Förderauftrag neu interpretiert

Raiffeisen OÖ Ventures arbeitet an einem regionalen Online-Ökosystem. „Finde-R“ soll die Wertschöpfung in der Region fördern und die genossenschaftlichen Grundsätze in die Jetztzeit führen.

So soll das Beyond Banking-Projekt Finde-R auf den verschiedenen Endgeräten aussehen.
(c) Raiffeisen OÖ Ventures

Raiffeisen ist mehr als eine Bank. Dieser Mehrwert ist nicht nur ein Werbeslogan. Gerade Genossenschaftsbanken haben den Anspruch, ihren Kunden mehr zu bieten als nur Angebote für Finanzierungen oder Geldanlagen. Es geht um die Gestaltung der Region und die Förderung der Mitglieder – seit 136 Jahren. Heutzutage nennt man solche Angebote und Bestrebungen, die über das klassische Bankgeschäft hinausgehen, neudeutsch „Beyond Banking“. Immer mehr Banken denken Aktivitäten an, die nicht zu ihrem Kerngeschäft zählen, um zusätzliche Erträge zu generieren und in einer digitalen Welt den Kontakt zum Kunden zu halten. 

Wie man die genossenschaftlichen Grundsätze mit Beyond Banking verbinden kann, das wurde in Oberösterreich im Rahmen des Strategieprojekts „RBG OÖ 2025“ intensiv diskutiert und als Ergebnis wurde Ende 2021 die „Raiffeisen OÖ Ventures“ gegründet. Diese neue Genossenschaft der Raiffeisenbankengruppe Oberösterreich beschäftigt sich mit Produkten und Dienstleistungen außerhalb der klassischen Kernkompetenzen und bündelt alle Beyond Banking-Initiativen. „Mit der Gründung der neuen Genossenschaft gehen wir in vielerlei Hinsicht neue Wege und machen einen ersten wichtigen Schritt in Richtung Beyond Banking. Sowohl die Geschäftsmodelle als auch die Organisation liegen bewusst außerhalb unseres klassischen Bankgeschäfts“, erklärt Heinrich Schaller, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank OÖ.

Bei Raiffeisen OÖ Ventures geht es darum, die Werte und Vorteile der Genossenschaft in die Gegenwart zu denken und den Förderauftrag in das 21. Jahrhundert zu übersetzen. „Genossenschaft per se heißt regional zu denken. Diesen Urgedanken – Einer für alle, alle für einen – in eine digitale Lösung zu interpretieren, das ist der Anspruch“, erklärt Robert Preinfalk, der gemeinsam mit Binjamin Sancar das Vorstandsduo von Raiffeisen OÖ Ventures bildet. Man will das Netzwerk von Raiffeisen digital abbilden und gemeinsam mit den analogen Kundenbeziehungen einen Mehrwert für die Menschen vor Ort bieten. „Die Satzungen der Genossenschaften sind nach wie vor zeitgemäß, aber wir müssen die emotionale Nähe einer Raiffeisenbank auch digital spürbar machen“, so Preinfalk. 

Start-up-Charakter

Wie das am besten gelingen kann, daran haben Vertreter der Raiff­eisenbanken, Experten aus verschiedensten Bereichen wie Payment und E-Commerce gemeinsam mit Kunden und Produktanbietern intensiv gearbeitet. „Wir erarbeiten nicht als Banker die nächste Banklösung, sondern wagen uns mit breitem Fachwissen und mit der Einbindung verschiedener Akteure im Ökosystem in neue Branchen“, betont Binjamin Sancar. Es sei eine Genossenschaft mit Start-up-Charakter, die schnell reagieren kann, aber gleichzeitig auch auf das Know-how und die Ressourcen des RLB-Konzerns zugreifen kann. Die Raiffeisenbanken fungieren als Multiplikatoren. Drei Jahre hat man getüftelt und mehr als 75.000 Arbeitsstunden in die umfassende Lösung investiert. 

„Banken mussten immer reaktiv agieren. Jetzt ist es wichtig, visionär und gestalterisch an Zukunftsthemen heranzugehen.“

Binjamin Sancar
Porträt von Binjamin Sancar
Binjamin Sancar (c) Raiffeisen OÖ

Das neue regionale Online-Ökosystem heißt „Finde-R“, kurz für „Finde Regionales“, und soll den genossenschaftlichen Förderauftrag digital erlebbar machen. „Raiffeisen OÖ betreut zirka 960.000 Kunden, davon sind 85.000 Firmenkunden. Wir möchten diese beiden Kundengruppen verbinden. Das Raiffeisen-Netzwerk ist die ideale Wachstumsumgebung für dieses Projekt zur Förderung der Wertschöpfung in der Region“, ist Heinrich Schaller überzeugt. 

Finde-R.at ist mehr als ein reiner Online-Marktplatz. Die neue Website soll die Menschen und die regionalen Unternehmen vernetzen und alle alltagsrelevanten Lebenswelten abbilden. „Raiffeisen ist schon in vielen Lebensmomenten vertreten, hauptsächlich als finanzieller Alltagsversorger. Ziel ist es, die Kunden als genereller Alltagsversorger zu unterstützen. Mit dem Zugang zu unserem Netzwerk helfen wir den Menschen, ihre Lebensqualität zu erhöhen und den Alltag zu erleichtern“, ist Sancar überzeugt. 

Integrative Lösung

Neben vielen anderen Lebenswelten kann im Bereich Bauen & Wohnen beispielsweise von der Suche nach Immobilien und Handwerkern in der Region bis zur Finanzierung alles in einer Kundenreise abgewickelt werden. Daneben werden weitere alltagsrelevante Anwendungsfälle, wie Freizeit, Kultur, Kulinarik, Gesundheit, Mobilität und Karriere – zum Beispiel shoppen, sich ein Abendessen liefern lassen oder einen neuen Job finden, über Finde-R perspektivisch möglich sein. „Es ist zu keinem Zeitpunkt notwendig, unsere Plattform zu verlassen“, unterstreicht Preinfalk.

Die Pläne sind groß und ambitioniert, aber wie Preinfalk betont: „Wenn wir die Kräfte weiterhin so bündeln, haben wir eine faire Chance mit diesem Innovationsprojekt zu reüssieren.“ Der Unterschied zu anderen Ökosystemen und Plattformen sei der integrative Ansatz und die Schnittstelle zu Raiffeisen vor Ort. Als Multi-Vendor-Marktplatz ist es darüber hinaus auch möglich, mehrere Angebote von unterschiedlichen Anbietern in einem Bezahlvorgang abzuschließen. Finde-R soll zum regionalen und nachhaltigen Online-Shoppingerlebnis werden. Wird ein E-Bike beim regionalen Händler gefunden, kann die Finanzierungsstrecke bis in die regionale Raiffeisenbank führen. „Wir haben digitale Lösungen, wo es keine Grenzen gibt, regionalisiert“, freut sich Preinfalk. 

Porträt von Robert Preinfalk
Robert Preinfalk (c) Raiffeisen OÖ

Die Anbieter auf Finde-R sind oberösterreichische Unternehmen. Momentan ist Raiffeisen OÖ Ventures in einer Pre-Opening-Phase in fünf Pilotregionen, wo man über die einzelnen Raiffeisenbanken Firmenkunden anspricht und für die neue Plattform begeistern will. Die regionalen Betriebe werden auf der Plattform vorgestellt und sie können ihre Produkte und Dienstleistungen anbieten. Vor allem für Kleinstunternehmen, die sich keinen eigenen Webshop leisten können oder wollen, ist das oftmals eine Hilfe. Zusätzlich wirbt man mit dem großen Raiffeisennetzwerk, das zusätzliches Geschäftspotenzial bietet. 

„Wir haben digitale Lösungen, wo es keine Grenzen gibt, regionalisiert.“ 

Robert Preinfalk

Start im ersten Halbjahr 2023

Das Echo der ersten Informationsveranstaltungen sei vielversprechend. Es gibt bereits erste Anbieterregis­trierungen, aber noch ist es zu früh, um mit der Plattform auf den Markt zu gehen. „Wir wollen nicht, dass typische Anwenderfälle zu keinen Treffern führen. Wir suchen zuerst Frequenzbringer und Ankermieter. Erst wenn wir sicher sind, dass das von Region zu Region funktioniert, können wir aufsperren“, unterstreicht Preinfalk. Im ersten Halbjahr 2023 müsste es eine Öffnung geben, prognostizieren die Verantwortlichen. Sancar: „Gerade bei technologiebasierten Plattform-Geschäftsmodellen sind die Feinheiten erfolgsentscheidend – etwa wenn die Suche nicht gut funktioniert oder keine Treffer liefert.“ 

Wie bei allen Beyond Banking-Aktivitäten geht es auch um Rendite. Raiffeisen Oberösterreich wird sowohl bei den Transaktionen als auch als Vermieter und über digitale Werbeplätze verdienen. Wenn der Leistungsbeweis in zwei bis drei Jahren gelingt, könnte die Plattform auch auf ganz Österreich skaliert werden, heißt es aus Oberösterreich. Man stehe Gesprächen mit anderen Landesbanken jedenfalls offen gegenüber. Die Chancen für Raiffeisen sind groß oder wie Binjamin Sancar es beschreibt: „Banken mussten in der Vergangenheit immer reaktiv auf externe Faktoren wie Regulatorik, Zinspolitik, Digitalisierung und Kundenverhalten agieren. Jetzt ist es wichtig, nicht zu warten bis die Digitalisierung unsere Grundmauern erschüttert, sondern aktiv, visionär und gestalterisch an Zukunftsthemen heranzugehen.“