Kunst im Zeichen der fünf Ringe

Bei den Olympischen Spielen wurden nicht immer nur sportliche Wettbewerbe ausgetragen.

Eine Skulptur der Olympischen Ringe, dahinter eine Küstenstadt bei Nacht

Es gibt Orte in einer Stadt, die wohl jeder, der dort wohnt, kennt – zum Beispiel die Opernpassage in Wien. Aber wie viele wissen, dass der Entwurf zu dieser Passage von einem Olympiasieger stammte? Der in Winterberg in Böhmen geborene Architekt Adolf Hoch (1910–1992) gewann 1948 bei den Olympischen Spielen in London mit dem Modell einer Sprungschanze eine Kunst-Goldmedaille und errichtete später in Wien mehrere Passagen, von denen nur noch die Opernpassage weitgehend im Originalzustand erhalten ist.

Bei den von 2020 auf 2021 verschobenen, nun doch bald beginnenden Olympischen Spielen in Japan wird nur im Sport um Medaillen gekämpft. Man sollte aber nicht vergessen, dass von 1912 bis 1948 auch Kunstschaffende in fünf Bereichen mit ihren Werken wetteifern durften: Architektur, Literatur, Musik, Malerei und Bildhauerei.

Reibepunkt Amateurstatus

Die olympischen Kunstbewerbe wurzelten in dem Wunsch von Pierre de Coubertin, dem Begründer der 1896 erstmals ausgetragenen modernen Olympischen Spiele, Kunst und Sport zu verbinden. Die Vorgabe für die eingereichten Kunstwerke lautete, dass sie vom Sport inspiriert sein mussten. Realisiert wurde die Idee erstmals 1912 in Stockholm mit lediglich 35 Teilnehmern. Einer der damaligen Olympiasieger war Pierre de Coubertin – seine unter dem Pseudonym „Georges Hohrod und Martin Eschbach“ vorgelegte „Ode an den Sport“ wurde mit der Literatur-Goldmedaille geehrt.

Viele Kunst-Olympiasieger wurden zwar in ihren Heimatländern bekannt, zu echtem Weltruhm hat es aber kaum einer gebracht. Dagegen gab es etliche sehr prominente Juroren, zum Beispiel 1924 Selma Lagerlöf, Paul Claudel, Maurice Ravel, Béla Bartók und Igor Strawinsky. Die Zahl der eingereichten Kunstwerke stieg bis 1928 beträchtlich – sie betrug damals in Amsterdam allein in der Malerei und Bildhauerei über 1.100. Die fünf Bereiche wurden im Lauf der Zeit in weitere Sparten unterteilt.

Zum Unterschied von den Sportlern mussten die Künstler keine Amateure sein und durften ihre Werke am Ende der Ausstellung verkaufen. Als 1949 ein Bericht aufzeigte, dass praktisch alle Teilnehmer der Kunstbewerbe von ihrer künstlerischen Arbeit lebten und damit den Amateurstatus verletzten, traf das Internationale Olympische Comité die Entscheidung, die Kunstwettbewerbe zu streichen und durch eine Ausstellung ohne Medaillen zu ersetzen. Obwohl es Versuche gab, diese Bewerbe wieder einzuführen, blieb es bei diesem Beschluss. 

Erfolgreiche Österreicher

Die erste Kunstmedaille für Österreich – und zwar gleich aus Gold – holte 1928 der Wiener Bildhauer und Medailleur Edwin Grienauer (1893–1964) in der Kategorie Reliefs und Medaillen. Welche seiner vier Einreichungen erfolgreich war, ist nicht mehr überliefert, aber wahrscheinlich ein Motiv aus dem Rudersport, den Grienauer selbst erfolgreich ausübte. 1948 holte er jedenfalls mit einer „Plakette für den Rudersport“ noch eine olympische Medaille – diesmal aus Bronze. Objekte von Grienauer hat jeder nicht mehr ganz junge Österreicher schon in der Hand gehabt, denn dieser Künstler entwarf zahllose Bildseiten von Münzen, so auch die von 1959 bis 2002 im Umlauf befindliche Ein-Schilling-Münze.

Am erfolgreichsten war Österreich in der Sparte Architektur. Dafür sorgte nicht nur der eingangs erwähnte Adolf Hoch, der an der Wiener Akademie der bildenden Künste studierte und sein Diplom bei Peter Behrens erwarb. In Zusammenarbeit mit Ernst Otto Hofmann entstand 1938 Hochs wichtigster Vorkriegsbau, die stilistisch deutlich von der Behrens-Schule geprägte Industrieanlage der Goerz Elektro-Werke in Wien-Favoriten. Hoch trat später auch mit Spitalsbauten in Erscheinung, etwa dem 1952 errichteten Unfallkrankenhaus Meidling.

Bei den Olympischen Spielen 1936 gewann der gebürtige Wiener Architekt Hermann Kutschera (1903–1991) mit dem Entwurf eines Skistadions mit Sprungschanze die Goldmedaille. Kutschera bildete sich nach dem Studium in der Meisterschule von Clemens Holzmeister weiter und bewährte sich später vor allem mit dem Bau von Hotels, Restaurants und Sportanlagen sowie der Neuerrichtung der Jubiläumswarte auf dem Gallitzinberg in Wien-Ottakring. Sein bekanntestes Werk ist eine Wohnhausanlage in Wien-Döbling, die 1958/59 errichtet und 1989 nach einem berühmten, dort von 1960 bis 1976 wohnhaften Schauspieler benannt wurde – der Helmut-Qualtinger-Hof. 

Eine Architektur-Bronzemedaille holte sich 1936 ein Wiener Architektenduo mit dem Projekt „Kampfstätte in Wien“: Hermann Stiegholzer (1894–1982) und Herbert Kastinger (1900–1937) arbeiteten bis zum frühen Tod Kastingers auch bei einigen Wohnbauprojekten zusammen. Mit Silber wurde 1948 der in Wien gebürtige, später in Kärnten ansässige Architekt Alfred L. Rinesch (1911–2005) für sein „Wassersportzentrum in Kärnten“ belohnt.

In der Sparte Literatur gewann 1936 ein 17-jähriger Schüler des Stiftsgymnasiums Kremsmünster mit seinem Sonett „Der Diskus“ die Bronzemedaille. Hans Helmut Stoiber (1918–2015), gebürtig aus Zell am See, wurde Jurist und arbeitete als Rechtsanwalt, aber auch als Richter und Staatsanwalt. Besondere Verdienste erwarb sich Stoiber als Naturschützer und Vorkämpfer für den Nationalpark Hohe Tauern. 1995 wurde ihm die Alfred-Toepfer-Medaille verliehen, die höchste Auszeichnung der Europäischen Nationalpark-Föderation.

Der umstrittenste unter Österreichs Kunst-Medaillengewinnern war Rudolf Hermann Eisenmenger (1902–1994). Er galt als ein Lieblingsmaler Adolf Hitlers und gehörte ab 1933 – wie übrigens auch Adolf Hoch – der NSDAP an. Eisenmenger bekam 1936 in Berlin für sein Gemälde „Läufer vor dem Ziel“ die Malerei-Silbermedaille. 1955 durfte er den Eisernen Vorhang der Wiener Staatsoper mit dem Hauptthema von Christoph Willibald Glucks Oper „Orpheus und Eurydike“ gestalten. Wegen Eisenmengers Vergangenheit wurde dieses Vorhangbild vor einigen Jahren verhüllt und durch ein Werk der amerikanischen Künstlerin Carrie Mae Weems ersetzt.