„Wir fahren ein sehr hohes Tempo“

Seit 1. März ist Roland Mechtler im Vorstand der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien unter anderem für das Treasury verantwortlich. Im Interview blickt der Banker auf die intensiven ersten 100 Tage und erklärt, warum die Zeiten nicht ruhiger werden.

Sie sind nach fast zwei Jahrzehnten bei der Raiffeisen Bank International als Vorstand zur Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien gekommen. Was hat Sie an der neuen Aufgabe gereizt?
Roland Mechtler: Der große Anreiz für mich war die Vision von Generaldirektor Michael Höllerer, die Unternehmenskultur der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien zu modernisieren, sowie die Chance, in einem neu zusammengesetzten Team zu arbeiten. Aus der RBI bringe ich das agile Arbeiten mit. Das ist etwas, was mich inspiriert und was ich auch hier fördern will.

Agiles Arbeiten ist ein Schlagwort der letzten Jahre. Was verstehen Sie darunter?
Mechtler: Das ist das Gefährliche, dass es ein Schlagwort ist. Für mich bedeutet Agilität flache Hierarchien und einen sehr offenen Umgang mit Informationen. Der Informationsfluss ist heutzutage enorm schnell. Man darf nicht glauben, wenn man den Informationsfluss verlangsamt, dass man mehr Zeit zum Entscheiden hat. Ganz wichtig ist, dass alle Ebenen möglichst zeitnah eingebunden sind, um auf gleicher Basis gemeinsam entscheiden zu können. Darüber hinaus gehört zur Agilität auch eine fächerübergreifende Zusammenarbeit – vor allem mit der IT. Letztendlich geht es darum, beim Kunden schneller und besser zu werden. 

Wie groß war die Umstellung von einem internationalen auf einen regionalen Fokus?
Mechtler: Es ist eine vollkommen andere Perspektive. Die RBI ist sehr stark auf Osteuropa fokussiert und auch eher steuerungslastig. Die Raiffeisenlandesbank hat mit Niederösterreich und Wien einen sehr klar definierten geografischen Handlungsraum. Der Austausch mit den Raiffeisenbanken ist für mich eine großartige neue Erfahrung. Das rasche Feedback liefert einen wertvollen Input für Verbesserungen. In den vergangenen drei Monaten habe ich viele Anregungen bekommen, zum Teil setzen wir schon einiges um. 

Sie sind für Treasury, Technology und Effizienz verantwortlich. Wie lautet das erste Resümee über dieses weite Feld? 
Mechtler: Ich habe mein Netflix-Abo schon abbestellt (lacht). Die Themenbreite ist tatsächlich sehr groß. Ich sehe es aber als eine große Chance für vernetztes Denken und Dinge besser ineinander zu verschränken. Das erhöht die Sinnhaftigkeit von Prozessen. Denn ein Problem in großen Organisationen ist oft, dass jeder in seinem Silo arbeitet und manchmal das große Bild fehlt. Dieses weite Betätigungsfeld gibt mir die Möglichkeit, dieses Big Picture zu schaffen. Daran arbeiten wir im Team gerade sehr intensiv. 

In welchem Bereich sind Sie aktuell am meisten gefordert?
Mechtler: Vor meinem Antritt dachte ich, dass mich das Treasury nicht intensiv beschäftigen wird. Aber die US-Bankenkrise und die Übernahme der Credit Suisse im März haben mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mich hat die Lehman-Brothers-Krise 2008/09 stark geprägt, in der RBI war ich damals für das Krisenmanagement zuständig. Jede Krise folgt gewissen Mustern, nach einer Woche weiß man, wird es besser oder schlechter. Nach drei Wochen kann man abschätzen, ob sie vorbei geht oder nicht.

Welche Lehren ziehen Sie aus diesen Turbulenzen?
Mechtler: Aufgrund der hohen digitalen Verfügbarkeit von Geldmitteln können virtuelle Banken-Runs heutzutage in enormer Höhe und Geschwindigkeit erfolgen. Zig Milliarden wurden in kürzester Zeit von den US-Banken, aber auch von Credit Suisse abgezogen. Das ist ein Thema, das wir für die Zukunft sehr intensiv diskutieren müssen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen. Zwei Drittel der Kundeneinlagen der Raiffeisenbanken sind online, ein Drittel physisch, typischerweise auf klassischen Sparbüchern.

Die Lage scheint sich wieder beruhigt zu haben …
Mechtler: Es schaut aktuell so aus, aber wenn man sieht, was sich in den Märkten abspielt, dann kann man die Herausforderungen abschätzen. Die EZB nimmt mit dem Auslaufen der TLTROs aufgrund der restriktiveren Geldpolitik 1.000 Milliarden Euro aus dem Markt. Und die Schuldeneinigung im US-Budgetstreit führt dazu, dass die USA in einem ähnlichen Ausmaß neue Anleihen emittieren werden. Insgesamt fließt enorm viel Geld aus den Kapitalmärkten ab. Das heißt, wir werden wieder Druck auf der Einlagenseite bekommen. Dazu kommt, dass die anhaltenden Zinsanstiege die Kredite verteuern und auch Bewertungsthemen in die Bankbilanzen bringen. Wenn man sich diese Effekte vor Augen hält, weiß man, es wird keine ruhige Zeit. 

„Wir müssen das, was wir haben,
besser managen.“

Roland Mechtler

Die Refinanzierung wird teurer, wie trifft das die Banken? 
Mechtler: Die EZB hat nicht nur den Referenzzinssatz angehoben, sondern auch die Aufschläge werden teurer. Hintergrund ist, dass die EZB in der Vergangenheit den Banken neben den langfristigen Krediten auch bei den Emissionen direkt in die Orderbücher hineingegangen ist. Das hat zu einer ganz anderen Order-Dynamik geführt, die nun wegfällt. Die Bücher bauen sich jetzt langsamer auf, was auch zu höheren Spreads führt.

Welchen Einfluss haben ESG-Kriterien auf die Refinanzierung?
Mechtler: Nachhaltigkeitsratings spielen eine sehr große Rolle bei institutionellen Investoren. Die Zeiten, in denen man eine Prämie für grüne Anleihen bekommen hat, sind vorbei. Man spricht damit aber mehr Investoren an. Es ist mittlerweile so, dass man als Emittent ein sehr gutes ESG-Rating braucht, um marktgängig zu sein. Bei uns kommt noch dazu, dass wir die Nachhaltigkeit in unserer Raiffeisen-DNA haben. Wir investieren außerdem gezielt in die Ausbildung, bereits mehr als 100 Kundenberater haben eine Sustainable-Finance-Zertifizierung. Außerdem haben wir ein Sustainability-Komitee eingerichtet, in dem alle Bereiche vertreten sind. Für grüne Produkte auf der Anlageseite braucht es auch eine entsprechende Mittelverwendung. Darüber hinaus analysieren wir die mögliche Begebung eines Social Bonds, um den sozialen Wohnbau zu finanzieren.

Ein gerade für Banken wichtiger Bereich ist Technology. Worauf richten Sie dort Ihren Fokus?
Mechtler: Wir setzen sehr stark auf Datenanalytik. Dazu haben wir einen eigenen Bereich geschaffen und Ressourcen aus unterschiedlichen Gebieten zusammengezogen, um bestmöglichen Service für unseren Vertriebs- und Risikobereich anzubieten. Unser Ziel ist es, unsere Kunden besser zu verstehen, um ihnen gute Lösungen anzubieten. Wir haben  bundesweit mehr als 420 Millionen Zugriffe bei 2,5 Millionen Verfügern auf das elektronische Raiffeisen-Banking pro Jahr. Wir müssen das, was wir haben, besser managen. Dabei können uns auch Themen wie Künstliche Intelligenz oder Chatbots helfen.

KI ist spätestens seit der Vorstellung von ChatGPT in aller Munde. Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten?
Mechtler: Es ist mehr eine evolutionäre als revolutionäre Entwicklung von schon bisher genutzten Algorithmen. Wir werden sicherlich kein technologischer Vorreiter sein, aber wenn wir es schaffen, in einer zweiten Welle die neue Technologie vernünftig zu nutzen, etwa beim Thema Barrierefreiheit, dann ist schon viel gewonnen. So können wir etwa mit einem Chatbot Kunden effizient zum Beispiel nicht nur auf Deutsch, sondern auf vielen anderen Sprachen ansprechen. 

Stichwort Effizienz – dieser Bereich gehört auch zu Ihren Zuständigkeiten. Was kann man sich darunter vorstellen?
Mechtler: Es ist viel mehr als nur Prozessoptimierung. Das Feedback der Primärbanken ist dabei besonders wertvoll, weil sie ganz nah am Kunden sind. Dazu kommt, dass wir grundsätzlich zu viel gleichzeitig machen. Es geht darum, den Fokus zu schärfen. Am besten verdeutlicht dies das Bild von einem Waschbecken, wo sehr viel Wasser hineinfließt. Wenn zu viel Wasser drinnen ist, dann fließt es unten nicht mehr ab. Das bedeutet, dass wir Projekte umsetzen müssen anstatt zu analysieren und damit das Waschbecken auffüllen. Das ist gelebte Innovation, ist aber etwas, was nicht immer funktioniert. Deshalb ist eine entsprechende Fehlerkultur notwendig. Dazu gehört aber auch zum Beispiel ein zentraler Einkauf auf Landesbank- und Holding-Ebene, den wir jetzt einführen. Damit wollen wir Synergien heben, Kosten reduzieren und Anforderungen aus dem Nachhaltigkeitsmanagement noch besser erfüllen.

Wenn man sich die letzten 15 Jahre ansieht, dann folgt eine Krise auf die andere. Wie gehen Sie mit diesen multiplen Herausforderungen um?
Mechtler: Wenn man viele Krisen wie ich erlebt hat, dann ist der Vorteil, dass man weiß, es gibt einen Tag danach. Man lernt mit Krisen umzugehen. Wichtig ist, die Dinge ernst zu nehmen und die Zeichen zu lesen. Das darf man nie unterschätzen. Wir fahren gerade ein sehr hohes Tempo in der RLB. Das merkt man allen Ecken und Enden. Das bedeutet aber auch, dass man sich die Zeit nehmen muss, um sich zu regenerieren. Ich versuche am Wochenende zumindest an einem Tag in Gedanken möglichst weit weg von der Bank zu sein.

AusgabeRZ26-2023

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