39 Prozent höher ist die Wahrscheinlichkeit für Unternehmen weltweit, überdurchschnittlich profitabel zu sein, wenn sie mehr Frauen in Führungspositionen haben. Europäisch betrachtet beträgt dieser Diversitätsvorteil sogar 62 Prozent, wie aus einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey, basierend auf Daten von mehr als 1.200 Unternehmen in 23 Ländern, hervorgeht. Es sind handfeste Zahlen wie diese, die Diversität in den letzten Jahren nicht mehr nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich in den Fokus gerückt haben.
Bei Raiffeisen wurde Vielfalt beim bereits 4. Bundeskongress Diversität & WIR des Raiffeisen Campus – auf Einladung des Raiffeisenverbandes Salzburg (RVS) diesmal in der Mozartstadt – einmal mehr in den Mittelpunkt gerückt und aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet.
„Diversität ist in der Bankbranche schon lange kein Randthema mehr, sondern mittlerweile ein zentraler Wettbewerbsfaktor. Es ist ein Muss, um die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens abzusichern“, unterstrich der Generaldirektor des RVS, Heinz Konrad, die ökonomische Bedeutung. Diese wird auch von Kundenseite wesentlich vorangetrieben. Heutzutage würden nicht nur perfekte Produkte und Dienstleistungen erwartet: „Kunden interessiert auch, für welche Werte wir stehen und wie wir diese Werte leben. Letztendlich führt das auch zu Kaufentscheidungen.“
Konrad ist überzeugt, dass Diversität gleichzeitig auch auf Kundenbetreuerseite eine substanzielle Qualitätsverbesserung bringt: „Wichtig ist, dass man Beraterteams hat, die die Vielfalt unserer Kundinnen und Kunden entsprechend abdecken.“ Um etwa junge Menschen als Kunden zu gewinnen und langfristig zu behalten, brauche es entsprechend junge und gut ausgebildete Berater.
Brücken bauen
Beim RVS ist mit rund 250 Mitarbeitern ein Viertel der insgesamt etwa 1.000 Bankbeschäftigten 30 Jahre oder jünger. Zugleich sind etwa 200 über 55 Jahre alt. Eine Herausforderung für Führungskräfte: „Generationengerechtes Führen bedeutet, zu verstehen und zu akzeptieren, dass Generationen unterschiedlich ticken“, so Konrad. „Die jüngere Generation suche eher nach Flexibilität und Gestaltungsmöglichkeiten, während die älteren Generationen Stabilität und Erfahrung ins Unternehmen einbringen. „Es gilt, Brücken zu bauen – zwischen Veränderungsbereitschaft und Tradition, zwischen innovativen Ideen und bewährtem Wissen.“
In den letzten fünf Jahren habe sich beim RVS jedenfalls bereits „wirklich sehr viel getan“, hielt Geschäftsleiterin Anna Doblhofer-Bachleiter fest. Seit sie in das Thema Diversität eingebunden ist, habe man zahlreiche Projekte angestoßen, etwa den regelmäßig stattfindenden „Treffpunkt Amalie“, mit dem gezielt Frauen gestärkt und sichtbar gemacht werden sollen. Diversität dürfe nicht als reines HR-Thema betrachtet werden, sondern müsse als Mindset im Unternehmen verankert werden: „Es ist wichtig, die Dinge zu institutionalisieren und Strukturen zu schaffen, um auch wirklich dranzubleiben“, betonte Doblhofer-Bachleitner.
Diverse Genossenschaft
Dass Diversität auch theoretisch tiefer wurzelt und mit dem genossenschaftlichen Selbstverständnis eng verbunden ist, zeigte Victoria Schäfer von ADG Research. Sie plädierte für eine differenziertere Betrachtung: Studien wie die eingangs erwähnte würden zwar belegen, dass Unternehmen, die aktiv auf Vielfalt setzen, erfolgreicher performen. Allerdings sei unternehmerischer Erfolg vielschichtig und umfasse nicht nur die finanzielle Seite, sondern auch Aspekte wie Unternehmenskultur, Mitarbeiterzufriedenheit, Nachhaltige Führung, Innovation und Kreativität.
Gleichzeitig warnte sie vor einer zu einfachen Logik: Je bunter, umso besser und performanter auf der einen Seite und Diversität als Teufelszeug auf der anderen. „Mir geht es darum, dass wir aus dieser polaren Diskussion herauskommen“, so Schäfer. Durch ein reines Mehr an Diversität würden nicht automatisch Vorteile entstehen: „Es ist nicht damit getan, ein diverses Team zusammenzustellen, es muss auch noch zu einem Team zusammenwachsen. Es braucht partizipative Führung, damit Diversität in Unternehmen gut gelingen kann.“
Genossenschaften seien durch Prinzipien wie Mitgliederförderung, Subsidiarität und Identität laut Schäfer besonders gut geeignet, Diversität zu leben und zu gestalten. Dafür griff sie auf das Konzept der „Sympathy“ des Wirtschaftstheoretikers Adam Smith zurück. Anders als die neoliberale Ökonomie, die wirtschaftliches Handeln vom Egoismus des Einzelnen aus denkt, stelle Smith das „sozial integrierte Individuum“ in den Mittelpunkt. Diese Haltung, so Schäfer, trage die Idee der Genossenschaft von Anfang an – bei Friedrich Wilhelm Raiffeisen ebenso wie bei Hermann Schulze-Delitzsch. „Aus meiner Sicht ist die genossenschaftliche Idee aufgrund des Prinzips der offenen Mitgliedschaft hervorragend dafür geeignet, Diversität abzubilden und ist seit Anbeginn divers“, konstatierte Schäfer.
„Diversität allein reicht nicht“
An diesen theoretischen Zugang knüpfte Barbara Covarrubias Venegas an. Die Expertin für Organisationskultur stellte klar: „Wir haben kein Wissensdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit.“ Viele Unternehmen investieren hohe Summen in Diversitätsprogramme – dennoch glaubten 2021 in einer Studie 80 Prozent der befragten Manager, dass die gesetzten Maßnahmen keinen nachhaltigen Effekt haben. Der Grund: fehlende Anbindung an die tatsächliche Unternehmenskultur, ineffektive Umsetzung im Alltag und oberflächliche Bekenntnisse: „Wo Unternehmen bedingungslos für Gleichberechtigung sind? In Social-Media-Postings zum Weltfrauentag.“
Entscheidend sei das Gefühl der Zugehörigkeit: „Diversität allein reicht nicht – ohne Inklusion und Zugehörigkeit entsteht kein nachhaltiger Wandel.“ Führungskräfte müssten Räume schaffen, in denen Unterschiedlichkeit anerkannt, besprochen und konstruktiv genutzt wird – etwa durch transparente Kommunikation, individuelle Unterstützung und psychologische Sicherheit.
„Je diverser ein Team ist, desto mehr Kommunikation und Zeit braucht es, um Vertrauen aufzubauen“, betonte Covarrubias Venegas. Sie plädierte für einen ganzheitlichen DEIB-Ansatz (Diversity, Equity, Inclusion & Belonging), basierend auf echten Daten, denn: „Wenn wir nicht wissen, wo wir stehen, wissen wir nicht, wo wir hinmüssen.“ Ihr Appell in puncto Diversitätsmaßnahmen: „Stellen Sie sicher, dass das Geld nicht beim Fenster rausgeschmissen wird.“
Vielfalt aus künstlerischer Perspektive
Einen erfrischend anderen Blick auf das Thema Vielfalt bot der Stuntman und Regisseur Robin Witt, der gemeinsam mit seiner Frau Varietéshows entwickelt – also künstlerische Formate, in denen „Vielfalt Programm ist“. In seiner körperbetonten Keynote spannte Witt den Bogen von spektakulären Bühnenerfahrungen und Stuntszenen zu einer sehr menschlichen Erkenntnis: Wer Vielfalt leben will, muss lernen, Unterschiede nicht sofort zu bewerten. Damit meinte er nicht nur gesellschaftliche Offenheit, sondern die Fähigkeit, auf unerwartete Situationen mit einem Moment des Innehaltens zu reagieren – nicht sofort zu urteilen, sondern erst zu beobachten.
„Akzeptieren heißt nicht resignieren“, so Witt. Gerade dieser ruhige Umgang mit Unvorhersehbarem ermögliche es ihm, im künstlerischen Schaffen wie im Alltag besondere Momente zu entdecken: „Genau dort, wo ich in Shows innegehalten habe, haben besondere Momente geschlummert.“
Jung und Alt auf Augenhöhe
Dass hohes Alter kein Hindernis ist, um solche zu erleben, brachte Greta Silver auf den Punkt: „Ich stehe mit 77 in der Blüte meines Lebens.“ Statt Schuldzuweisungen fordert die deutsche Influencerin und Autorin Eigenverantwortung und das mutige Setzen von Grenzen – auch im Berufsalltag. Ihre Botschaft: Wer das eigene Glück in die Hand nimmt, gestaltet sein Leben aktiver, mutiger und erfüllter. In Zeiten von KI, die „uns das Wissen als Macht nimmt“, bleibe der Mensch mit seiner Empathie als zentrales Unterscheidungsmerkmal: „Das ist unsere große Stärke.“
Den Bogen zur jungen Generation schlug der anschließende Generationen-Talk mit Unternehmerin Conny Hörl und Influencer Samuel Orji, bekannt als sam-sational. Beide warben für ein Ende vom Schubladendenken – unabhängig von Alter, Geschlecht und Hautfarbe. „Ich wünsche mir, dass jeder ernst genommen wird und Ideen gehört werden – auf Augenhöhe“, sagte Hörl. Orji betonte, wie wichtig es für junge Menschen sei, sich im Arbeitsumfeld verstanden und gesehen zu fühlen: „Ein Job ist dann sexy, wenn ich das Gefühl habe, ich kann etwas beitragen – und es interessiert jemanden.“
Funktionärinnen-Anteil steigt stetig
Bettina Kastner, Personalchefin des Österreichischen Raiffeisenverbands (ÖRV) und seit 2014 Koordinatorin des Funktionärinnen-Beirats, blickte auf dessen zehnjährige Erfolgsgeschichte zurück und präsentierte erfreuliche Zahlen, vor allem im Bankbereich. In vier Bundesländern habe man bereits die anvisierten 25 Prozent an Funktionärinnenanteil bereits erreicht, bis Jahresende soll es in allen so weit sein: „Wir sind guter Dinge, es stehen ja noch einige Wahlen und Ergänzungswahlen an, dass wir das auch schaffen“, so Kastner. Ein Hebel ist dabei die Diversitätsstrategie der Raiffeisen-Bankengruppe, für deren Umsetzung 2023 eine eigene Arbeitsgruppe gegründet wurde. Zu den Maßnahmen zählen strukturiertes Karenzmanagement, Führung in Teilzeit und Jobsharing, vielfältiges Recruiting und Inklusionsmaßnahmen.
Embrace als Best-Practice-Beispiel
Wie wichtig Sichtbarkeit und Akzeptanz sind, wurde im LGBTIQ+-Impulstalk deutlich. Conny Felice, Geschäftsführerin der HOSI Salzburg, berichtete offen über ihren Weg als Transfrau: „Ich habe 45 Jahre lang ein normales Leben gelebt – aber es waren immer zwei Seelen in meiner Brust.“ Verstecken koste Kraft, Outings würden im Job oft vermieden – mit langfristigen Folgen für Bindung und Wohlbefinden: „Menschen, die nach mir kommen, dürfen nicht so behandelt werden wie ich – so würdelos“, betonte Felice.
Martin Meidl vom Embrace-Netzwerk der RBI schilderte, wie konkret Unterstützung aussehen kann. So wurden etwa Kooperationen mit Ärzten aufgebaut, die LGBTIQ+-Kompetenz mitbringen – denn gerade im Gesundheitsbereich erleben queere Menschen häufig Diskriminierung. Auch psychologische Begleitung werde angeboten. Die Prämisse: „Man soll sich gesehen fühlen.“
Ruf nach Inklusion und Barrierefreiheit
Mit einem eindrücklichen Moment ging der zweite Tag des Kongresses zu Ende. Wolfgang Illek schilderte seinen persönlichen Weg – vom sportlich aktiven jungen Mann zum Tetraplegiker: „Ich habe wahnsinnig viel Sport betrieben, Bewegung war mein Leben – bis zu einem 10. Juni 2004.“ Bei einem Radunfall wurde Illeks Rückenmark verletzt, seither ist der 39-Jährige von den Schultern abwärts gelähmt. Heute engagiert er sich als Botschafter für Wings for Life, eine Stiftung für Rückenmarksforschung. Ziel ist es, Querschnittslähmung heilbar zu machen. Weltweit wurden bislang über 320 Forschungsprojekte unterstützt. Illek brachte einen weiteren wichtigen Aspekt ins Zentrum der Diversitätsdebatte: die Inklusion von Menschen mit Behinderung. In einer Arbeitswelt, die Vielfalt ernst nimmt, gehört auch Barrierefreiheit – physisch wie sozial – zum Fundament echter Chancengleichheit.
„Raiffeisen ist Bank, aber auch viel mehr als Bank“, brachte Martina Weissenbök, Managerin für Bildungsprojekte am Raiffeisen Campus, die Eindrücke des 4. Bundeskongress Diversität & WIR auf den Punkt. Campus-Geschäftsleiter Josef Buchleitner unterstrich: „Wir haben sehr viele Aspekte beleuchtet und man merkt, in diesem Thema geht viel weiter.“ Die Gesellschaft sei zwar noch nicht so weit, aber: „Eigentlich müsste das Ziel sein, dass es Kongresse wie diesen nicht mehr braucht. Weil all das, was wir hier anstreben und über das wir sprechen, völlig selbstverständlich ist.“