Sie sind seit drei Jahrzehnten für Raiffeisen Südtirol tätig. Einmal Raiffeisen, immer Raiffeisen?
Paul Gasser: Das trifft auf mich zu. Der Wechsel zu Raiffeisen war eher ein zufälliger. Meine berufliche Laufbahn hat bei der Volksbank Brixen begonnen. In dieser Zeit habe ich den damaligen Präsidenten des Raiffeisen Versicherungsdienstes kennengelernt. Er hat mich überzeugt, zu Raiffeisen zu wechseln – eine Entscheidung, die goldrichtig war. Mich hat bei Raiffeisen immer fasziniert, dass es eine Organisation ist, die für Land und Leute einen Mehrwert schafft.
Auf welche Meilensteine in Ihrer Karriere blicken Sie zurück?
Gasser: Es hat viele Meilensteine gegeben. Zu Beginn meiner Raiffeisen-Laufbahn war der Aufbau des Versicherungsdienstes eine große Herausforderung. Der Start war nicht einfach, aber mein Vorteil war, dass ich aus der Bankenwelt kam und mir die Sprache der Banken geläufig war. Der Wechsel zum Raiffeisenverband 2001 war ebenso ein großer Meilenstein. Ich bin dort zurück ins Bankgeschäft, weil ich die Leitung der Abteilung Bankwirtschaft übernommen habe und gleichzeitig die Vizedirektion. Der Höhepunkt kam 2009, als mir die Gesamtleitung des Raiffeisenverbandes als Generaldirektor anvertraut wurde.
Inhaltlich war die Sanierung der Assimoco AG in Mailand, unseres wichtigsten Versicherungspartners, die erste große Baustelle, die ich zu bewältigen hatte. Für die Sanierung musste ich Geld ausleihen, um eine Kapitalerhöhung zu finanzieren. Das war ein großes Risiko für den Verband, aber im Nachhinein war es die richtige Entscheidung – nicht nur, weil die Gesellschaften heute sehr profitabel sind, sondern auch aus strategischer Sicht für Raiffeisen.
Der nächste ‚große Brocken‘ war die Causa der Wettbewerbsbehörde mit dem Vorwurf der illegalen Kartellbildung bei Raiffeisen. Damals ging es wirklich um Sein oder Nichtsein, also um die Zukunft des Raiffeisen-Systems generell. Es ist uns gelungen, die Sache ins richtige Lot zu bringen. Es war eine Zeit, in der Banken generell nicht unbedingt ein positives Image hatten. Dass wir dabei nicht Schaden genommen haben, war ein großer Erfolg. Und natürlich, dass wir die Causa in erster und zweiter Instanz gewonnen haben. Denn mit diesem Urteil haben wir auch für die Zukunft eine Bestätigung, dass die Zusammenarbeit innerhalb von Raiffeisen nicht kartellwidrig ist.
Zu guter Letzt kam das jahrelange Tauziehen mit der Reform der Genossenschaftsbanken, die uns fast fünf Jahre lang begleitet hat. Mit viel persönlichem Einsatz ist es uns schließlich gelungen, für Südtirol die Errichtung eines Sicherungssystems als Alternative zu einem Konzern gesetzlich verankern zu können. Das ist sicher eine Errungenschaft historischer Dimension, weil wir in Italien die einzigen sind, die das geschafft haben. Die Herausforderung wird sein, dieses IPS auch für die Zukunft zu erhalten.
Worauf sind Sie besonders stolz in Ihrer Zeit bei Raiffeisen? Gibt es eine Begegnung/ein Ereignis, das Ihnen in Erinnerung geblieben ist?
Gasser: Ja, im Rahmen des Reformprozesses haben wir im Juli 2018 eine Landesversammlung mit allen Obmännern und Direktoren der Raiffeisenkassen abgehalten, bei der es um die Festlegung einer klaren Haltung ging. Der Raiffeisenverband wurde mit einstimmigem Beschluss beauftragt, eine Konzernbildung abzuwenden. Das war ein sehr entscheidender Moment. Denn erst damit hatten wir den Rückenwind und eine klare Positionierung von allen Seiten.
Für mich auch ein großer Erfolgsmoment war der Ankauf des Gebäudes neben dem Raiffeisenverband in Bozen. Mit etwas Geschick und längeren Verhandlungen ist es gelungen, dieses Haus anzukaufen. Damit steht die gesamte Raiffeisenstraße in Bozen im Besitz des Raiffeisenverbandes.
Sie sind als ausgezeichneter Netzwerker bekannt, mit Verbindungen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Wie wichtig war dieses Netzwerk, um die Interessen von Raiffeisen durchzusetzen?
Gasser: Für eine wirkungsvolle Verbandsarbeit ist das Eingebundensein in ein Netzwerk unverzichtbar. Ein Netz, das in alle Richtungen geht – und wenn ich an Südtirol denke – auch über die Landesgrenzen hinaus. Denn der RVS hat auf Grund seiner historischen und sprachlichen Situation eine Sonderstellung innerhalb des italienischen Staates. Darum ist wichtig, gute Verbindungen zu den Nationalverbänden in Rom zu haben und ihnen die Besonderheiten von Raiffeisen verständlich zu machen. Aber genauso wichtig ist das Naheverhältnis zu den Nachbarverbänden im Norden. Mir war es ein besonderes Anliegen, die Beziehungen zu Raiffeisen Österreich – gerade wegen der historischen Verbindungen – zu beleben und auch zu pflegen. Und ich bin schon stolz, dass der Raiffeisenverband Südtirol heute Mitglied beim Raiffeisenverband Österreich ist.
Gibt es einen Bereich, in dem die Zusammenarbeit mit dem ÖRV besonders erfolgreich war?
Gasser: Eine enge Zusammenarbeit besteht seit langem in der Revision. Es war immer ein Privileg des Raiffeisenverbandes Südtirol, bei den Bundesrevisorenkonferenzen teilnehmen zu können. Es gab und gibt eine gute Zusammenarbeit in der Interessensvertretung, vor allem im Bankbereich, aber auch in Agrarfragen, sowie bei der „Bewusst.Raiffeisen“-Kampagne und beim Thema Frauen in Führungspositionen bei Genossenschaften.
Raiffeisen beruht auf den Werten der Genossenschaft. Was bedeuten diese Werte für Sie persönlich?
Gasser: Mir bedeuten diese Werte sehr viel. Der Job des Generaldirektors war sicher herausfordernd, aber gleichzeitig auch erfüllend. Ich bin vom gesellschaftlichen Stellenwert des Genossenschaftswesens überzeugt. Genossenschaften fördern den Zusammenhalt in der Bevölkerung, da sie einen demokratischen Aufbau haben und in den ländlichen Gebieten die Konkurrenz zwischen den Landwirten ausschalten. Und der Zusammenhalt ist für uns als sprachliche Minderheit noch wichtiger als in anderen Ländern oder Gebieten.
Wie kann es gelingen, auch junge Menschen für diese Werte zu begeistern?
Gasser: Das ist ein Thema, das sich überall stellt, wo Genossenschaften tätig sind. Zum Glück ist es mir gelungen, im Verband eine junge Führungsmannschaft aufzustellen, die das genossenschaftliche Gedankengut weitertragen wird. In den Schulen haben wir erreicht, dass das Thema Genossenschaft stärker im Unterricht präsent ist, auch wenn es diesbezüglich noch sehr viel zu tun gibt. Ebenso besteht bei den Genossenschaften selbst Handlungsbedarf.
Aus diesem Grund arbeiten wir seit über einem Jahr an einer Kommunikationskampagne, in der es darum geht, der Öffentlichkeit aufzuzeigen, wie vielfältig das Genossenschaftswesen ist und wie nachhaltig sich diese Organisation für Südtirol präsentiert. Die Kampagne hat den Slogan: Raiffeisengenossenschaften gut für mich, gut für Südtirol. Es gibt kaum einen Südtiroler oder eine Südtirolerin, die nicht in irgendeiner Form in Kontakt mit einer Raiffeisengenossenschaft stehen.
Gibt es noch etwas, das Sie gerne gemacht hätten und sich nicht mehr ausgegangen ist?
Gasser: Ja, das gibt es tatsächlich. Im Zuge der Neuorganisation des Raiffeisenverbandes haben wir ein Zukunftsbild erarbeitet und Maßnahmen für dessen Umsetzung definiert. Diese Maßnahmen konnten wir großteils, aber nicht vollständig umsetzen. Es wäre mir recht gewesen, wenn die Zeit dafür gereicht hätte. Auch das Projekt der Energiegemeinschaften, das wir im Vorjahr mit Partnern angestoßen haben, hätte mich gereizt weiter zu begleiten. Ich bin nämlich überzeugt, dass in Zukunft die Energie ein zentrales Thema für die Genossenschaft sein wird.
Viele Raiffeisen-Manager schreiben nach ihrer aktiven beruflichen Karriere ein Buch. Welchen Titel würde Ihres haben?
Gasser: Schön war die Zeit. Ich habe viel Positives erlebt und ich konnte mit vielen Menschen zusammenkommen, mit denen über die beruflichen Kontakte hinaus auch freundschaftliche Bindungen entstanden sind. Wenn ich an die Reform denke, dann waren die letzten fünf Jahre gefühlt sicherlich mehr, aber der Erfolg hat den Einsatz belohnt.
Haben Sie Angst vor einem Pensionsschock?
Gasser: Nein, habe ich nicht, da ich gut vorbereitet bin. Vor drei Jahren haben wir die Befristung meines Vertrages gemeinsam festgelegt. Somit war klar, dass die Zeit kommt. Natürlich besteht eine bestimmte Wehmut, aber ich hätte sicherlich was falsch gemacht, wenn ich diese nicht verspüren würde. Jetzt freue ich mich, mehr Zeit für meine Engagements in der Kultur und für die Musik zu haben und dass ich mich als Präsident der Stiftung Haydn von Bozen und Trient und als Präsident der Stiftung Musik Brixen mehr einbringen kann.