Gemeinsam Neues schaffen

Baywa-CEO Klaus Josef Lutz und RWA-Generaldirektor Reinhard Wolf sprechen im Doppelinterview über Meilensteine, Lerneffekte und Shareholder Value auf Basis genossenschaftlicher Werte.

RWA-Generaldirektor Reinhard Wolf und Baywa-CEO Klaus Josef Lutz
RWA-Generaldirektor Reinhard Wolf und Baywa-CEO Klaus Josef Lutz © RZ/Sabine Klimpt

Die Baywa feiert 2023 ihr 100-Jahr-Jubiläum. Welche Meilensteine haben die Entwicklung des Unternehmens geprägt?
Klaus Josef Lutz: Zunächst, dass sie gegründet wurde. Das ist schon deswegen ein Meilenstein, weil er bis heute fortwirkt. Viele Primärgenossenschaften sind damals entstanden und man hat die Baywa gegründet, um Dinge zu bündeln, etwa durch eine gemeinsame Vermarktungs- oder Einkaufsorganisation. Was einer nicht kann, vermögen viele – diese Grundphilosophie zieht sich bis heute wie ein roter Faden durch. Das klingt zwar ein bisschen merkwürdig, wenn man als börsennotiertes Unternehmen auf den Weltmärkten unterwegs ist, aber diese Grundeinstellung ist geblieben. 
Dann gibt es natürlich immer wieder Transaktionen, Firmenkäufe und Veränderungen, die Meilensteine darstellen. Aber was für mich rückblickend ganz wichtig war, ist, dass die Baywa die Nazi-Zeit überhaupt überlebt hat. Das haben viele Unternehmen nicht hinbekommen. Und zweitens die Allianz, die wir mit Österreich geschlossen haben. Das war ein Meilenstein im Zuge der Internationalisierung, aber auch, dass man in Mitteleuropa zusammenrückt. 
Ein weiterer großer Meilenstein ist eindeutig die Globalisierung und Internationalisierung der Baywa, mit unterschiedlichsten Geschäftsmodellen in der ganzen Welt. So hat mein Tag heute Früh mit einer Telefonkonferenz mit Neuseeland aufgrund des Zyklons dort und dem Erdbeben in Wellington begonnen. Ich wollte wissen, ist alles okay, sind Leute verletzt und wie wirkt sich das auf unser Geschäft aus. 

Die Baywa hat sich von einem regional tätigen Unternehmen zu einem globalen Konzern entwickelt. Worauf führen Sie die Erfolgsgeschichte der Baywa zurück?
Lutz: Dass man sich immer treu blieb – und ich hoffe, das bleibt auch in Zukunft so. Zukunft braucht Herkunft. Es ist wichtig zu wissen, wo komme ich her. Und ich glaube, der Erfolg liegt auch darin, dass immer wieder Neues versucht wurde im Rahmen der Grundidee der Baywa oder von Raiffeisen. Der größte Erfolg der letzten 50 Jahre war mit Sicherheit die Schaffung des Teilkonzerns Baywa R.E., weil wir damit ein Unicorn gegründet haben, aber wiederum mit dem genossenschaftlichen Grundgedanken. 2008/09 habe ich die erste Studie über erneuerbare Energie gelesen und daraufhin haben wir uns neu orientiert. Ich glaube, die Tugend, die wir haben – finanziell solide, die Menschen vertrauen uns, wir sind kreativ, innovativ –, das hat uns sicherlich geholfen, hier auch erfolgreich zu sein. Und es muss – das ist eigentlich die Grundvoraussetzung – menschlich zwischen denen funktionieren, die miteinander irgendwas Neues gestalten – so wie das bei mir und RWA-Chef Reinhard Wolf der Fall ist.

Bleiben wir gleich bei der strategischen Partnerschaft mit der RWA. Wie beurteilen Sie speziell die Kooperation mit Österreich?
Lutz: Dieses Zusammenwirken, das für die Baywa vor allem eine Finanzbeteiligung ist, hat dazu geführt, dass man gelernt hat, stärker über den Tellerrand hinauszuschauen – aus Münchner Sicht. Das war nicht immer ein einfacher Prozess, aber er ist erfolgreich und getrieben von Menschen, die diese Allianz zum Erfolg führen wollten. Insofern ist das eine ganz besondere Kooperation und ein Kernstück für die Baywa. Die Besonderheit dabei ist die Überkreuzbeteiligung: ich bin Gesellschaftervertreter der Baywa in der RWA und Herr Wolf bei uns. Das hat auch dazu geführt, dass man eng zusammenarbeitet. Man ist sozusagen verdammt dazu. 

RWA-Generaldirektor Reinhard Wolf
© RZ/Sabine Klimpt

Wir sind aufeinander zugegangen und machen heute viele Dinge gemein­sam, die uns stärken.

Reinhard Wolf

Herr Wolf, welchen Mehrwert hat die Baywa-Beteiligung für die RWA?
Reinhard Wolf: Ganz wesentlich ist, dass es keine Fusion oder Übernahme gewesen ist, auch kein klassisches Joint Venture, sondern eine strategische Allianz. Es war der erste Schritt zur Gründung eines starken, zentraleuropäischen Agrarunternehmens. Gleichzeitig konnte sich jeder in dieser Allianz seine Stärken bewahren. Das war sicher ein Lernprozess und es hat eine gewisse Zeit gedauert, bis man respektiert hat, dass der eine da besser ist und der andere dort. Wir sind aber aufeinander zugegangen und machen heute viele Dinge gemeinsam, die uns stärken. 
Aber auf der anderen Seite hat auch jeder die Möglichkeit, Dinge unabhängig zu machen. Ich glaube, das ist die wahre Stärke dieser Allianz – abgesehen davon, dass wir ein wirtschaftlich starkes Unternehmen geformt haben. Die RWA ist ein nicht unwesentlicher Teil des Baywa-Konzerns, aber wir haben immer vollkommen unabhängig auch unsere österreichischen Aufgaben wahrnehmen können. Wir haben ja – das darf man nicht unterschätzen – doch ein anderes, zweistufiges Geschäftsmodell mit den regionalen Genossenschaften. Das hat beispielsweise auch dazu geführt, dass man in Deutschland manche Sparten heute nicht mehr betreibt und in Österreich schon. Ich denke dabei an den Haus & Garten-Bereich.

In welchen Bereichen arbeitet die RWA besonders eng mit der Baywa zusammen?
Wolf: Das variiert. Wir haben lange Zeit versucht, Abteilungen des anderen zu übernehmen. Damit haben wir aufgehört, weil wir erkannt haben, dass es darum geht, Kompetenzen zu teilen. Wo wir zuletzt profitiert haben, ist, dass wir im Bereich der Photovoltaik massiv unterstützt wurden. Die Baywa hat einfach zehn Jahre früher mit diesem Geschäft begonnen. Jetzt gehen die Tore in Österreich in diese Richtung auf und wir können all das, was an Wissen vorhanden ist, an internationalen Kontakten, Einkaufsmöglichkeiten, nun nutzen. 

Und umgekehrt: Herr Lutz, gab es auch Lerneffekte bei der Baywa?
Lutz: Wenn Menschen zusammenarbeiten wollen, können sie immer voneinander lernen. Ich habe viel von Reinhard Wolf gelernt und das weiß er auch: Erstens, wie wichtig Vernetzung ist. Ich kenne niemanden, der besser vernetzt ist als Reinhard Wolf. Zweitens, wir haben lernen müssen, dass wir, die Baywa, bestimmte Dinge wie zum Beispiel die Futtermittelproduktion nicht können. Österreich macht das hervorragend. Drittens, wir können nicht Osteuropa, vor allem nicht die Balkanstaaten. Daher war eine der ersten Entscheidungen, als ich 2008 an Bord kam, dass wir Ungarn aus der Baywa AG herauslösen und die Verantwortung dafür bei der RWA andocken. Das Gleiche gilt auch für andere Länder. Und der Erfolg in diesen Ländern gibt uns recht. Das war ein konkretes Learning auf der operativen Ebene. Insofern war es schon wichtig, dass man sich gegenseitig respektiert, akzeptiert und wertschätzt. Wenn das nicht der Fall wäre, dann würde man sich nicht öffnen, um dem anderen zu überlassen, was er besser kann.

Angesichts der vielen Krisen ist es schon eine Leistung, wenn man die Früchte noch weiter ernten kann.

Klaus Josef Lutz
Baywa-CEO Klaus Josef Lutz
© RZ/Sabine Klimpt

Herr Lutz, blicken wir auch noch in die Zukunft. Auf welche Bereiche wird die Baywa künftig ihren Fokus legen?
Lutz: Das ist eine Frage, die müsste eigentlich mein Nachfolger beantworten. Der Konzern ist gut aufgestellt, die Internationalisierung hat sich bezahlt gemacht. Da muss man an der einen oder anderen Stelle feinjustieren, aber ich glaube nicht, dass es fundamentale Änderungen gibt. Ich sehe momentan jedenfalls keinen Grund, die Strategie grundlegend zu überdenken oder neu auszurichten. Angesichts der vielen Krisen – Energiekrise, Rohstoffkrise, Fachkräftemangel und Ähnliches, auch ein Abflachen der Nachfrage in bestimmten Sektoren – muss man jetzt nicht unbedingt einen großen Wurf liefern. Es ist schon eine Leistung, wenn man die Früchte noch weiter ernten kann. 

Herr Wolf, sehen Sie dabei auch Anknüpfungspunkte für die österreichische Lagerhaus-Organisation bzw. welche Auswirkungen haben diese Schwerpunkte auf die RWA?
Wolf: Die RWA hat zwei doch unterschiedliche Säulen. Das eine ist unsere Verantwortung als Verbundorganisation für die Lagerhaus-Genossenschaften. Wir sind eng damit verknüpft, wie sich die Lagerhaus-Genossenschaften entwickeln. Und ich denke, uns ist in den vergangenen Jahren viel in der Umsetzung einer gemeinsamen Strategie gelungen. Der Lagerhaus-Verbund hat sich sehr gut entwickelt und daran arbeiten wir weiter. 
Die zweite Säule sind unsere eigenen Geschäftsaktivitäten, die stark in Richtung Osteuropa und Agrar gehen. Da gibt es viel zu tun. Ansprechen möchte ich das Thema Digitalisierung. Ich bin überzeugt, dass es hier großes Potenzial gibt, und die Erwartungshaltung unserer Kunden und der Landwirtschaft ist groß. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wir in einer Phase mit gewissen Unsicherheiten leben, sei es die Ukrainekrise, die Finanzmärkte, die veränderte Zinslandschaft oder der Arbeitsmarkt. In einer solchen Phase ist man gut beraten, ein Stück weit auf Sicht zu fahren, die Dinge ordentlich im Griff zu halten und die Hausaufgaben zu machen.

RWA-Generaldirektor Reinhard Wolf und Baywa-CEO Klaus Josef Lutz
© RZ/Sabine Klimpt

Eine der Gemeinsamkeiten von Baywa und RWA sind die genossenschaftlichen Wurzeln. Inwieweit prägen die Werte einer Genossenschaft – Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung – auch heute noch das jeweilige Unternehmen? 
Lutz: Zunächst finde ich es beeindruckend, wie lange Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns im Konzern tätig sind. Da ist es durchaus üblich, dass es zum Jahresende Urkunden gibt für Leute, die nicht nur 25 oder 30 Jahre, sondern auch 40 Jahre im Konzern gearbeitet haben. Und das sind nicht wenige. Da war ich immer besonders stolz darauf. So mancher Unternehmensberater sieht das vielleicht als mangelnde Flexibilität. Aber ein Konzern bietet ja viele unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten. Man sieht es bei meinem Nachfolger, der 15 Jahre bei der Baywa ist, unterschiedlichste Dinge getan hat und viel Erfahrung sammeln konnte. Also sozusagen tradierte Werte. Und oft sind auch Familienangehörige im Unternehmen. Das ist in anderen Häusern verpönt, bei uns ist es geradezu erwünscht.
Vor vielen Jahren hatten wir eine intensive Diskussion, ob die Grundwerte des Genossenschaftswesens nicht mehr Teil der Satzung, sondern nur Teil der Präambel zur Satzung sein sollen. Heute kann ich feststellen, dass Themen wie Selbstverantwortung, Selbstorganisation, Selbsthilfe, Selbstverwaltung, also Kernthemen des Genossenschaftswesens, bei uns immer noch eine Rolle spielen, obwohl wir börsennotiert sind. Das ist umso bemerkenswerter, weil man ja bei börsennotierten Unternehmen eigentlich mehr Shareholder Value im Vordergrund sieht. Aber das hat sich grundlegend geändert. Wir werden überall bestätigt mit dieser genossenschaftlichen Grundidee, weil wir sie auch mit dem Thema Nachhaltigkeit verbinden. 
Wolf: Ich würde das Thema sogar weiterdenken. Auf der einen Seite stellen wir fest, dass immer mehr Leute nach dem sogenannten Purpose fragen. Es geht nicht mehr nur um das EBIT allein und um die Dividende. Das bleibt wichtig, aber es ist interessant, und das ist in München und in Wien gleichermaßen, dass immer mehr Mitarbeiter fragen: Was ist denn das Sinnstiftende an dem Unternehmen? Und da tun wir uns sicher deutlich leichter als viele andere Unternehmen, hier eine Antwort zu geben. Früher hätte man das vielleicht mit Förderauftrag umschrieben. 
Das Zweite: Was einer allein nicht schafft, das machen wir gemeinsam – das kann man auch in die heutige Zeit transferieren. Das, was man früher vielleicht mit Saatguteinkauf oder mit gemeinsamen Getreidesilos umgesetzt hat, ist heute die Digitalisierung. Ein einzelner Landwirt kann kein Real Time Kinematic System oder Farmmanagement-System entwickeln. Es ist unsere Aufgabe, das zu tun, aber auch das Risiko zu tragen. Ein Einzelner kann sich den Misserfolg nicht leisten. Wir haben vielleicht auch für den einen oder anderen Misserfolg die Tragfähigkeit. Auch das ist Genossenschaft. Und insofern glaube ich sehr wohl, auch wenn unsere Sprache und unser Auftreten heute anders geworden ist, der Kern und der Purpose ist unverändert. Das ist auch das Erfolgsgeheimnis, warum eine Baywa 100 Jahre alt geworden ist und ich mir eigentlich auch um die nächsten 100 Jahre keine Sorgen mache.