte 50 begonnen. Film ist deshalb schon eine nervliche Herausforderung, aber es ist gerade die Arbeit mit den Menschen, die das Ganze so wertvoll macht. Es ist ein Erlebnis zu sehen, wie alle vor der Kamera aufblühen – auch die, die nicht so oft vorkommen wie Birgit oder ich. Oder wenn zwei Laienschauspieler aus meinem Heimatort im Ensemble sind und da eine spezielle Farbe hineinbringen, aber dabei genauso gut spielen wie die Profis.
Denken Sie schon an den nächsten Film?
Hader: Bis vor kurzem habe ich mir noch gedacht „nie wieder“. Inzwischen denke ich mir „Vielleicht doch, aber wenn, dann einen ganz kleinen“.
Und auch dem Kabarett bleiben Sie weiterhin treu?
Hader: Das Kabarett ist etwas, das ich gern mein ganzes Leben lang machen möchte, weil es eine wunderbare Arbeit ist. Und weil ich es eigentlich fein finden würde, wenn ich mit 80 Jahren noch herumfahre und in denselben kleinen Theatern spiele, in denen ich mit 25 schon gespielt habe. Das wäre ein schöner Ausklang.