René Schmidpeter: „Banken stehen vor einer großen Transformation“

Die Wirtschaft der Zukunft wird nicht ohne Nachhaltigkeit auskommen, ist Wirtschaftswissenschafter René Schmidpeter überzeugt. Er erklärt, welche Rolle Genossenschaftsbanken bei dieser nachhaltigen Transformation spielen können.

Sie plädieren für nachhaltiges Management – wo liegt der Unterschied zu Nachhaltigkeits-Management?
René Schmidpeter: Nachhaltigkeits-Management gibt es ja schon seit längerem, vor allem in größeren Unternehmen. Das sind spezielle Abteilungen, die für das Thema Nachhaltigkeit zuständig sind. Die Gefahr dabei ist aber oft, dass man im Grunde Business as usual macht und Nachhaltigkeit nur als „Add-on“ sieht, das man halt auch haben muss. Im Gegensatz dazu ist nachhaltiges Management das Verständnis, dass Nachhaltigkeit eine unternehmerische Querschnittsmaterie ist, die in alle Prozesse, Entscheidungen und Abteilungen einfließen muss. Das heißt, nachhaltiges Management ist ein integrierter Ansatz, ein „Add-in“. Ansonsten bleibt Nachhaltigkeits-Management nur ein Reparaturbetrieb, der das bestehende Business in eine Richtung bringt, die von außen vorgeschrieben ist. Dadurch nimmt man sich dann leider auch die internen unternehmerischen Chancen, die in der gegenwärtigen nachhaltigen Transformation unserer Wirtschaft liegen.

Kann eine Nachhaltigkeits-Abteilung trotzdem ein erster Schritt in die richtige Richtung sein?
Schmidpeter: Doch, das glaube ich schon. Man braucht jemanden, der zuständig ist, der eine gewisse koordinierende Funktion hat. Auch für den engen Austausch mit dem Vorstand bei der Entwicklung eines nachhaltigen Verständnisses. Das kann durchaus in Zusammenarbeit mit der Nachhaltigkeits-Abteilung passieren. Das Ziel ist dann erreicht, und man bräuchte diese Abteilung als solche gar nicht mehr, wenn Nachhaltigkeit ins Financing, ins Reporting, ins Controlling sowie das strategische Management umfassend integriert ist. Das ist aber meist noch Zukunftsmusik.

Große Unternehmen sind laut EU-Richtlinie verpflichtet, einen Nachhaltigkeitsreport (CSR) zu liefern. Welche Chancen sehen Sie in diesem – auch bürokratischen – Mehraufwand?
Schmidpeter: Wenn man sich schon mit der Thematik auseinandersetzt, dann sollte man es richtig machen, um die damit verbundenen Chancen für sich zu lukrieren. Meist gelingt dies, wenn man ein „first mover“ ist. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die eigene Geschäftstätigkeit noch einmal grundlegend von der Zukunft her zu denken – um in der Gegenwart die richtigen Entscheidungen zu treffen. Etwa in den Bereichen Kundenbindung, Mitarbeitergewinnung, Kreditallokation und Produktentwicklung. Wer sich jetzt progressiv mit Nachhaltigkeit beschäftigt, kann die damit verbundenen Vorteile besser nutzen und die eigene Wettbewerbsfähigkeit steigern. Man sollte das Thema dafür ganz oben auf die Agenda setzen, nämlich von der strategischen, unternehmensorientierten Perspektive.

Kann ein nachhaltiges Unternehmen profitabel wirtschaften?
Schmidpeter: Es ist im Grunde eine Mindset-Frage: Nachhaltigkeit und Profitabilität sind keine Gegensätze, sondern sie bedingen sich wechselseitig. Wenn ich Nachhaltigkeit und Profitabilität konvergent sehe, heißt das, ich muss profitabel sein, um nachhaltig zu sein. Aber ich muss auch nachhaltig sein, um profitabel zu sein – das sind sozusagen zwei Seiten derselben Medaille. Und aus diesem Denken heraus entwickle ich mein Unternehmen und steuere mein Handeln. Dann werde ich sehr viel erfolgreicher sein als viele andere, die im alten Denken verharren. Die große Herausforderung in der Nachhaltigkeitstransformation und Umsetzung ist natürlich dann dennoch die immense Komplexität, der Versuch, die ökologische, soziale und wirtschaftliche Dimension zu integrieren.

Bedeutet Nachhaltigkeit Verzicht und persönliche Einschränkung?
Schmidpeter: Nein, es geht gar nicht darum, Dinge zu verbieten, sondern um einen reflektierten Umgang mit den Möglichkeiten meines Handels und dessen Auswirkungen auf die Zukunft. Der Mensch und auch die Natur sind nicht auf Verzicht ausgelegt. Die Natur schöpft aus der Fülle zukünftiger Möglichkeiten, sie möchte sich weiterentwickeln, und dieses Lebenselixier ist auch im Menschen – er ist Teil dieser Natur. Das zu negieren ist genau das Falsche. Natürlich ist, wenn sich der Mensch, die Unternehmen und die Wirtschaft dynamisch weiterentwickeln, aber eben im Einklang mit den anderen, und nicht auf Kosten anderer oder gegen die Natur. Denn ich kann mich auch selbst besser entwickeln, wenn ich für andere Vorteile biete. Das heißt, wenn ich als Mensch bzw. als Organisation es schaffe, anderen zu nutzen, ihnen bei ihrer Entwicklung zu helfen, dann helfen sie auch mir. Letztendlich entsteht daraus ein positives steigerungsfähiges Verhältnis, in dem alle gewinnen.


„Nachhaltigkeit und Profitabilität bedingen sich gegenseitig.“ 

Wie kann jeder Einzelne die künftigen Veränderungen für sein Unternehmen nutzen?
Schmidpeter: Es werden noch viele tiefgreifende Veränderung kommen. Ich persönlich halte die aktuellen Krisen erst für den Beginn der Transformation. Die Veränderungen, die uns bevorstehen, werden viel weitreichender sein: aufgrund des Klimawandels, der fragilen Wertschöpfungsketten, der knappen Ressourcen sowie aufgrund verschiedenster ökologischer und sozialer Themen, die uns immer mehr bewusst werden. Das heißt, ich muss mein Geschäftsmodell grundlegend überdenken. Wird das, was ich heute mache, in zehn Jahren noch möglich sein? Wenn ich zu dem Schluss komme, dass in zehn Jahren, unter den dann herrschenden Bedingungen, mein Modell nicht funktioniert – weil zum Beispiel die Energiekosten steigen, weil ich von Zulieferern aus Gebieten, in denen Konflikte regieren, abhängig bin oder weil ich zu viele negative Auswirkungen auf mein Umfeld zeitige – dann ist es jetzt meine Pflicht als Unternehmer, das Geschäftsmodell zu transformieren, denn die Transformation braucht Zeit.

Können Sie den Begriff der Transformation ein wenig genauer beschreiben?
Schmidpeter: Im Grunde geht es gar nicht so sehr darum, ob wir aus ökologischen Aspekten die Welt retten wollen, es geht im Kern darum, dass wir unseren Wirtschaftsstandort zukunftsfit machen müssen. Nachhaltigkeit ist eigentlich eine wirtschaftspolitische Frage und keine umweltpolitische bzw. nicht nur eine politische. Nehmen wir das Beispiel nachhaltige Mobilität. Da sprechen wir darüber, dass wir bis 2040 klimaneutral sein wollen. Dabei muss man bedenken, dass ein Autohersteller ungefähr sieben Jahre braucht, um ein Auto zu entwickeln. Dieses Automodell wird dann ungefähr sieben Jahre am Markt verkauft und fährt dann noch im Durchschnitt weitere zehn Jahre auf der Straße. Die Wirkung der Entwicklung von heute hat deshalb mindestens noch 24 Jahre ­Auswirkungen auf die Zukunft. 2040 minus 24 ergibt das Jahr 2016. Das heißt, wir haben eigentlich schon die letzten acht Jahre verloren, in welchen wir nur mehr klimaneutrale Mobilitätsprodukte und -dienstleistungen entwickeln hätten müssen. Wir haben mittlerweile tatsächlich auch ein Zeitproblem. De facto müssen wir alle Produkte und Dienstleistungen jetzt schon auf das Ziel 2040 abstimmen. Es ist schon relativ klar, welchen Weg wir gehen werden müssen. Die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft kann nur über eine grundlegende Transformation unserer Geschäftsmodelle und Unternehmensstrategien führen – dies ist meines Erachtens unabhängig von der politischen Couleur. Nachhaltiges Wirtschaften ist eigentlich ein unpolitischer Weg.  

Was bedeutet das für die Bankenwelt? 
Schmidpeter: Die Banken haben ja ein grundsätzliches Interesse am Erfolg ihrer Kunden, und sie haben durch ihre Funktion der Mittelallokation eine extrem wichtige Rolle in der Transformation der Wirtschaft. Dabei kommt es jedoch auf das Nachhaltigkeitsverständnis der Bank an. Wer erkennt, dass Nachhaltigkeit ihre Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität fördert und damit eine riesige Chance darstellt, kann sicher innovative Produkte und Dienstleistungen für ihre Kunden anbieten. Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind jetzt oft überfordert mit dem, was auf sie zukommt und brauchen die Hilfestellung und Kompetenz ihrer Bank. Die Genossenschaftsbanken sind ja genau aus dieser Idee hervorgegangen, dass man bestimmte kollektive Herausforderungen nicht alleine lösen kann; die nachhaltige Transformation ist genau eine solche Herausforderung. Banken können eine Region nachhaltig stärken, indem sie Nachhaltigkeitskompetenzen aufbauen und diese auch ihren Kunden anbieten. Außerdem besitzen Banken einen immensen Datenpool, den man mit neuen digitalen Instrumenten, sprich Künstlicher Intelligenz und Big Data Analysis, auswerten kann und so zu wichtigen Erkenntnissen kommt. Ich sehe da die Bankenwelt gegenwärtig tatsächlich vor einer großen Transformation – gerade die Genossenschaftsbanken.

Welchen Beitrag spielen die Regionen für die Transformation der Weltwirtschaft?
Schmidpeter: Nur wenn es uns gelingt die Regionen nachhaltig zu gestalten, werden auch deren Wirtschaftsräume stark, und wenn alle Wirtschaftsräume in Europa stark sind, wird natürlich auch Europa erfolgreich am Weltmarkt sein. Somit wirkt sich das Handeln und der Erfolg der wirtschaftlichen Transformationen in den Regionen unmittelbar auch auf den Weltmarkt als Ganzes aus. Nur mit starken Regionen und Unternehmen in Europa können wir auch in Zukunft in einer Liga mit den USA und Asien mitspielen. Nachhaltigkeit ist also eine Frage der Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft und zugleich eine Frage des Überlebens der globalen Menschheit. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir es diesmal mit dem Thema Nachhaltigkeit ernst meinen und auch die notwendige unternehmerische Dynamik entwickeln werden, um den nächsten Entwicklungsschritt unserer Wirtschaft gemeinsam zu gehen. Die Genossenschaftsbanken können und werden dabei eine wichtige Rolle spielen.

Wie kann man gelebte Nachhaltigkeit besser in der Gesellschaft verankern?
Schmidpeter: Nachhaltigkeit kann man schon als kleines Kind erfahren. Ich glaube, wir brauchen alle eine positive Zukunftsperspektive. Man kann Kindern schon beibringen, dass wir Probleme in die Hand nehmen und auch eigenverantwortlich lösen. Außerdem müssen wir in der Schule einen positiven unternehmerischen Ansatz verbreiten. Oft wird Unternehmertum oder Wirtschaft dort als etwas ganz Negatives dargestellt. Da brauchen wir ein Umdenken, denn Unternehmertum, wenn man es richtig versteht, ist letztendlich eine Kraft, die der gesamten Gesellschaft nutzt. Es ist wichtig, mit Kindern zu diskutieren, damit sie vielleicht die Lust verspüren, selber unternehmerisch aktiv zu werden. Für das Hochschulstudium bedeutet das, dass man weggeht vom reinen Trade-off-Denken hin zu einem kooperativen Ansatz. Ich bin kein Freund von Schwarz-Weiß-Denken, ich bin für eine neue, integrative BWL, wo die wirklich drängenden Fragen, die systemischer, ganzheitlicher Natur sind, angegangen werden.

AusgabeRZ40-24

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