Herr Finanzminister, Sie sind seit März im Amt und haben relativ rasch das Doppelbudget 2025/26 durchgebracht. Dennoch wird die Sanierung der Staatsfinanzen nicht wesentlich einfacher. Welche Strukturreformen braucht Österreich?
Markus Marterbauer: Das Doppelbudget war sehr viel harte Arbeit und ein erster großer Schritt. Gesamtstaatlich hätten wir heuer ohne Gegensteuern ein Budgetdefizit von 5,8 Prozent des BIP gehabt. Wir sind jetzt recht zuversichtlich, dass wir die angepeilten 4,5 Prozent halten können. Strukturreformen sind aber mittel- bis längerfristig entscheidend. Einiges haben wir schon auf den Weg gebracht, wie die Förder-Task-Force, die Subventionen durchleuchtet und generelle Prinzipien reformieren soll. Auch beim Kampf gegen den Steuerbetrug haben wir Experten beauftragt, Maßnahmen auszuarbeiten. Wir haben ihnen ein Volumen vorgegeben, das erreicht werden soll. Strukturreformen brauchen eine längere Vorbereitung, wir sind aber auf einem guten Weg.
Trotz der Maßnahmen steigt die Staatsverschuldung weiter. Im Vorjahr betrug diese knapp 82 Prozent des BIP und heuer liegen wir derzeit bei knapp 85 Prozent, Tendenz weiter steigend. Wie belastend ist das?
Marterbauer: Diese Entwicklung bereitet mir Sorgen. Ohne Sanierungsmaßnahmen wären die Staatsschulden bis 2029 sogar auf 96,7 Prozent des BIP gestiegen. Das ist aus verschiedensten Gründen gefährlich – angefangen von den Zinskosten bis hin zu den Erwartungen auf den Finanzmärkten. Ich bin jetzt durchaus optimistisch, dass wir am Ende der Legislaturperiode sogar unter die projizierten 87 Prozent kommen könnten. Wir haben uns dafür entschieden, ein Drittel des benötigten Sanierungsvolumens über die Einnahmenseite und zwei Drittel über die Ausgabenseite zu machen. Dabei muss man sich aber fragen: Wofür gibt der Staat Geld aus? Im Wesentlichen sind das Leistungen für die Bürger in Form von Pensionen, Gesundheitsdiensten, Pflege und Bildung. Sie stehen für rund 70 Prozent der Staatsausgaben. Das sind Ansprüche an einen Staat, die die Menschen in Österreich zu Recht haben. Wir müssen schauen, dass die Systeme effizienter werden. Ich glaube aber nicht, dass der österreichische Staat generell verschwenderisch ist.
Der Schuldendienst der Republik ist in den vergangenen drei Jahren stark gestiegen – von 3,2 auf 5,1 Milliarden Euro. Wie geht es da weiter?
Marterbauer: Wie bei der Staatsschuldenquote gilt auch hier, dass man den Schuldendienst im Auge behalten muss. Denn ich gebe das Geld viel lieber für Bildung, Soziales und Infrastruktur aus als für Zinszahlungen.
Die Staatsquote, also der öffentliche Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung, ist in Österreich mittlerweile sehr hoch und liegt mit rund 56 Prozent im europäischen Spitzenfeld. Wie groß ist der Handlungsbedarf?
Marterbauer: Es klingt gut, zu sagen, die Staatsquote muss sinken. Aber was heißt das? Sollen wir im Bildungssystem oder in der Gesundheitsversorgung sparen? Wir sagen eigentlich, wir müssen in Bildung viel mehr investieren, auch, um den Wirtschaftsstandort zu unterstützen. Das erhöht die Staatsquote. Ist es deshalb schlecht? Nein. Aber wir müssen das in jeder einzelnen Frage ausdiskutieren. Ich halte wenig von abstrakten Diskussionen über bestimmte Zielwerte bei der Staatsquote. Eine ökonomisch ‚richtige Staatsquote‘ gibt es nicht.
„Ich halte wenig von abstrakten Diskussionen über bestimmte Zielwerte bei der Staatsquote. Eine ökonomisch ,richtige Staatsquote‘ gibt es nicht.“
Markus Marterbauer
Ein großer Budgetposten sind die Pensionen. Aufgrund der demografischen Entwicklung gerät das System zunehmend unter Druck. Der Staat muss immer mehr Geld aufwenden, um das Pensionsniveau aufrechtzuerhalten. Der Ruf nach einem großen Wurf wird lauter. Wie sehen Sie das?
Marterbauer: Ich bin immer skeptisch, wenn es um eine ganz große Reform geht – nach dem Motto „Wir machen alles neu“. Das funktioniert in der Politik nicht. Man muss vom Status quo ausgehen und das System weiterentwickeln. Ich denke, dass wir grundsätzlich ein gutes Pensionssystem haben. Dessen Funktion ist es, den Lebensstandard im Alter – unabhängig davon, wie man diesen im Detail definiert – zu sichern. Grundsätzlich tut das unser Pensionssystem, aber wir müssen, damit das auch längerfristig der Fall ist, an ein paar Schrauben drehen.
An welchen?
Marterbauer: In der ersten Säule, also dem staatlichen Pensionssystem, geht es darum, dass die Menschen länger erwerbstätig und erwerbsfähig werden, jedenfalls mit dem Ziel, bis 65 Jahre zu arbeiten und dies auch zu können. Wenn uns das gelingt, dann haben wir schon eine ziemliche Entlastung erreicht. Da haben wir ein paar Baustellen, an denen wir arbeiten müssen. Es geht vor allem um die Qualifizierung, die Bildung und die gesundheitliche Situation der Menschen. Ein zweites Element sind die Betriebspensionen, also die zweite Säule. Diese haben wir im Vergleich zu den skandinavischen Ländern, die ein ähnliches Wohlstandsniveau haben, ziemlich schwach ausgebaut. Bei uns hat gerade ein Viertel der Beschäftigten einen Anspruch auf Betriebspensionen, in den skandinavischen Ländern sind es viel, viel mehr. Wir arbeiten deshalb an einem Generalpensionskassenvertrag, der das System ein bisschen vereinfachen soll und auch Effizienzvorteile bei den Pensionskassen bringen kann. Da ist einiges drinnen. Das wäre eine gute Ergänzung zur ersten Säule.
Die Konjunkturentwicklung spielt eine wesentliche Rolle für die Budgetplanung. Österreich verlor in den vergangenen Jahren an Wettbewerbsfähigkeit. Was braucht es, um wieder nach vorne zu kommen?
Marterbauer: Viele Schritte. Billiger Strom ist zum Beispiel für den Industriestandort Österreich und dessen Transformation enorm wichtig. Wir müssen die Produktion von erneuerbaren Energien erweitern und die Netze ausbauen. Wir brauchen aber auch Reformen am Arbeitsmarkt, um Menschen, salopp gesprochen, aus schlechten Jobs in bessere zu bekommen. Solche Strukturreformen sind zwar nicht unmittelbar budgetwirksam, determinieren aber langfristig unsere fiskalischen Möglichkeiten.
Wo können Sie Impulse setzen?
Marterbauer: Wir haben kein Geld, um große Konjunkturprogramme mit Steuersenkungen und Subventionen zu starten. Daher setzen wir auf gezielte Maßnahmen, wie die temporäre Erhöhung des Investitionsfreibetrags, die demnächst kommen wird. Das ist der Idee geschuldet, dass der Aufschwung erst wirklich in Gang kommt, wenn die Investitionen anziehen, was bisher nicht der Fall ist. Die Erhöhung kostet uns 220 Millionen Euro, die wir vollständig gegenfinanzieren müssen. Darüber hinaus haben wir weitere Offensivmaßnahmen beschlossen, etwa mehr Mittel für Qualifizierungen beim Arbeitsmarktservice. Heuer werden wir 200 Millionen Euro zusätzlich bereitstellen, nächstes Jahr noch einmal 100 Millionen Euro. Auch das hilft der Konjunktur. Warum? Wenn die Auslastung im produktiven Bereich steigt, wäre eine Verschärfung des Fachkräftemangels besonders bitter.

Wie ist das Investitionsklima in Österreich?
Marterbauer: Investitionen sind abhängig von den Zukunftserwartungen und damit ist Unsicherheit Gift für diese. Deshalb muss man enorm aufpassen, nicht nur Schwarzmalerei zu betreiben, denn diese tendiert dazu, sich selbst zu verstärken. Insgesamt ist die Entwicklung der Investitionen recht gut. In Österreich werden heuer ungefähr 125 Milliarden Euro investiert. Wir haben damit eine relativ hohe Investitionsquote, die bei 24 Prozent des BIP liegt. Die Deutschen liegen um die 22 Prozent. Im Moment werden primär Ersatzinvestitionen getätigt. Entscheidend für einen Aufschwung sind allerdings Erweiterungsinvestitionen, die noch verhalten sind. Womit wir wieder am Anfang der Beantwortung dieser Frage wären.
Der Finanzsektor spielt eine große Rolle bei Investitionen. Wie sehen Sie die Entwicklung der heimischen Banken?
Marterbauer: Banken haben in einer Marktwirtschaft, die immer auch eine Kreditwirtschaft ist, eine unverzichtbare Aufgabe, weil sie Investitionen finanzieren. Wir wissen aber, dass gerade von Finanzmärkten und Banken Instabilität ausgehen kann. Deshalb ist es besonders wichtig, dort Stabilität zu haben. Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise haben die Kreditinstitute große Fortschritte gemacht. So wurde die Eigenkapitalquote verdoppelt, was viel zur Stabilität beiträgt. Die Ausrichtung der österreichischen Banken nach Osteuropa war ein Segen und hat beim Kapitalaufbau geholfen. Das Geschäftsmodell hat dort immer noch einiges an Potenzial, es wird aber insgesamt ein bisschen schwächer. Die österreichischen Banken werden sich laufend neu orientieren müssen. Ich habe aber keinen Zweifel, dass das auch gelingen wird.
Die Inflation ist in Österreich doppelt so hoch wie in der EU. Welche Möglichkeiten haben Sie, hier gegenzusteuern?
Marterbauer: Österreichs Wirtschaft und Wirtschaftspolitik hat sich in dieser Energie- und Gaspreiskrise deutlich schlechter geschlagen als in der letzten großen Energiekrise in den 1970er-Jahren. Damals hatten wir eine der niedrigsten Inflationsraten Europas, jetzt haben wir eine der höchsten. Aus der Vergangenheit lernend, muss man sehr gezielt in einzelne Bereiche intervenieren. Wir tun das stark am Mietmarkt, wo wir schätzungsweise 2,4 Millionen Personen durch Mietregulierungen erreichen. Auch beim Thema Energie nutzen wir unsere Möglichkeiten, um zu intervenieren. Und der dritte Bereich sind die Lebensmittelpreise, die hohe Wellen schlagen. Wir wollen klar signalisieren, dass die Inflation zu hoch ist und dass wir dagegen etwas tun. Denn auch die Inflationserwartungen spielen eine große Rolle, da sich die Teuerung ganz oft selbst speist. Das wollen wir so gut wie möglich eindämmen. Ob uns das gelingt, wird man erst im Nachhinein sehen.
Die Berechnungen der Oesterreichischen Nationalbank zeigen, dass die Teuerung bei den Lebensmitteln bei einer Inflationsrate von über 4 Prozent kaum ins Gewicht fällt. Ist das also eine Signalpolitik?
Marterbauer: Es geht auch um gefühlte Preiserhöhungen, deshalb ist es richtig, in den genannten Bereichen mit einer großen Breitenwirkung zu intervenieren. Dazu kommt auch eine soziale Dimension: Mieten, Haushaltsenergie und Lebensmittel haben in den unteren Einkommensgruppen einen viel höheren Anteil an den Haushaltsausgaben als in den oberen. Im unteren Zehntel zum Beispiel entfallen mehr als 50 Prozent der Haushaltsausgaben auf diese Bereiche, im oberen Zehntel sind es lediglich 15 Prozent. Wenn für Menschen im oberen Zehntel die Preise in diesen drei Feldern steigen, dann bleibt weniger zum Sparen übrig, aber in den unteren Einkommensbereichen geht es dann ans Eingemachte. Die Menschen können sich andere Dinge dann nicht mehr leisten.
Stark zugelegt hat die Teuerung aber vor allem im Dienstleistungsbereich wie Gastronomie oder Beherbergung …
Marterbauer: Dort ist es natürlich viel schwieriger zu intervenieren. Die stärksten Preissteigerungen sehen wir in der Gastronomie und Beherbergung. Das hat auch einen großen Effekt auf die Gesamtinflation. Nur was können wir dort tun? Sollen wir den Schnitzelpreis regulieren oder festlegen, wie viel eine Hotelübernachtung kosten darf? Da stoßen wir rasch an unsere Grenzen. Daher werden wir dort aktiv, wo es möglich ist.