RLB Atelier Lienz zeigt Porträtfotografie im Wandel der Zeit

Von 18. September bis 23. November ist im RLB Atelier Lienz die Ausstellung „Mit eigenen Augen“ von Annelies Senfter zu sehen.

Annelies Senfter. Ein Moment in der Zeit, 2023. Installation. Archiv-Pigmentprint auf Baryt. 12.5 × 8 cm bis 15 × 8 cm, 65-teilig.
Annelies Senfter. Ein Moment in der Zeit, 2023. Installation. Archiv-Pigmentprint auf Baryt. 12.5 × 8 cm bis 15 × 8 cm, 65-teilig. © RLB Tirol/Martin Lugger

Ausgangspunkt der von der Künstlerin Annelies Senfter eigens für das RLB Atelier Lienz entwickelten Ausstellung ist die Auseinandersetzung mit der Lienzer Fotografin Maria Egger (1877–1951). Eggers Nachlass von ca. 7.000 Glasplatten-Negativen befindet sich heute im Tiroler Archiv für photografische Dokumentation und Kunst (TAP) in Lienz. Annelies Senfter, die selbst 1980 in Lienz geboren ist und heute in Salzburg lebt, blickt im Zuge ihrer Ausstellung mit eigenen Augen auf Eggers Arbeiten. Dadurch eröffnet sich ein unerwarteter Dialog, der unter anderem Fragen zum Porträt, einer zentralen Bildgattung der Kunst, verhandelt.

Behutsame Annäherungen an historische Themen oder Personen, verbunden mit tiefgehenden Recherchen, sind Teil von Senfters künstlerischer Praxis. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass ihr Interesse auf die bislang kaum beachtete Fotografin Maria Egger fiel. Egger erlernte die Kunst der Fotografie von ihrem Vater Georg Egger, dessen Atelier in Lienz sie nach seinem Tod 1907 alleine übernahm. Sie fertigte vorwiegend Porträts: Gruppenbilder in zum Teil aufwändig inszenierten Studiosettings oder Einzelporträts. 

Die Zeit festhalten

Die Auswahl von Senfter aus dem umfassenden Nachlass fällt auf schlichte Brustbilder. Sie zeigen Männer, Frauen, Kinder, Jugendliche – die „normale“ Bevölkerung, die sich zu einem gewissen Anlass, meist im Sonntagsgewand, ablichten ließ. „Ein Moment in der Zeit“ nennt Senfter die ausgewählten Bildnisse, deren Ausdruck von Ruhe und Ernsthaftigkeit geprägt ist. „Einer meiner Ansatzpunkte war der persönliche Wert von Fotografien. Als Maria Egger die Porträts anfertigte, hatten diese eine völlig andere Funktion als heute. Die vielen Ebenen einer Fotografie, vor allem die zeitlichen Aspekte, die Bedeutungsverschiebungen, zu denen es über die Jahre kommt, sind der Kernpunkt dieser Arbeit“, so Senfter. 

Das Atelier Egger in der Schweizergasse in Lienz ist heute noch erhalten. Es hat den Charakter einer Gartenlaube, architektonisch interessant, aber kaum noch sichtbar, da es nahezu vollkommen verwachsen ist, selbst innen breitet sich der Efeu aus. Trotzdem sind die Lichtvoraussetzungen für Aufnahmen nach wie vor ausgezeichnet. 

Für ihr Projekt öffnet Annelies Senfter das Atelier nach siebzig Jahren wieder und lädt Personen aus ihrem Umfeld ein, sich dort porträtieren zu lassen. „Wir sind es gewohnt, dass wir uns mit unseren Handykameras jederzeit fotografieren können. Es ist kein seltenes Ereignis mehr. Ich wollte der Situation des Porträtierens wieder eine andere Aufmerksamkeit und Bedeutung geben“, so die Lienzer Künstlerin.

Platz für Individualität

Senfter wählt für ihre Porträts den Typus der Ganzkörperdarstellung, arbeitet digital und in Farbe. Sie lässt Spielraum für Selbstinszenierung, aber auch Natürlichkeit, Ungezwungenheit und Fröhlichkeit. Der Fokus liegt auf Blick, Körperhaltung und Gesten. Man spürt, dass sich die Porträtierten wohlfühlen und ganz bei sich sind – sie scheinen ihr Individuum preiszugeben. Die wohl bedeutendste Konstante in der langen Geschichte der Porträtkunst liegt darin, ein Abbild zu schaffen und gleichzeitig das innere Wesen sichtbar werden zu lassen. Damit verbunden ist aber auch die Diskrepanz zwischen Selbst- und Außenwahrnehmung.

Erhalten haben sich nur Eggers Fotografien, Selbstzeugnisse in schriftlicher Form sind nicht vorhanden. Überliefert sind aber die Briefe des Malers Albin Egger-Lienz an sie. Er pflegte bis zu seinem Tod 1926 einen kontinuierlichen Kontakt, vor allem brieflich. Dieser einseitig erhaltene Briefverkehr inspirierte Senfter dazu, selbst Briefe, in Form eines inneren Dialogs, an Maria Egger zu schreiben. Sie schildert darin, wie sie vom Hier und Jetzt aus Berührungspunkte zu Egger sucht, wie sie nachfragt und nachfühlt. So lässt sie auch Besucher am Prozess der Annäherung, an ihren Beobachtungen und Überlegungen teilhaben – an ihrer Betrachtung „mit eigenen Augen“.