„KI kann auch nicht zaubern“

Welchen Beitrag Künstliche Intelligenz in der Geldanlage heute schon leistet und wie groß die Potenziale und die Risiken sind, darüber spricht Ulrich Bodenhofer, Professor für Künstliche Intelligenz am Campus Hagenberg der Fachhochschule OÖ.

Roboter als Symbolbild für Künstliche Intelligenz
© Pixabay

Was kann Künstliche Intelligenz in der Geldanlage heute schon leisten?
Ulrich Bodenhofer: Die klassische Anwendung war bis vor wenigen Monaten vor allem die Zeitreihenanalyse. Dabei geht es darum, Preis- oder Kursentwicklungen etwa von Wertpapieren vorherzusagen. Das kann man als eine KI-basierte Chartanalyse verstehen. In der Praxis kann es noch deutlich komplexer werden, da KI-Modelle zur Vorhersage der Kursentwicklungen auch viele andere Variablen wie etwa Indizes, Kurse anderer Wertpapiere, makroökonomische Indikatoren und vieles mehr berücksichtigen können. Das hört sich in der
Theorie alles gut an, in der Realität schaut es nicht ganz so rosig aus. Wenn alle Modelle auf denselben Daten trainiert werden und dieselben Muster in den Daten finden, hat niemand einen Vorteil mehr. Es gilt also auch beim Einsatz von KI-Methoden der uralte Grundsatz, dass jene erfolgreich sind, die entweder mehr wissen oder etwas schneller wissen. Dazugekommen ist, dass jene einen Vorteil haben, die die besseren Modelle trainieren. Um sich aber hier einen Vorteil herauszuarbeiten, muss man wirklich sehr gut sein und auch sehr gute und umfassende Daten haben. Das kann in Einzelfällen durchaus gelingen, ist aber alles andere als leicht. 

Wie könnte der zukünftige Einsatz von KI in der Geldanlage ausschauen?
Bodenhofer: In der jüngeren Vergangenheit sind große Sprachmodelle (LLMs – Large Language Models) wie GPT-3 oder auch die darauf aufbauende konversationale KI ChatGPT in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Solche Modelle haben auch auf den Finanzbereich erhebliche Auswirkungen. Man darf sich so ein Modell jedenfalls nicht als Orakel vorstellen, das man fragen kann, wie oder in welche Werte man investieren soll. Diese Sprachmodelle haben ja kein tagesaktuelles Wissen, sondern wurden auf Daten aus der Vergangenheit trainiert. Was diese Modelle aber auch heute schon sehr gut können, ist, einen neuen Text auf seinen Gehalt zu interpretieren. Ich kann also einen Text an das Sprachmodell übergeben und beispielsweise fragen, ob der Text eine positive oder negative Marktentwicklung prognostiziert. Im Einzelfall kann das der Analyst auch. Der Vorteil dieser Sprachmodelle ist aber, dass sie das automatisch für große Anzahlen von Texten machen können und so ein umfassendes Bild der Lage erzeugen können. Mit Sprachmodellen hat man somit mächtige Werkzeuge in der Hand, um etwa die Marktstimmung aus großen Mengen von Nachrichtenmeldungen, Blogs oder Tweets zu bestimmen. Analysten profitieren dann potenziell von solchen Sprachmodellen. Erst vor etwas mehr als zwei Wochen hat Bloomberg sogar ein eigenes Sprachmodell für Anwendungen am Finanzmarkt angekündigt, das sogenannte BloombergGPT. Es wurde vornehmlich mit Dokumenten aus dem Finanzbereich trainiert und kann Fragen zum Finanzmarkt angeblich noch besser beantworten als GPT-3/ChatGPT. In diesem Bereich wird sich sicher noch sehr viel tun, hier stehen wir erst am Anfang.

Porträt von Ulrich Bodenhofer
Ulrich Bodenhofer © Privat

In welche Richtung wird man sich entwickeln?
Bodenhofer: Egal welches Sprachmodell man letztendlich verwendet: Wenn man ein solches Modell mit KI-basierter Zeitreihenanalyse kombiniert, hat man theoretisch die Möglichkeit, Kursentwicklungen noch besser vorherzusehen. Wie gesagt, in der Theorie. Auch dafür gilt das vorhin Gesagte: Man muss mehr wissen oder muss es schneller wissen. Wenn mehrere Institutionen solche Modelle verwenden, löst sich der Vorteil schnell in Luft auf. Die Markteffizienzhypothese wird durch KI nicht überwunden. Wenn ich ein KI-System habe, das Krebs besser diagnostizieren kann, dann wird dieser Vorteil nicht weniger, wenn jemand anderer das System auch verwendet. Am Finanzmarkt ist das aber schon so, dass ein Vorteil geringer wird, wenn jemand anderer ihn auch nützen kann. Aber eines ist fix: Wenn die meisten KI verwenden, wird es definitiv ein Nachteil, keine KI zu verwenden.

Seit Kurzem gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Ihnen und der Kepler Fonds KAG. Welchen Beitrag können Sie hier schon leisten? Welche Themenbereiche sind vielversprechend? 
Bodenhofer: In einem ersten Projekt wurde ein Modell entwickelt, das als Bewertungsinstrument fungieren kann, um innerhalb eines Portfolios zu erkennen, welche Titel sich negativ entwickeln werden. Dazu wurden Zeitreihen verschiedener Kennzahlen sowie makroökonomische Daten einbezogen. Das funktioniert erstaunlich gut, wenn man berücksichtigt, wie schwierig Prognosen am Finanzmarkt sind. Das ist aber kein automatisches Trading-System, sondern wie gesagt ein Bewertungsinstrument für einen von Menschen gemanagten Fonds. In diese Richtung werden wir mit Nachdruck weiterarbeiten.

Wird KI das Banking generell revolutionieren?
Bodenhofer: Ich bin kein Zukunftsforscher und beteilige mich nicht an Spekulationen. Im Veranlagungsbereich gelten die bereits genannten Einschränkungen. Wenn ich das Thema „Banking“ weiter fasse, dann denke ich schon, dass der Einsatz von KI-basierter Automatisierung etwa durch Chatbots im Endkundengeschäft noch mehr werden wird. Relativ einfache, mechanische Tätigkeiten werden mehr und mehr automatisiert. Bei komplexen Entscheidungen wird der Mensch unerlässlich bleiben, auch beim persönlichen Kontakt mit Kunden wird man den Menschen weiter brauchen. Eine große Revolution sehe ich da also nicht.

Es wird also Fondsmanager und Anlageberater in Zukunft weiterhin brauchen?
Bodenhofer: Ja, definitiv! Es sind ja komplexe Entscheidungen, um die es hier geht. Die Tätigkeit von Fondsmanagern und Anlageberatern wird sich aber verändern. Zu den gängigen Analysemethoden und Kennzahlen kommen KI-Systeme zur Entscheidungsunterstützung dazu.

Elon Musk und andere fordern mehr Regulierung im KI-Bereich. Wie gefährlich kann KI auf dem Gebiet der Veranlagung sein oder werden? 
Bodenhofer: Elon Musk ist für mich in diesem Bereich keine ausgewiesene Koryphäe. Ich stimme aber insofern mit ihm überein, dass die Entwicklung nicht einfach unkontrolliert weitergehen darf. Diese Technologie wird noch mächtiger werden. Auch wenn KI-Systeme von sich aus nicht den Antrieb haben, etwas Böses zu tun – Menschen können sie so programmieren, dass sie etwas tun, das zum Nachteil von Menschen ist, entweder im virtuellen Raum, aber auch im realen Raum. Man könnte einen humanoiden Roboter (z.B. von Boston Dynamics) jederzeit so programmieren, dass er Menschen tötet. Und es ist gut, wenn es Regeln gibt, die so etwas verbieten. Ich denke, dass man hier in der EU auf dem richtigen Weg in Richtung einer sinnvollen Regulierung ist. Ob es letztendlich eine Überregulierung wird, die die Wettbewerbsfähigkeit Europas behindert, wird sich zeigen. Dieser Grat ist leider schmal. 
Im Bereich Veranlagung sehe ich dieses Problem aktuell nicht in diesem Maß. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass ein KI-System eine Fehleinschätzung trifft. Das kann auch einem Menschen passieren. Es ist durchaus wichtig, dass Einschätzungen von KI-Systemen bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar und transparent sind. Die Frage nach Gut und Böse stellt sich hier aber nicht.

Ist eine Überhitzung an den Finanzmärkten nicht schon „vorprogrammiert“?
Bodenhofer: Eine Überhitzung durch den Einsatz von KI-Systemen sehe ich nicht. Das würde nur dann eintreten können, wenn plötzlich eine extreme Goldgräberstimmung ausbrechen würde, so wie bei Kryptowährungen in den letzten Jahren. Diese Goldgräberstimmung gibt es, so vermute ich, aktuell nicht, weil KI in der Veranlagung auch nicht zaubern kann. 

KI-Forscher Günter Klambauer beklagt mangelnde Forschungsmittel. Sollte Ihrer Meinung nach mehr Geld in diese Forschung investiert werden?
Bodenhofer: Ja, unbedingt! Grundlagenforschung ist im Bereich KI extrem wichtig. Immer größere Modelle auf immer mehr Daten zu trainieren, kann zwar kurzfristig zu erstaunlichen Erfolgen führen, ist aber langfristig ein Holzweg. Um KI-Modelle zu beherrschen und sie auch schnell und energieeffizient trainieren und benützen zu können, braucht es bessere oder ganz neue Methoden. Diese werden in der Grundlagenforschung entwickelt und entstehen nicht alleine durch Anwendung von Bekanntem. Für die Vermeidung allfälliger Risiken und eine bessere Transparenz von KI-Systemen gilt das Gleiche: Die aktuellen Methoden haben hier, so toll sie vielleicht sind, noch sehr viel Luft nach oben. Die Impulse können hier nur aus der Grundlagenforschung kommen. Österreich hat in diesem Bereich ausgezeichnete Ideen und helle Köpfe, zeigt aber bei den Investitionen in KI-Grundlagenforschung im Vergleich zu anderen EU-Staaten keinerlei Entschlossenheit.