Herr Wolf, Sie sind Ende November nach mehr als einem Jahrzehnt an der Spitze der RWA als deren Vorstandsvorsitzender ausgeschieden. Welche Meilensteine haben Ihre Karriere geprägt?
Reinhard Wolf: Ich hatte das unglaubliche Glück, meine berufliche Karriere zu einer Zeit starten zu können, in der Europa im Aufbruch war – Mitte der 1980er-Jahre: Zusammenbruch des Kommunismus, die Welt hat sich geöffnet, ist liberaler geworden, ist zusammengewachsen und hat vor allem Frieden gefunden. Bis zum jetzigen Punkt, wo offensichtlich das Rad leider wieder zurückgedreht wird. Gleichzeitig gab es in dieser Zeit eine unglaubliche Entwicklung am technologischen Sektor. Anfangs hatten wir im gesamten Agrarbereich keine Elektronik, keine Digitalisierung. Hydraulik war damals das Thema Nummer eins, heute beschäftigen wir uns mit Artificial Intelligence. Oder in der Kommunikation: Wir haben mit Telex begonnen, dann kam der große Schritt zum Telefax. Und heute: alle zehn Sekunden piepst das Handy mit den neuesten Nachrichten. Diesen ganzen Entwicklungsbogen habe ich in unserem Mikrokosmos RWA miterleben dürfen. Da war viel Schönes dabei, da waren aber auch harte Maßnahmen dabei. Aus ehemals über 100 Lagerhaus-Genossenschaften sind im Verbund 36 übriggeblieben. Begonnen habe ich in der damaligen Bundeszentrale, der Österreichischen Raiffeisen Warenzentrale (ÖRWZ). Mit dem EU-Beitritt kam ein dramatischer Wandel in der Landwirtschaft, der zur Konsolidierung in der Raiffeisen Warenorganisation führte – eine mutige und kluge Entscheidung. Die ersten Jahre dieser Ära waren nicht einfach, geprägt von Restrukturierungen, bis man ab Beginn der 2000er-Jahre in eine Phase gekommen ist, wo sich das Unternehmen etabliert hatte und die Bilanzen saniert waren. Und ab 2015 sind wir dann in ein schönes Wachstum gekommen, mit all den Zukäufen, die wir getätigt haben.
Worauf sind Sie in dieser Entwicklung besonders stolz?
Wolf: Ich hoffe, dass Stolz keine Eigenschaft von mir ist. Ich habe meine Position immer als Dienst an unserer Gemeinschaft gesehen. Ich fühle mich der Landwirtschaft verpflichtet. Dort habe ich meine Wurzeln und ich halte die Genossenschaftsidee für etwas Großartiges. Darauf sollte man auch mit dem Blick nach vorne aufpassen: Raiffeisen muss sich vom Rest der Wirtschaft unterscheiden. Genossenschaft hat nur eine einzige Berechtigung und das ist die Förderung der Mitglieder. Insofern hoffe ich, hier meinen Beitrag geleistet zu haben. Ich möchte in meiner Berufslaufbahn kein singuläres Ereignis hervorheben. Aber wenn man sich die Dynamik anschaut, die die Landwirtschaft in dieser Zeit erlebt hat, dann haben wir uns als RWA mit dem Lagerhaus-Sektor insgesamt so entwickelt, dass sich die Landwirtschaft immer an uns anhalten konnte – da kann ich die Investitionen in den Saatgutbereich nennen oder die topmoderne Logistik im Pflanzenschutzbereich, die technologischen Entwicklungen in der Landtechnik bis hin zur Satellitennavigation.
Die Zusammenarbeit mit den Lagerhaus-Genossenschaften lag Ihnen immer besonders am Herzen. Wie wichtig war dieser starke Verbund für den Erfolg der RWA?
Wolf: Die Grundidee dieses Warenverbundes ist uns wirklich gut gelungen. Ich habe immer ein Miteinander gespürt, auch bei unterschiedlichen Ideen. Jedes Lagerhaus ist anders, jeder hat andere Konzepte, jeder hat andere regionale Schwerpunkte. Das muss man immer berücksichtigen. Es menschelt an jeder Ecke in diesem Verbund – das macht uns aus. Dass es uns gelungen ist, trotz dieser föderalistischen Struktur, trotz dieser Unterschiedlichkeit, trotz der starken Persönlichkeiten, die es bei uns gibt, so ein Miteinander zu entwickeln, das ist etwas, worauf ich doch stolz bin. Dahinter liegen viel Kommunikationsarbeit, Leadership und Überzeugungsarbeit. Sie dürfen nicht übersehen: Das meiste von dieser Zusammenarbeit passiert ohne Verträge. Dass heute die Lagerhaus-Genossenschaften mehr oder weniger 100 Prozent ihres Pflanzenschutzbedarfs bei der RWA abdecken, liegt nicht an einer Verpflichtung, sondern an wechselseitiger Leistung, Respekt, Intelligenz, Verständnis und Strategie. Das kommt nicht von allein. Und darauf kann ich gemeinsam mit meinem Team sehr stolz sein.
Auch das Image von RWA und Lagerhaus hat sich verändert. Wie ist das gelungen?
Wolf: Als RWA und Lagerhaus sind wir Teil der Landwirtschaft und Teil der ländlichen Bevölkerung. Wir sind die Kraft am Land. Wir haben es in manchen Bereichen vielleicht etwas schwerer als andere, weil wir in der Region arbeiten, wo die Kaufkraft geringer ist. Hier ein entsprechendes Image zu bekommen, auch ein Selbstbewusstsein, das war mir immer ein erklärtes Ziel. Wir haben bewusst Projekte durchgeführt, die den Blickwinkel sowohl auf unsere Wurzeln und unsere Herkunft als auch nach vorne gerichtet haben. Und wenn wir heute als modernes Unternehmen wahrgenommen werden, dann haben wir dieses Ziel erreicht.
Sie haben die Expansion der RWA schon angesprochen. Wie sieht hier Ihre Bilanz aus?
Wolf: Wir sind im Bereich der Landwirtschaft nach Osteuropa gegangen. Wir waren nicht immer erfolgreich, aber ich glaube, die strategische Positionierung haben wir erreicht. Dahinter stand immer eine gezielte Strategie für die RWA, die auf zwei Standbeinen fußt: Das eine ist der genossenschaftliche Förderauftrag. Wir sind dazu da, unsere Mitglieder, sprich die einzelnen Lagerhaus-Genossenschaften, im subsidiären Prinzip dort zu unterstützen, wo sie es brauchen. Das ist unsere Logistik, der zentrale Einkauf und die zentrale Vermarktung. Aber wir haben immer das zweite Standbein gehabt, eigene Geschäftsfelder, wo wir gewinn-orientiert arbeiten können. Das sind zum Beispiel unsere Industriebeteiligungen und zuletzt auch das Segment Futtermittel, wo wir erfolgreich international tätig sind.
Ein besonderer Meilenstein war der Bau der neuen RWA-Zentrale in Korneuburg. Ziel damals war es auch, eine neue Unternehmenskultur zu etablieren. Ist das gelungen?
Wolf: Ja absolut. Aber nicht wegen des Neubaus. Mir war wichtig, eine Unternehmenskultur zu entwickeln, die auch die Lagerhaus-Organisation inkludiert. Ich wollte eine Heimstätte des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens sein. Offene Türen für alle. Im Bereich des Kulturwandels ist vieles gelungen. Das merkt man auch am Management. Die RWA ist ein Unternehmen, das in seiner Wahrnehmung wertschätzend in der Wirtschaft angekommen ist. Wir konnten ein Stück Identität schaffen.
Inwieweit hat die Partnerschaft mit der Baywa die RWA geprägt?
Wolf: Die Baywa war seit dieser sogenannten strategischen Allianz ein wichtiger Wegbegleiter für uns. Und natürlich ist es uns um Synergien gegangen, aber nicht, indem wir Abteilungen zusammenwürfeln und Personal abbauen. Das ist mir immer zu kurz gegriffen gewesen. Im Prinzip würde ich uns mit zwei Ballett-Tänzern vergleichen, die nach einer Choreografie miteinander tanzen, aber sich nicht immer umschlingen. Manchmal ist es notwendig, sehr eng zu sein – es war immer klar, dass das Rechenzentrum bei der Baywa ist. Im Franchise-System hingegen ist die Baywa nicht mehr tätig, das hat die RWA übernommen und ist damit bis heute erfolgreich. Die Baywa war bisher auch ein guter Aktionär in der RWA AG, im Sinne von fordernd, aber auch eine freie Hand lassend. Als börsenotiertes Unternehmen wollte die Baywa von uns immer einen hohen Standard in der Berichterstattung, in der Governance, in der Compliance – obwohl wir weit von der Börse weg sind. Auf der anderen Seite konnten wir das, was für unseren Genossenschaftsverbund wichtig war, umsetzen. Ich habe keine „Bad Feelings“ in Bezug auf diese 50:50-Partnerschaft mit der Baywa. Ich glaube, dass das unsere Vorväter richtig gemacht haben.
Derzeit laufen die Koalitionsgespräche. Welche drei zentralen Wünsche haben Sie an eine künftige Regierung?
Wolf: Es muss Wirtschaft in der Politik wieder vorkommen. Das ist leider in den letzten zehn Jahren nicht passiert. Bei aller Bedeutung der Themen, Migration, Bildung, Gesundheit oder Soziales – all das muss jemand finanzieren. Es sei denn, es gibt ein neues Wirtschaftsmodell, das ich nicht kenne. Man muss Unternehmer im Sinne des Wortes wieder Unternehmer sein und Unternehmen auch in der Finanzierung entsprechend schützen und gestalten lassen. Dazu brauchen wir ein starkes Bankwesen, das auch in der Lage ist und bereit sein kann, Risiken mitzutragen. Dazu braucht man möglicherweise auch die öffentliche Hand. Es muss der Politik gelingen, wieder positive Stimmung in dieses Land zu bringen.
Sie waren zuletzt als Generalanwalt-Stellvertreter quasi in der Machtzentrale von Raiffeisen Österreich. Was bedeutet Macht für Sie?
Wolf: Macht ist etwas Geliehenes, das dazu dienen soll, Dinge, für die man verantwortlich ist, besser zu machen. Macht hat man nicht deshalb, damit man sich selbst in den Mittelpunkt stellt, damit man für sich etwas erreicht. Macht ist ein Krafthebel, den man einsetzen soll, um für das Unternehmen, für das man verantwortlich ist, und für deren Mitarbeiter etwas zum Besseren zu bewegen.