Rainer Schnabl: „Es gibt keinen Plan B“

Die EU hat im März die Aufnahme der Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina beschlossen. Obwohl keine große Euphorie im Land herrscht, ist die Sehnsucht nach Europa immer noch groß. Was die Annäherung an die EU für die Zukunft des Landes und die Wirtschaft bedeutet, erläutert Rainer Schnabl, seit Dezember 2022 CEO der RBI-Tochter in Bosnien-Herzegowina.

Die EU hat vor Kurzem grünes Licht für die Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina gegeben. Was bedeutet dieser Schritt für das Land?
Rainer Schnabl: Es war eine positive Überraschung, weil die politisch Verantwortlichen nach vielen verlorenen Jahren im Vorfeld einige wichtige Reformen umgesetzt haben. Die Beitrittsgespräche sollten eine neue Dynamik bringen. Das Land ist nicht nur wirtschaftlich stark mit der EU verflochten, sondern auch über seine große Diaspora, unter anderem in Deutschland und Österreich. Nun wird es in den nächsten Jahren um eine substanzielle Annäherung an die EU gehen. Aus meiner Sicht gibt es dazu keinen Plan B.

Beobachter sehen die Eröffnung der Beitrittsgespräche eher den geopolitischen Verhältnissen als den Reformen im Land geschuldet …
Schnabl: Das ist so, allerdings spielt die Geopolitik bei allen diesen Entscheidungen immer eine gewichtige Rolle. Jetzt geht es für Bosnien-Herzegowina darum, dieses Zeitfenster zu nutzen. Man muss anerkennen, dass im Vorfeld der Eröffnung der Beitrittsgespräche in relativ kurzer Zeit wichtige Schritte wie die Verabschiedung der Gesetze gegen die Geldwäsche oder zur Verhinderung von Interessenskonflikten verabschiedet wurden. Das hat gezeigt, was alles möglich ist, wenn der politische Wille da ist. Diese Erfahrung stimmt mich positiv für die Beitrittsgespräche.

Das wird aber keine leichte Übung werden, oder?
Schnabl: Man muss sich auf einen langen Weg einstellen. Die Bevölkerung des Landes ist überwiegend auf EU-Kurs, wie Umfragen in beiden Landesteilen (Entitäten, Anm.) Föderation Bosnien-Herzegowina und Republika Srpska zeigen. Darüber hinaus darf man dabei auch die EU selbst nicht außer Acht lassen, die über eine Reform ihrer Entscheidungsprozesse nachdenkt. Grundsätzlich gibt es zwei Strömungen in der Erweiterungsfrage: Einige EU-Länder wollen den Westbalkan lieber früher als später in der EU sehen – dazu zählt auch Österreich. Andere setzen zuerst auf Reformen in der EU selbst, bevor neue Mitgliedstaaten aufgenommen werden, um die Entscheidungsfindung zu vereinfachen. Insoweit wird es eine sehr, sehr große Kraftanstrengung von beiden Seiten brauchen.

Die EU fordert nicht nur, sondern fördert auch. Womit kann Bosnien-Herzegowina rechnen?
Schnabl: Schon im Vorfeld der historischen EU-Osterweiterung vor zwei Jahrzehnten wurden diese Länder mit Investmentversprechen eingeladen. Für den Westbalkan steht nun auch ein Wachstumsplan mit insgesamt sechs Milliarden Euro bereit. Davon können zwei Milliarden als Zuschüsse und vier Milliarden als Kredite abgeholt werden, wenn Reformen umgesetzt werden. Das hat sich als probates Mittel bewährt.

Sie haben seit Ende 2022 das Ruder bei der Raiffeisen Bank Bosnien-Herzegowina übernommen. Wie ist Ihr Eindruck vom Land?
Schnabl: Es ist ein total europäisch orientiertes Land. Wenn man mit den Menschen spricht – gibt es nichts anderes, auch wenn politisch hin und da andere Themen diskutiert werden. Die europäische Integration wäre nicht nur für Bosnien-Herzegowina, sondern für die ganze Region ein wesentlicher Schritt nach vorne. Und auch für die EU ist die Region Westbalkan mit rund 17 Millionen Menschen ein interessanter Markt, der zum Beispiel die Möglichkeit bietet, sich unabhängiger von den globalen Lieferketten zu machen.

„Der Beitrittsprozess kann ein Katalysator für eine tiefere wirtschaftliche Verflechtung mit der EU werden.“ 

Rainer Schnabl

Spüren Sie die EU-Nähe auch im Tagesgeschäft?
Schnabl: Ganz unmittelbar – 75 bis 80 Prozent der Waren vieler unserer Firmenkunden gehen in die EU. Die Wirtschaft im Land leidet, wenn die EU – wie im Vorjahr – schwächelt. Der Beitrittsprozess kann aber ein Katalysator für eine tiefere wirtschaftliche Verflechtung und einen Aufschwung werden. Dabei sind die Exportbetriebe in Bosnien-Herzegowina schon viel weiter als andere Unternehmen im Land. Denn für diese zählen nicht so sehr die lokalen regulativen Anforderungen, sondern vor allem ihre Kunden, die meist in der EU sitzen. Das wird den Umbauprozess der bosnischen Wirtschaft weiter vorantreiben.

Wie hat sich der Bankmarkt entwickelt?
Schnabl: Das bosnische Bankensystem mit insgesamt 21 Banken ist von hoher Wettbewerbsfähigkeit gekennzeichnet. Führend sind internationale Bankgruppen aus Italien, Österreich und Slowenien. Wir sind die Nummer 2 in Bosnien-Herzegowina, wo es in den beiden Entitäten eigene Bankregulatoren gibt. Positiv ist, dass diese inhaltlich gut abgestimmt agieren und sich ein Großteil der Regulierung an jener der EU orientiert. Das gilt auch für das Einlagensicherungssystem. Wir haben unsere Lizenz in der Entität Föderation Bosnien-Herzegowina und machen mit dieser Lizenz Bankgeschäft im gesamten Land. In allen großen Städten des Landes sind wir mit Großfilialen vertreten. Insgesamt betreiben wir in Bosnien-Herzegowina 85 Bankstellen in unterschiedlicher Ausprägung.

In den internationalen Medien macht das Land primär wegen der schwierigen politischen Verhältnisse Schlagzeilen. Wie entwickelt sich die Wirtschaft?
Schnabl: Bosnien-Herzegowina wächst trotz dieser Last schneller als die EU. Im Vorjahr legte die Wirtschaft um 1,7 Prozent zu, heuer werden 2,6 Prozent erwartet. Wenn es politisch einfacher laufen würde, wäre viel mehr möglich. Die relativ gute Wirtschaftsentwicklung hat mit der Resilienz der Bevölkerung zu tun, die bei Herausforderungen nicht gleich nach dem Staat ruft, sondern sich rasch anpasst und Wege sucht, neu durchzustarten. Der Wirtschaft insgesamt steht aber vor allem im Energiebereich eine große Transformation bevor, weil die Energieerzeugung noch immer großteils auf fossilen Energieträgern wie Kohle beruht. Künftig wird man die enormen Potenziale etwa im Bereich der Solarenergie oder Wasserkraft noch besser nutzen müssen.

Wie sieht es mit ausländischen Investitionen aus? 
Schnabl: Österreich war in den letzten 30 Jahren mit rund 1,5 Mrd. Euro Volumen einer der größten Investoren im Land. Das Interesse ist zwar grundsätzlich vorhanden. Das Kernthema, an dem die politischen Verantwortlichen aber arbeiten müssen, ist die Rechtsdurchsetzung in der Gerichtsbarkeit. Solange das nicht auf europäische Standards gehoben wird, bleibt es schwierig.

Wie geht es der Raiffeisen Bank in Bosnien-Herzegowina?
Schnabl: Im letzten Jahr haben die Banken insgesamt sehr gute Ergebnisse erzielt. Auch unser Ergebnis hat sich sehr vernünftig entwickelt. Uns ist dabei insbesondere eine nachhaltige, kontinuierliche Ergebnisentwicklung wichtig. Für heuer erwarten wir ein stabiles bis leicht wachsendes Ergebnis, das sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen sollte. Um das zu gewährleisten, haben wir ein „Fitnessprogramm” gestartet, um noch wettbewerbsfähiger zu werden. Neben der Ergebnisbetrachtung ist für uns aber auch wesentlich, attraktive Jobs in Bosnien anzubieten und damit der Abwanderung entgegenzuwirken. Wir arbeiten hier intensiv mit Universitäten zusammen und haben aktuell rund 50 Studenten im Einsatz. Auf diesem Weg können wir uns gegenseitig kennenlernen und sichern uns die qualifizierten Mitarbeiter von morgen. Ich bin zuversichtlich, dass die Region Westbalkan insgesamt langfristig eine Wachstumsregion bleibt, in der Raiffeisen aufgrund der starken Marktposition weiterhin eine führende Rolle einnehmen wird.

AusgabeRZ23-24

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