Die Getreidepreise sind wieder auf Vor-Kriegsniveau. Wird dieses Niveau länger anhalten?
Reinhard Wolf: Wir haben in den letzten Monaten deutlich vor Augen geführt bekommen, wie sprunghaft die Preise sein können. Zwei Schiffe fahren vom Hafen in Odessa raus und es fallen die Preise. Es gibt so viele Einflussfaktoren, die schwer voraussehbar sind, daher ist jede Art von seriöser Prognose derzeit extrem schwierig. Aber weiter nach unten wird man nicht kommen können. Wir brauchen ein gewisses Preisniveau, damit die Landwirtschaft in der Lage ist, kostendeckend zu produzieren. Wichtig: Es gibt keinen Grund für irgendeine Überreaktion, denn wir haben eine vernünftige globale Versorgungssituation. Wir haben über 25 Prozent des Jahresverbrauches auf Lager und die Produktion und der Verbrauch sind ziemlich ausbalanciert. Aber Getreide ist durch den Krieg zum politischen Produkt geworden und das wird noch eine Zeit lang so bleiben.
Die Sommergetreideernte ist fast abgeschlossen und liegt über dem Vorjahresniveau. Wie hat sich das bei der Übernahmemenge der Lagerhaus-Genossenschaften ausgewirkt?
Wolf: Die finalen Zahlen sind noch ausständig, aber wir gehen davon aus, dass wir etwa 10 Prozent mehr übernommen haben. Der Anteil der Premiumqualitäten ist heuer etwas geringer im gesamten Portfolio, das hängt mit dem geringeren Einsatz von Stickstoffdünger und dem Witterungsverlauf zusammen.
Einige Kulturen sind noch ausständig. Hat sich die Sorge um die Maisernte durch den Regen der letzten Tage verringert?
Wolf: Jeder Tropfen nützt. Wir haben aber vor allem im Weinviertel eine Situation, wo der Regen zu spät gekommen ist. Westlich von St. Pölten erwarten wir eine sehr gute Maisernte, aber in den trockeneren Regionen wird es von der Menge her keine gute.
Wie schwierig ist die Vermarktung bei derart sprunghaften Preisbewegungen?
Wolf: Das ist natürlich eine besondere Herausforderung, nicht nur für uns, sondern für alle in der Wertschöpfungskette – von den Mühlen bis zum Bäcker. In der Verunsicherung geht man in kleineren Schritten. Man kauft kleinere Mengen, versucht das auch schnell wieder weiterzugeben. Wir haben also kleinere Kontraktmengen, dadurch wird die gesamte Abwicklung aufwendiger. Wo wir tatsächlich eine neue Qualität an Herausforderungen haben, ist in der Logistik. Unsere bisherigen Transportvehikel kommen an Kapazitäts- und Preisengpässe – nicht nur auf der Straße, auch die Eisenbahn kommt an ihr Limit und auf der Wasserstraße plagt uns das Niederwasser. Trotz allem hat noch jeder seine Ware bekommen.
Nutzen die Landwirte weiterhin die Poolvermarktung oder verkaufen sie vermehrt direkt?
Wolf: Die Landwirte nutzen unverändert unsere Poolvermarktung und das ist auch unsere Empfehlung. Je unsicherer eine Marktsituation ist, umso vernünftiger ist es, ein Risikomanagement zu betreiben. Der Pool ist ein Risikomanagementmodell.
Wie entwickelt sich die Situation bei den Düngemitteln?
Wolf: Wenn die Gaspreise hoch bleiben, wird auch der Stickstoffdünger auf hohem Niveau bleiben. Der Absatz ist deutlich zurückgegangen und die Landwirte haben nicht so viel eingesetzt. Wir versuchen in der Beratung, die Effizienz der Landwirtschaft zu unterstützen – Anbauberatung, Bodenanalysen und so weiter. Kulturen mit weniger Inputkosten haben den Vormarsch. Unsere Aufgabe ist, dass wir die Ware zu möglichst günstigen Konditionen beschaffen.
Auch bei Diesel war und ist die Verfügbarkeit ein Thema.
Wolf: Es war schon sehr heftig. Lieferquellen aus Italien sind ausgeblieben, die technische Panne in Schwechat und dann Kriegssituation. Jeder denkt natürlich sofort an Krisenbevorratung und will mehr, als er üblicherweise nachfragen würde. Wir haben als RWA von Jänner bis Ende Juli 30 Prozent mehr Diesel an unsere Kunden ausgeliefert als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das war nur möglich, weil wir langfristige Lieferantenbeziehungen haben und ein hervorragendes Handelsteam im Haus, das blitzartig neue Lieferquellen und Logistikwege aufmachen konnte. Es ist kein Traktor stehen geblieben, weil die Lagerhäuser dafür gesorgt haben. Genau in solchen Stunden wird klar, welchen Wert eine Genossenschaft hat.
Bei Brennholz und Pellets gibt es nach wie vor Engpässe. Warum ist es nicht möglich, die österreichische Nachfrage zu decken?
Wolf: Es ist die gleiche Situation: Weil die Leute Angst vor einem Gasstopp haben, horten sie Brennholz, selbst die, die gar keinen Ofen haben. Die Nachfrage ist wirklich irrational. Bei Pellets wächst der Markt tatsächlich, da viele neue Heizungen installiert wurden. Jetzt ist es wichtig, dass die Produktion und die Importe nachgezogen werden. 2023 rechnen wir wieder mit einer gewissen Beruhigung im Markt. Die Preise werden aber auch da nicht auf das alte Niveau zurückkommen. Aber der Markt wird versorgt und es wird kein Haus kalt bleiben.
Wie stark ist der Pelletsabsatz im ersten Halbjahr gestiegen?
Wolf: Wir haben geringfügig mehr als im letzten Jahr geliefert, die Nachfrage wäre höher gewesen. Solche Nachfrageeffekte kann eine ausoptimierte Industrie nicht so schnell erfüllen. Wir haben Pellets nicht rationiert, aber die Liefertermine haben sich teilweise nach hinten verschoben.
RWA ist mit Solar Solutions auch beim Ausbau erneuerbarer Energien aktiv. Kann hier die Nachfrage gestillt werden?
Wolf: Es gibt Lieferverzögerungen bei den Wechselrichtern, aber wo wir eher den Engpass haben, ist bei den Genehmigungen und Netzanschlüssen. Da wünschen wir uns schnelleren Netzzugang. Diese Kritik ist nicht neu, aber reagiert wird kaum. Trotz allem sind wir als RWA zum größten Photovoltaik-Entwickler geworden und haben knapp 40 Megawatt Peak ans Netz gebracht.
Die RWA und der Lagerhaus-Verbund sind wichtige Player bei der Versorgung der Landwirtschaft und der Bevölkerung. Wie stark ist man in politische Notfallpläne eingebunden?
Wolf: Im Bereich der Lebensmittel würde ich mir mehr wünschen. Ich finde, das Thema Notbevorratung für Lebensmittel müsste aktiver betrieben werden. Durch Pandemie und Krieg sollten wir wachgerüttelt sein und mehr in die entsprechende Krisenbevorratung investieren.
Kann der Lagerhaus-Verbund seine eigenen Aufgaben und Versprechen erfüllen?
Wolf: Wir haben im Bereich Saatgut, Dünger und Pflanzenschutz immer einen gewissen Lagerbestand, der über weite Strecken eine Versorgung sicherstellt. Wir heißen ja Lagerhaus. Als Genossenschaft agieren wir immer schon sehr vorausschauend, das ist Teil unserer DNA.
Sehen Sie die Versorgung in Österreich gesichert?
Wolf: Im Großen und Ganzen ja. Es gibt keinen Grund für Hysterie. Hysterie und Panik sind schlechte Ratgeber, denn da schaltet man eine Hirnhälfte aus und trifft keine guten Entscheidungen. Daher appelliere ich an alle: Wir müssen mehr Ruhe in die Märkte bringen und mehr wechselseitiges Vertrauen aufbauen und entwickeln – auch in die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft.
2021 war für die RWA das beste in der Geschichte. 3 Mrd. Umsatz, 28,5 Mio. Gewinn vor Steuern. Was sind die Erwartungen an das heurige Jahr?
Wolf: Wir haben in den ersten sechs Monaten preisgetrieben einen deutlichen Umsatzzuwachs und werden 2022 ein sehr solides Ergebnis abliefern. Wir sind gut unterwegs, aber merken da und dort Wolken aufkommen. Im Konsumgüterbereich und im Baubereich geht die Nachfrage zurück.
Sind die Margen generell gestiegen?
Wolf: Es ist keine neue Erkenntnis, dass man höhere Gewinne und Margen lukriert, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt. Wenn man lange genug dabei ist, weiß man, es kann auch in die andere Richtung gehen.
Gewinnzuwächse versetzen heutzutage viele in Erklärungsnot.
Wolf: Ich habe keine Erklärungsnot, so funktioniert unsere Wirtschaft. Ich habe eher Erklärungsnot, wenn die Ergebnisse schlecht sind. Gute Ergebnisse machen mir keine Sorgen.