Herr Aufsichtsratsvorsitzender, Sie sind seit Mai 2009 an der Spitze des Aufsichtsrates der Raiffeisen Landesbank Kärnten, davor waren Sie viele Jahre in der Kärntner Landespolitik tätig. Inwieweit sind diese Funktionen vergleichbar?
Robert Lutschounig: Es gibt durchaus einige Parallelen, beide Funktionen sind stark fremdgesteuert und von Terminen und Kontakten geprägt. Darüber hinaus sind sie aber grundverschieden. Ich war sehr gerne in der Politik, aber die zunehmende Verrohung der Sprache, die bis heute anhält, hat mir zu schaffen gemacht. Denn, man kann durchaus hart in der Sache sein, aber sollte nie untergriffig oder persönlich werden. Das stört mich immer noch wahnsinnig an der Politik. Ich war damals froh, meine politische Karriere beenden zu können und mich als Aufsichtsratsvorsitzender der Landesbank stärker widmen zu können.
Wenige Monate vor Ihrem Wechsel hat die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers die Finanz- und Wirtschaftskrise ausgelöst. Waren Sie sich der Herausforderungen bewusst?
Lutschounig: Es war eine sehr herausfordernde Zeit. Viele Freunde haben mir gesagt: „Jetzt bist Du vom Regen in die Traufe gekommen.“ Damals hätte sich niemand gedacht, dass die Folgen der Lehman-Pleite die ganze Finanzwelt bis hin zu jeder kleinen Raiffeisenbank erschüttern werden. Das war sehr dramatisch und in einem gewissen Maß mit der aktuellen Corona-Pandemie vergleichbar …
Wie beurteilen Sie das Jahrhundertereignis Corona?
Lutschounig: Wir haben auf die Covid-19-Pandemie mit vielen Vorsichtsmaßnahmen wie Abstandsregeln, Mund-Nasen-Schutz und Homeoffice reagiert. Es ist uns gut gelungen, schnellstmöglich die staatlichen Hilfspakete für unsere Kunden umzusetzen. Die wirtschaftlichen Folgen waren bisher aber nicht so dramatisch, wie wir es anfangs befürchtet hatten, auch wenn auf uns noch einiges zukommen dürfte. Da uns das Thema Corona offenbar noch längere Zeit begleiten wird, brauchen unsere Kunden einen verlässlichen und starken Finanzpartner wie Raiffeisen.
Sind wir wirtschaftlich gesehen aus dem Gröbsten heraus?
Lutschounig: Derzeit schaut es nach einem kräftigen Aufschwung aus, der Export boomt, aber auch die Bauwirtschaft. Das führt allerdings auch zu gegenteiligen Effekten wie der Rohstoffknappheit und den damit verbundenen Preissteigerungen. Viele versuchen ihr Geld ins Trockene zu bringen und investieren, was sich wiederum konjunkturbelebend auswirkt. Entscheidend wird sein, ob es im Herbst noch einen Rückschlag bei der Pandemie geben wird. Einen neuerlichen Lockdown wie im Vorjahr können wir uns nicht leisten. Wir alle sind aber an Erfahrung reicher geworden und können nun viel besser mit den Herausforderungen umgehen.
Worauf blicken Sie als Aufsichtsratsvorsitzender gerne zurück?
Lutschounig: Der Kontakt mit den Menschen ist für so eine Funktion ganz, ganz wichtig. Ich war bei allen Funktionärsausbildungen anwesend. Es war mir immer sehr wichtig, den persönlichen Kontakt zu den Funktionären zu suchen. Stolz bin ich, dass das Spannungsfeld, das zwischen den Kärntner Fördervereinsbanken und der Landesbank Kärnten geherrscht hat, weitgehend aufgelöst wurde. Mit viel Überzeugungsarbeit und intensiver Kommunikation konnten wir diesen Knoten in der Raiffeisen-Familie erfolgreich lösen.
Wie hat sich das Bankgeschäft in Ihrer Ära verändert?
Lutschounig: 1978 habe ich als Raiffeisen-Funktionär begonnen. Ich bin ein echtes Raiffeisen-Fossil. Früher war die Stärke von Raiffeisen, dass wir vor allem die Verhältnisse am Land gut gekannt haben und viele Kredite aufgrund der charakterlichen Einschätzung und der Familienverhältnisse vergeben konnten. Das hat zu 99 Prozent funktioniert, Ausfälle waren selten. Heute ist so eine Kreditvergabe nicht mehr vorstellbar. Auch die Zinslandschaft war eine völlig andere, Negativzinsen waren damals unvorstellbar. Viele Dinge, die man heute aufgrund des Kostendrucks verrechnen muss, hat man früher noch als Serviceleistungen machen können.
„Der Kontakt mit den Menschen ist für so eine Funktion ganz, ganz wichtig.“
Robert Lutschounig
Was war Ihr Credo als Aufsichtsratsvorsitzender?
Lutschounig: Ohne Fleiß kein Preis – das gilt für jede Funktion, die ich ausgeübt habe. Ein Funktionär sollte alles im Auge behalten. Brücken bauen gehört da ebenso dazu wie Geschäfte mitanbahnen. Als Funktionär muss man auch bereit sein, eine Vermittlerrolle hin zum Kunden einzunehmen. Allerdings sollte man eine bewusste Linie zum operativen Geschäft ziehen.
Das Management ist Ihr wichtigster Ansprechpartner. Wie sehen Sie die Beziehung zum Vorstand?
Lutschounig: Ein gutes und korrektes Verhältnis mit gegenseitigem Respekt ist sehr wichtig. Es gibt hie und da auch Interessenkonflikte. Manchmal sitzt man auf der Gegenseite und hat eine andere Meinung. Das gehört aber einfach dazu.
Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung der Bank?
Lutschounig: Wir sind sehr gut durch diverse Krisen der letzten Jahre gekommen. Als ich Aufsichtsratsvorsitzender geworden bin, lag die Bilanzsumme bei etwa 3,5 Mrd. Euro, die Folgen der Lehman-Pleite und die Vorkehrungen danach kosteten uns über eine Milliarde an Bilanzsumme. Diesen Rückgang konnten wir über die Jahre wieder aufholen, im Vorjahr erreichte die Bilanzsumme 3,7 Mrd. Euro.
Sie sind über 40 Jahre im Raiffeisen-Sektor tätig. Was macht die Faszination Raiffeisen für Sie aus?
Lutschounig: Die Genossenschaft ist eine ganz tolle Idee, die auf Langlebigkeit und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Der erwirtschaftete Gewinn wird wieder eigenkapitalstärkend verwendet. Dieses Rezept ist ein wichtiger Grund, warum sich das System Raiffeisen über 130 Jahre so erfolgreich gehalten hat. Ein zweiter Eckpfeiler ist die Solidargemeinschaft. Wenn es einer Bank schlecht geht, springen alle anderen ein. Das ist gegenüber Aktienbanken, wo der Shareholder-Value dominiert, ein entscheidender Vorteil.
Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Lutschounig: Einerseits tun wir alle miteinander viel zu wenig für die genossenschaftliche Mitgliedspflege. Wir haben alle zwar noch viele Mitglieder, aber es werden immer weniger. Andererseits ist der Funktionärskreis schon älter und hauptsächlich männlich. Wir bemühen uns, auf allen Ebenen mehr Frauen bzw. junge Menschen als Raiffeisen-Funktionäre zu gewinnen. Dies hat sich in den letzten Jahren verbessert, diesen Weg gilt es weiterzugehen.
Welche Bedeutung hat Raiffeisen für Kärnten?
Lutschounig: Eine gewaltige. Wir haben insgesamt 280.000 aktive Kunden, jeder zweite Kärntner ist Raiffeisen-Kunde. In den letzten Jahren konnten wir unseren Platz als Nummer eins in Kärnten erfolgreich stärken. Darüber hinaus investiert Raiffeisen viel in die regionale Entwicklung und fördert Vereine und Institutionen aus den Bereichen Kultur, Sport, Jugendarbeit, Schulen, Kindergärten und Soziales. Das ist ein nicht zu übersehender Faktor für die Region, der geschätzt wird.
Eines der letzten größeren Projekte auf Bundesebene war für Sie die Raiffeisen-Einlagensicherung. Wie wichtig war die Einigung?
Lutschounig: Das ist ein zukunftsweisendes Projekt, auch wenn Raiffeisen ohnedies so aufgestellt ist, dass wir für Krisenfälle in den eigenen Reihen gut abgesichert sind und auftretende Probleme – wie bisher auch – selbst lösen. Ich bin froh, dass sich nun alle im Sektor auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen konnten. Vor zwei Jahren hat sich niemand vorstellen können, dass eine kleine Bank wie die Commerzialbank Mattersburg solche Wellen schlagen wird. Das hat alle wachgerüttelt.
Sie scheiden mit der Generalversammlung am 22. Juni aus Altersgründen aus dem Aufsichtsrat aus. Was werden Sie vermissen?
Lutschounig: Die Menschen und die Bank. Wenn man hier zwölf Jahre ein- und ausgeht, dann ist man mit den Kollegen und den Mitarbeitern eng verbunden. Ich bin ein sehr kontaktfreudiger Mensch, auch die vielen Veranstaltungen werden mir fehlen. Es ist ein Raiffeisen-Abschied auf Raten, in der Raiffeisenbank Rosental habe ich noch ein Jahr als Obmann vor mir.
Worauf freuen Sie sich schon nach dem Ende Ihrer Aufsichtsratstätigkeit?
Lutschounig: Ich habe in meiner Landwirtschaft viel zu tun und das tue ich gerne, obwohl ich den Betrieb an meinen Sohn übergeben habe. Ich habe mir das Recht herausgenommen, arbeiten zu dürfen (lacht).