Selten hat eine aufsichtsrechtliche Regelung wie die KIM-Verordnung (Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung) so stark polarisiert. Nach einer langjährigen Hochphase am Immobilienmarkt verpflichtete die Finanzmarktaufsicht (FMA) die Banken im Sommer 2022 – gerade zu jener Zeit, als die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer beispiellosen Zinswende nach oben den Kampf gegen die hohe Inflation aufnahm – zu strengeren Kreditvergabestandards für private Wohnraumfinanzierungen.
Hohe Zinsen und Immobilienpreise sowie strenge Kreditregeln gepaart mit einer Rezession führten zu einer Vollbremsung am Immobilienmarkt. Knapp drei Jahre nach Einführung lief die von zahlreichen Seiten kritisierte Regelung nun Ende Juni zwar formal aus, dennoch hält die FMA in einem Rundschreiben am „Geist der Verordnung“ fest. Diese Empfehlung ist zwar rechtlich nicht bindend, könnte aber einen Anlass bieten, einzelne Institute genauer zu prüfen. Nicht nur bei den Banken stößt dieser Schritt auf Unverständnis, auch die Politik und weite Teile der Wirtschaft orten damit eine Einführung der KIM-Verordnung durch die Hintertür.
„Vorgaben behindert Wachstum nicht“
Den FMA-Vorgaben zufolge soll die Beleihungsquote bei einer privaten Wohnraumfinanzierung maximal 90 Prozent und der Schuldendienst höchstens 40 Prozent betragen. Zudem empfiehlt die Behörde, dass eine Finanzierung nicht länger als 35 Jahre laufen soll. Was sich mit dem Auslaufen der KIM-Verordnung geändert hat, sei, dass Banken nun von diesen drei Vorgaben abweichen können, „solange trotzdem eine solide Kreditvergabe gewährleistet ist“, betonte die FMA. Die Wohnbaukredite seien heuer in Österreich der einzige Bereich, in dem das Kreditvolumen ordentlich wachse, halten die FMA-Vorstände fest. So sei das Volumen von Jänner bis April um zwei Drittel auf 5,2 Mrd. Euro angestiegen – vor allem dank der derzeit sinkenden Zinsen.
Die Vergabestandards würden nach Ansicht der Aufsicht „ein gesundes Kreditwachstum“ nicht behindern. Seit 2010 würden Immobilienpreise und Einkommen in Österreich massiv auseinanderdriften. Diese auch in Europa ungewöhnliche Fehlentwicklung habe sich in den letzten beiden Jahren zwar zurückgebildet, Immobilien seien aber immer noch deutlich überbewertet, so die FMA.
Zum Start der KIM-Verordnung ging die Neuvergabe von Wohnkrediten in Österreich spürbar zurück. Laut Daten der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) wurden im August 2022 Kredite im Wert von rund 1,3 Mrd. Euro vergeben, nachdem es im Monat davor noch mehr als doppelt so viel (rund 2,7 Mrd. Euro) waren. Danach ging die Neuvergabe sukzessive zurück und erreichte im Dezember 2023 den Tiefpunkt mit 679 Mio. Euro. Seit dem Sommer des Vorjahres ist wieder mehr Dynamik in den Markt zurückgekehrt.
Ruf nach bürokratischer Entlastung
Bei der Kreditwirtschaft stößt der Sinn der neuen Empfehlung auf großes Unverständnis. „Dieses Vorgehen ist gegenüber den Banken nicht akzeptabel. Die Kreditinstitute prüfen seit jeher jede Finanzierung eigenverantwortlich und in ihrem eigenen Interesse. Wenn die Voraussetzungen für eine Regelung wegfallen, dann gehört sie vom Tisch“, fordert Michael Höllerer, Obmann der Bundessparte Bank und Versicherung in der Wirtschaftskammer Österreich und Generaldirektor von Raiffeisen NÖ-Wien.
Gerade jungen Menschen sollte der Zugang zu Wohneigentum als wichtige Zukunftsperspektive „ohne unverhältnismäßige Hürden“ ermöglicht werden. Aber auch die Wirtschaft insgesamt brauche Investitionen und die Bevölkerung Planungssicherheit, sagt Höllerer unter Verweis auf die volkswirtschaftliche Bedeutung der Branche. Der Zugang zu Finanzierungen sollte gefördert werden. „Die Finanzwirtschaft braucht eine regulatorische Verschnaufpause und tatsächliche bürokratische Entlastung anstatt Lippenbekenntnisse“, fordert der Bankenvertreter. Darüber hinaus weisen Branchenvertreter immer wieder darauf hin, dass es bei privater Wohnraumfinanzierung kaum Kreditausfälle gäbe.
Auch die Industriellenvereinigung (IV) sieht die De-facto-Weiterführung der KIM-Verordnung kritisch. Banken, die von den Empfehlungen abweichen, müssten das genau begründen und mit aufwändigen aufsichtsrechtlichen Prüf- und Bewertungsverfahren rechnen, verbunden mit erheblichem organisatorischem, personellem und finanziellem Aufwand. „Das ist eine überbordende Regulierung, zumal kein systemisches Risiko mehr besteht und die Ausfallquoten bei Wohnimmobilienkrediten nach wie vor niedrig sind. Der Wohnungsmarkt wird durch diese zusätzlichen Beschränkungen unnötig gebremst und die politisch angestrebte Stärkung der Baukonjunktur darüber hinaus deutlich erschwert. Zudem bestehen bereits auf Basis des geltenden Rechts umfangreiche Vorschriften, die eine solide Kreditvergabe bei Banken einfordern“, streicht IV-Generalsekretär Christoph Neumayer hervor.
Politische Positionen
In der Politik wird die Empfehlung der Aufsichtsbehörde unterschiedlich bewertet. Rückendeckung für die FMA kommt von Finanzminister Markus Marterbauer, der betonte, dass Banken bei der Kreditvergabe strikt zu regulieren seien. Da das Systemrisiko aber nicht mehr existiere, sei der Grund für die Verordnung jedenfalls entfallen. In der Empfehlung ortete Marterbauer dagegen eine „pragmatische Vorgangsweise“. Zum Dauerthema leistbares Wohnen in Ballungsräumen meinte Marterbauer, dass es zwar einen Zuwachs an Wohnungen gäbe, „aber nicht im leistbaren Bereich“.
Anders beurteilt Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer das Vorgehen der Behörde. Gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten sei es wichtig zu investieren: „Das gilt speziell im Wohnbau.“ Er setze sich dafür ein, dass die Regelung spürbar entschärft werde. Die Banken hätten auch vor der KIM-Verordnung nicht wahllos Kredite an Häuslbauer vergeben. Auch Tirols Landeshauptmann Anton Mattle bewertet das Auslaufen der Verordnung als „richtigen Schritt“. Die heimischen Banken würden ohnehin einem strengen Regelwerk unterliegen.
„Psychologischer Impuls“
Mit dem Ende der Verordnung hofft die Immobilienbranche auf eine weitere Dynamisierung der Nachfrage nach Wohneigentum. Denn: Eine aktuelle Umfrage des Gallup-Instituts im Auftrag von Raiffeisen Immobilien zeigt, dass der Traum vom Eigenheim in Österreich trotz einiger widriger Entwicklungen ungebrochen stark sei. So wünschen sich zwei Drittel der Befragten ein Einfamilienhaus, weitere 22 Prozent eine Eigentumswohnung. Gleichzeitig waren die Hürden für eine Finanzierung zuletzt allerdings für die meisten sehr hoch – insbesondere durch das Zusammentreffen gestiegener Zinsen mit den strengen KIM-Vorgaben.
Das schlägt sich auch in der Einschätzung der Österreicher über die Leistbarkeit von Immobilien nieder. So halten 59 Prozent der Österreicher eine Erbschaft für die derzeit realistischste Option für eine Finanzierung einer Immobilie. Erst danach folgen Hypothekarkredite (42 Prozent) und geförderte Landesdarlehen (39 Prozent). „Viele Menschen gehen also davon aus, dass die Schaffung von Eigentum ohne familiäre Unterstützung kaum mehr möglich ist“, kommentiert Peter Weinberger, Sprecher von Raiffeisen Immobilien Österreich, die Umfrage. Das Aus der KIM-Verordnung könnte daher zumindest ein wichtiger „psychologischer Impuls“ für den Markt werden. Ein Zurück zur Vergabepraxis zurzeit vor der KIM-Verordnung werde es wohl nicht geben, auch weil die Zinssituation sich seither deutlich geändert habe, ist Peter Mayr, ebenfalls Sprecher von Raiffeisen Immobilien und Geschäftsführer von Raiffeisen Immobilien Salzburg, überzeugt. Er hält daher fest: „Eine ausgewogene Kombination aus Fördermitteln, fairer Kreditbeurteilung und gesicherter Rückzahlungsfähigkeit ist der Schlüssel zu einem gesunden Immobilienmarkt.“
Von einer „schweren Krise“ in der Immobilienwirtschaft spricht Gerald Gollenz, Obmann des Fachverbandes der Immobilien- und Vermögenstreuhänder in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Die Summe negativer Effekte der Teuerung sowie die Folgen der KIM-Verordnung hätten den Markt auf den Kopf gestellt. „Der Rückgang der Transaktionen aufgrund fehlender Finanzierungsmöglichkeiten hat den gesamten Immobiliensektor hart getroffen. „So haben wir in den letzten beiden Jahren rund 400 Immobilienmakler- und Bauträgerunternehmen in ganz Österreich verloren. Auch Finanzdienstleister, Notare, Anwälte, Ziviltechniker und Architekten klagen über massive Verluste“, sagt der Branchensprecher. Dass nun der Markt auch durch das Auslaufen der KIM-Verordnung wieder an Schwung gewinnen könnte, wäre „ein enorm wichtiger Impuls für die gesamte österreichische Wirtschaft, nicht nur für die Immobilienbranche“.