Peter Schöttel ist der Stolz anzumerken. Nicht viele hatten dem Sportdirektor des ÖFB zugetraut, mit der Bestellung des neuen Teamchefs einen auch international registrierten Coup landen zu können. Peter Stöger war der logische, Andreas Herzog der immerwährende, Vladimir Petković noch der überraschendste Kandidat, mit dem im Vorfeld spekuliert wurde. Doch dann zauberte Schöttel eine Lösung aus dem Hut, die wie ein Blitz aus heiterem Himmel einschlug – und für einen mächtigen Schnalzer in der Fußballszene sorgte.
„Auch für mich war es zunächst schwer vorstellbar, dass der aktuelle Trainer von Manchester United Interesse hätte, Teamchef in Österreich zu werden. Irgendwo war er in den Gedanken präsent, aber für mich anfangs noch unrealistisch“, gibt Schöttel zu. Doch je mehr Gespräche miteinander geführt wurden, desto mehr zeichnete sich ab, wie groß der Reiz für Ralf Rangnick ist, die Aufgabe mit Österreich anzugehen. Und zwar in erster Linie aus einem Grund: Denn die EURO 2024 findet in Deutschland statt, also nicht nur in Rangnicks Geburtsland, sondern auch bei dem Verband, bei dem er selbst nach dem Abgang von Joachim Löw als Teamchef gehandelt wurde. Eine riesige Challenge und die Möglichkeit, dort für Furore zu sorgen. „Unsere Mannschaft dorthin zu führen und womöglich erfolgreich zu sein, reizt Rangnick mit Sicherheit sehr“, weiß Schöttel.
Rangnick gilt auch deshalb als gute Wahl, weil er den heimischen Fußball bestens kennt. Von 2012 bis 2015 war er Sportdirektor bei Red Bull Salzburg und gilt als Begründer der Erfolge, die aktuell in neun Meisterschaften nacheinander und dem jüngsten Erreichen des Champions-League-Achtelfinales mündeten. Er kreierte den sogenannten „RB-Stil“, der auf Gegenpressing, schnellem Umschalten und dynamischem Powerfußball beruht. „Er ist ein Experte, der viel Know-how mitbringt und viel internationale Erfahrung hat. Ein akribischer Arbeiter, der sehr ehrgeizig ist. Man wird seine Handschrift sicher schnell erkennen können“, sagt Christoph Freund, der vor sieben Jahren Rangnicks Erbe in Salzburg antrat. Und auch seinen Teil dazu beitrug, den Kontakt zwischen ÖFB und Startrainer sowie eine gute Gesprächsbasis herzustellen.
Kreative Lösung
Gute Gespräche, reizvolle Aufgabe, lebenswertes Umfeld – alles gut und schön. Doch zu einer erfolgreichen Einigung gehört natürlich auch der finanzielle Aspekt. Da Rangnick bei seinen vergangenen Stationen wie Leipzig oder Manchester United sicherlich gut verdient hat, der ÖFB aber als im internationalen Vergleich kleiner Verband gilt, hätte die Geldfrage zum Stolperstein werden können. Oder wie es Bernhard Neuhold, Geschäftsführer der ÖFB Wirtschaftsbetriebe GmbH, formuliert: „Es wäre naiv zu glauben, dass der ÖFB einen Mann wie Ralf Rangnick mit finanziellen Zuckerln locken hätte können – dazu ist der Unterschied zu einem Weltverein wie Manchester United einfach zu groß.“
Also war eine kreative Lösung gefragt. Diese besteht darin, dass Rangnick neben seinem Engagement bei Team Austria auch eine Beraterfunktion bei Manchester United behält. Sechs Tage im Monat steht der 63-Jährige dem Klub aus der Premier League zur Verfügung. Ein Agreement, dem alle Beteiligten zugestimmt haben, das aber naturgemäß auch kritische Stimmen provozierte. Schließlich haben Vorgänger wie Franco Foda oder erst recht Marcel Koller die Teamchef-Aufgabe als Fulltime-Job definiert. Es wird an den Ergebnissen liegen, inwieweit dieses Thema am Köcheln gehalten wird oder in der Versenkung verschwindet.
Feuertaufe zum Start
Fakt ist: Die Aufgaben, mit denen es Rangnick zum Auftakt zu tun bekommt, haben es in sich. Denn unter Vorgänger Franco Foda, dem die verpasste Qualifikation für die WM 2022 zum Verhängnis wurde, qualifizierte sich Österreich für die Gruppe A der Nations League, in der man es ausschließlich mit Top-Mannschaften zu tun bekommt. Vizeweltmeister Kroatien (3. Juni, auswärts), Dänemark
(6. Juni), Weltmeister Frankreich (10. Juni, beide daheim in Wien) und nochmal Dänemark (13. Juni auswärts) heißen die Gegner, gegen die es zu bestehen gilt. Kein leichtes Unterfangen. Doch Erfolge sind nötig, um mit Euphorie in die Ära Rangnick zu starten und für eine Aufbruchstimmung zu sorgen. Vor allem im Hinblick auf die Qualifikation für die EURO, für die die österreichischen Gegner im Oktober in Frankfurt ausgelost werden.
„Eine schöne Gruppe“, nennt Schöttel die Herausforderung in der Nations League mit einem Augenzwinkern. „Frankreich ist ein Gegner mit sehr hoher Qualität, vor allem in der Offensive mit Spielern wie Mbappe, Griezmann oder Benzema. Kroatien ist eine sehr spielstarke Mannschaft. Dänemark ist ein alter Bekannter, jetzt haben wir die Möglichkeit zu zeigen, dass wir die Lehren gezogen haben.“ Womit der Sportdirektor vor allem auf die bittere 0:4-Heimniederlage des Nationalteams im vergangenen Jahr anspielt, mit der man (unter anderem) die Qualifikation für die WM in Katar, die heuer ab November startet, in den Sand setzte. Wobei das Spiel gegen die Skandinavier auch aus einem anderen Grund unter einem besonderen Stern steht. Denn für die Dänen wird wohl Christian Eriksen einlaufen, der bei der vergangenen EURO einen Herzstillstand erlitt, mit eingepflanztem Defibrillator aber mittlerweile wieder auf Profi-Niveau spielen kann. Eine besondere Geschichte.
Die aus heimischer Sicht aber trotzdem vom Rangnick-Debüt überstrahlt wird. Da er die Premier-League-Saison als United-Trainer noch mit voller Konzentration zu Ende spielen wollte, hat er sich bis dato noch nicht zu seiner neuen Aufgabe in Österreich geäußert. Eine Grußbotschaft hat er dennoch übermittelt, und die macht durchaus Lust auf mehr: „Es ist eine Ehre für mich, die Aufgabe als ÖFB-Teamchef zu übernehmen. Mit großer Vorfreude erfüllt mich insbesondere die Aussicht, mit einer jungen, erfolgshungrigen Mannschaft die Europameisterschaft in Deutschland zu bestreiten.“ Möge die Freude lange anhalten.