Übergabe: „Das Lebenswerk soll erhalten bleiben“

Jährlich hängen tausende Arbeitsplätze vom Erfolg oder Misserfolg einer Unternehmensübergabe ab. Hubert Stieninger von der Raiffeisen-Landesbank Steiermark erklärt, worauf es in der Phase der Nachfolgeregelung ankommt und wie hilfreich externe Begleitung sein kann.

Handschlag
© Pixabay.com

Raiffeisen in der Steiermark bietet seit mehr als fünf Jahren ein Begleitservice für Firmenübergaben an. Welche Bedeutung hat dieses ­Thema?
Hubert Stieninger: In der Steiermark werden jährlich rund 1.500 Unternehmen übergeben. Land- und forstwirtschaftliche Betriebe sind da noch gar nicht mitgezählt. Aus meiner Erfahrung als Geschäftsleiter einer Raiffeisenbank weiß ich, dass die Unternehmensnachfolge oder Betriebsübergabe bei KMUs oder Land- und Forstwirten in vielen Fällen nicht geregelt oder nicht früh genug abgestimmt ist. Oft drängt dann die Zeit aufgrund von Krankheit oder Todesfall. Doch gerade eine frühzeitige Planung der Übergabe ist für die weitere Existenz des Betriebes enorm wichtig. Immerhin geht es um den Erhalt schwer erarbeiteter Werte und Erfolge – ein Lebenswerk mehrerer Generationen, das auch für die nächste Generation erhalten bleiben soll. 

Wie groß ist das Interesse an dem Nachfolgeservice von Raiffeisen Steiermark?
Stieninger: Wir konnten in den vergangenen sechs Jahren mehr als 200 Übergaben abschließen. Etwa 20 Prozent davon sind Land- und Forstwirte. Die Kunden kommen über Weiterempfehlungen von Kunden und auch auf Empfehlung der Raiffeisenbanken. Die Firmenkundenbetreuer wissen, wann ihre Kunden in die Übergabe gehen und sprechen das Thema rechtzeitig an. Wir empfehlen, sich schon ab Mitte 50 damit zu beschäftigen. 

Ist das nicht sehr früh?
Stieninger: Ich beziehe immer die gesamte Familie in den Prozess mit ein, weil alle Familienmitglieder in irgendeiner Form mit dem Betrieb verbunden sind. Da ist es wichtig, alle gleichwertig anzuerkennen und wertzuschätzen, um Kränkungen zu vermeiden, die langfristig negative Folgen für die Familie und das Unternehmen hätten. Am Anfang eines Übergabeprozesses führe ich mit allen beteiligten Familienangehörigen Vier-Augen-Gespräche. Das ist die wichtigste Phase. Und diese umfassende Vorbereitung und Aufbereitung der Ausgangssituation braucht ihre Zeit. 

„Eine frühzeitige Planung der Übergabe ist für die weitere Existenz des Betriebes enorm wichtig“, weiß Hubert Stieninger © RLB Steiermark

Kommen familieninterne Übergaben häufiger vor als externe?
Stieninger: Der überwiegende Teil der Übergaben erfolgt familienintern.

Wie können Sie zum Gelingen einer Übergabe beitragen?
Stieninger: Ich begleite die Familie oder das Unternehmen als externer Coach und Mediator. Als neutrale Person baue ich in Gesprächen eine starke Vertrauensposition auf und mache Lösungen sichtbar. Ich stelle keine Rezepte zur Verfügung, denn jede Übergabe ist individuell. Jede Übergabesituation ist anders. Ich helfe hauptsächlich, indem ich die Kommunikation der handelnden Personen fördere und unterstütze, die gegenseitigen Erwartungen zu klären. Oft kommen in diesem Prozess familiäre Probleme oder Verletzungen zutage, die verdrängt oder nicht von allen Beteiligten richtig wahrgenommen wurden. Insgesamt geht es darum, wie in der klassischen Familientherapie darauf zu achten, dass jeder das Gefühl hat, Wertschätzung und Anerkennung zu bekommen. Ganz wichtig ist das offene Gespräch mit den weichenden Erben, also Kindern, die nicht die Firma übernehmen, aber als Nachkommen Ansprüche haben. 

Aber sind mit einem Übergabevertrag nicht alle wichtigen Punkte geklärt? 
Stieninger: Im Übergabevertrag sind alle rechtlichen und finanziellen Themen geregelt. Damit es hier zu guten und einvernehmlichen Vereinbarungen kommt, muss zuerst allerdings die emotionale Ebene stimmen. Gerade in Familienbetrieben, wo die Generationen auch nach der Übergabe nah zusammenwohnen, ist das enorm wichtig. Auch die weichenden Erben sind dazu einzubinden. Erst wenn diese Themen geklärt sind, werden in Folge die sachlichen Themen und dann die finanziellen Aspekte angegangen. 

Was sind die größten Herausforderungen für die Übergeber?
Stieninger: Der größte Wunsch ist in vielen Fällen, dass das Lebenswerk nicht untergeht und alle zufrieden sind. Herausfordernd ist für viele, die Verantwortung loszulassen und Vertrauen in die nächste Generation zu haben. In der Realität ist das oft schwieriger als erwartet.

Sie teilen den Übergabeprozess in drei Phasen. Die erste Phase betrifft die persönliche und familiäre Ebene. Ist das bei externen Übergaben anders?
Stieninger: Nein, sie ist auch bei familienexternen Übergaben sehr wichtig. Wenn ein Betrieb verkauft wird, werden persönliche Anliegen, Bedürfnisse und Ziele mitverkauft und es kauft ein Mensch mit persönlichen Anliegen, Bedürfnissen und Zielen. Darum kann es auch bei einem externen Verkauf in der Phase 1 sehr intensiv werden.

Kann Raiffeisen auch bei der Suche nach geeigneten Nachfolgern helfen?
Stieninger: Meist gibt es jemanden, der nachfolgt – außer es scheitert am Preis oder an unterschiedlichen Zugängen. Bei größeren Firmen können wir auch eine Finanzierungsunterstützung über eine Eigenkapitalbeteiligung holen. Aber die Finanzierung ist bereits die dritte Phase. Wir sind sehr gut organisiert und abgesichert. Das Ziel ist immer der Fortbestand des Unternehmens.

Was ist Ihre Aufgabe in der zweiten Phase?
Stieninger: Ich begleite den Prozess weiter und achte darauf, dass die erarbeitete Nachfolgelösung von Fachberatern wie Notaren und Steuerberatern umgesetzt wird.

Gibt es im Übergabeprozess Unterschiede zwischen großen und kleinen Betrieben?
Stieninger: Die Interessen, Sorgen und Bedürfnisse sind völlig unabhängig von der Betriebsgröße. Das größte Hindernis, ob eine Übergabe gelingt oder nicht, ist immer die Kommunikation. Meine Hauptmission ist, die Leute zum Reden zu bringen. 

Was sind die häufigsten Gründe, an denen Übergaben scheitern?
Stieninger: Familieninterne Übergaben scheitern ganz selten aus materiellen Gründen, sondern aufgrund tiefgründiger familiärer Vorbelastungen, zwischenmenschlicher Hindernisse oder Auffassungsunterschieden.

Was zeichnet das Nachfolgeservice von Raiffeisen Steiermark aus?
Stieninger: Das Nachfolgecoaching spricht die Kunden nicht nur auf der sachlichen Ebene an, sondern umfasst viele persönliche, familiäre und emotionale Themen. Kunden bekommen einen Gesamtüberblick und werden operativ vom Anfang bis zur Übergabe begleitet. Ich stelle schon im Erstgespräch klar, dass diese Begleitung unabhängig von der Bank erfolgt. Es gibt auch keinen Informationsaustausch zwischen der Bank und mir. Ich unterliege dem Beratergeheimnis. Die Bank weiß nur, dass ich bei so einem Prozess als neutraler Experte tätig bin – sonst nichts. Das gibt es in der Steiermark sonst nirgends. Wir haben dabei stark von den Erfahrungen der Raiffeisenbankengruppe Oberösterreich profitiert, denn dort wurde dieses Service bereits früher angeboten.