„Die Unsicherheiten haben massiv zugenommen“

Das schwierige Kapitalmarktjahr 2022 ging auch an der Valida Vorsorge Management nicht spurlos vorbei. CEO Martin Sardelic zieht eine durchwachsene Bilanz.

Martin Sardelic im Interview
© RZ/Roland Rudolph

2022 war ein Ausreißerjahr am Kapitalmarkt mit historischen Rückgängen sowohl bei Aktien wie auch Anleihen. Wie hat sich das auf die Valida ausgewirkt?
Martin Sardelic: Es war das schwierigste Kapitalmarktjahr seit Jahrzehnten. Die Diversifikation zwischen Aktien und Anleihen hat lange Zeit sehr gut funktioniert – seit den 1970er-Jahren gab es kein Jahr, in dem beide Assetklassen so deutlich negativ performten. Im Vorjahr rutschten sowohl Aktien als auch Anleihen zweistellig ins negative Terrain. Wir haben uns in diesem rauen Umfeld zwar besser als der Mitbewerb geschlagen, dennoch war es ein insgesamt unerfreuliches Kapitalmarktjahr mit einer negativen Performance von knapp unter 9 Prozent in der Pensionskasse und einem Minus von 8,6 Prozent in der Vorsorgekasse, also der Abfertigung Neu. Die Hoffnung ist, dass üblicherweise nach so einem schlechten Kapitalmarktjahr ein besseres folgt.

Was bedeutet dies für die Leistungsberechtigten? 
Sardelic: Es wird für die Pensionsbezieher zu Kürzungen kommen müssen, in der großen Breite dürften es zwischen 5 und 7 Prozent werden. Die negative Performance können wir zu einem Teil durch die Schwankungsrückstellung, die wir im guten Veranlagungsjahr 2021 gebildet haben, abfedern. Und in der Vorsorgekasse gibt es eine Kapitalgarantie für die eingezahlten Beiträge, sodass dort die Auswirkungen für die Berechtigten weniger spürbar werden.

Wie erklären Sie sich diesen Rückgang 2022?
Sardelic: Ende 2021 zeichnete sich das Ende der Corona-Pandemie immer mehr ab und die Nachholeffekte haben trotz einiger Herausforderungen für eine Aufbruchstimmung in der Wirtschaft und Bevölkerung gesorgt. In dieser zum Teil euphorischen Stimmung brach Russland mit dem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 einen Krieg vom Zaun, den kaum jemand für möglich gehalten hätte. Das war ein Schockerlebnis mit einschneidenden Folgen für Wirtschaft und Bevölkerung. Seither haben die Unsicherheiten, egal ob es um die Energieversorgung, die sehr hohe Inflation oder auch die sehr kräftige Zinswende geht, massiv zugenommen.

Gab es im Vorjahr auch positive Performance-Beiträge?
Sardelic: Positiv haben unsere Immobilien-Veranlagungen und Alternative Investments, also Veranlagung abseits der klassischen
Investmentmärkte wie Private Equity, performt. Wir haben in den letzten Jahren diese beiden Veranlagungsmöglichkeiten aufgebaut, um besser diversifiziert zu sein. An dieser Strategie wollen wir auch künftig festhalten. 

Sowohl die Pensionskasse als auch die Vorsorgekasse sind für langfristige Veranlagungen konzipiert. Wie sieht die langfristige Performance aus?
Sardelic: In der Veranlagung müssen wir sehr langfristig über Jahrzehnte denken und gleichzeitig die Pensionen so stabil wie möglich halten. Das ist die Erwartung unserer rund 180.000 Kunden in der Pensionskasse sowie der 2,66 Millionen Arbeitnehmer und Selbständigen, die in der Abfertigung Neu von unserer Vorsorgekasse serviciert werden. Die Valida Pensionskasse hat seit Beginn 1998 eine jährliche Performance von 3,55 Prozent erzielt – nach Kosten und trotz einer Niedrigzinsphase von gut zehn Jahren. In der konservativer veranlagten Valida Vorsorgekasse, die mit einer Kapitalgarantie auf die eingezahlten Beiträge konzipiert ist, sind es durchschnittlich 1,84 Prozent jährlich seit Beginn der Abfertigung Neu im Jahr 2003.

Wie hoch ist das verwaltete Vermögen und gibt es noch Wachstumspotenzial?
Sardelic: Wir haben Ende 2022 insgesamt rund 10,6 Milliarden Euro an Kundenvermögen gemanagt, davon 6,6 Milliarden Euro in der Pensionskasse und noch einmal 4 Milliarden Euro in der Betrieblichen Vorsorgekasse. Letztere hat weiterhin ein natürliches Wachstumspotenzial, weil Arbeitnehmer immer noch von der Abfertigung Alt in die Abfertigung Neu wechseln. Außerdem werden die zuletzt relativ hohen Lohnabschlüsse, die vor allem von der extremen Inflation getrieben sind, für weiteres Wachstum sorgen. Im Vorjahr sorgte vor allem die negative Performance allerdings für einen Rückgang im Kundenvermögen von insgesamt rund 900 Millionen Euro. 

Und wie sieht es in der Pensionskasse aus?
Sardelic: Dort befindet sich der Zuwachs nach dem anfänglichen Boom bei Großunternehmen nun mehr auf einem niedrigen
Niveau. Seit Jahren schon fehlt der politische Wille, um das System so weiterzuentwickeln, wie es international üblich ist, etwa in der Schweiz oder in den Niederlanden. Es geht darum, neben der ersten staatlichen Pensionssäule eine stabile zweite Säule zu etablieren, die für den Pensionsbezieher auch spürbar ist und für nachhaltige Pensionsleistungen sorgt. Vielen Unternehmen erscheint die Bindung zu lange bzw. das Produkt zu komplex zu sein. Das ist schade, weil es gerade in einem ausgedünnten Arbeitsmarkt ein wichtiges Mitarbeiter-Bindungsinstrument ist.

Martin Sardelic im Interview
© RZ/Roland Rudolph

Die hohe Inflation drückt trotz Zinswende die reale Verzinsung bzw. Rendite ins negative Terrain. Wie gehen Sie damit um?
Sardelic: Wir befinden uns auf einem historischen Tief. Dennoch ist es wichtig, dass wir nun wieder in der Lage sind – je nach Laufzeit und Bonität – eine positive Rendite im Anleihebereich zu generieren. Zwar haben die kräftig erhöhten Zinsen im Vorjahr auf das Portfolio gedrückt, aber in der Neu- und Wiederveranlagung stehen uns nun wieder attraktivere Möglichkeiten zur Verfügung. Natürlich wird es Zeit brauchen, bis das in der Veranlagung wirkt.

Wie veranlagt man in so einem volatilen Umfeld?
Sardelic: Keiner von uns hat die Glaskugel, wie sich die Konjunktur und die Kapitalmärkte entwickeln werden, wobei die hohe Volatilität eine große Herausforderung bleibt. Deswegen sind wir zum Beispiel im Anleihenbereich dazu übergegangen, die Einstiegszeitpunkte noch stärker als früher zu streuen. Damit wollen wir die Effekte der Zinswende besser mitnehmen. In der Vorsorgekasse haben wir erstmals sogenannte HTM-Anleihen („Held-to-Maturity“ Anm.) genutzt. Das sind gewidmete Anleihen, die bis zur Endfälligkeit gehalten werden müssen. Der Vorteil ist, dass sich zwischenzeitliche Marktschwankungen nicht in der Bilanz auswirken. Das macht das Portfolio stabiler.

Welche Möglichkeiten haben die Anwartschaftsberechtigten in der Pensionskasse, um das Risiko zu dosieren?
Sardelic: Grundsätzlich können sie vor Pensionsantritt zwischen drei Risikoklassen bei der Veranlagung ihres Vermögens wählen – konservativ, ausgewogen und dynamisch. Der große Teil wählt die ausgewogene Variante, einige gehen in die konservative bzw. dynamische Veranlagung. Daneben besteht auch die Möglichkeit, das Vermögen in eine Sicherheits-VRG (Veranlagungs- und Risikogemeinschaft, Anm.) zu übertragen, wo es keine Pensionskürzungen im Vergleich zur Erstpension gibt. Die Erstpensionen fallen dementsprechend niedriger aus. Allerdings wird diese Möglichkeit kaum in Anspruch genommen.

Die Abfertigung feiert heuer 20 Jahre. Wie hat sich das System bewährt?
Sardelic: Es hat die Abfertigungsleistung für alle Arbeitnehmer gebracht, während die alte Abfertigungsregelung aufgrund der gesetzlichen Vorgaben ein Minderheiten-Programm war. Nur ein geringer Teil der Arbeitnehmer kam vor der Einführung des neuen Systems Anfang 2003 in den Genuss einer Auszahlung. Denn in der Abfertigung Alt verlieren Arbeitnehmer beispielsweise bei  Selbstkündigung oder bei Nicht-Erfüllung der Mindestbeschäftigungsdauer ihr gesamtes Guthaben. Somit hat sich das neue, modernisierte Abfertigungs-System als ein sehr sinnvolles Instrument bewährt. 

Sehen Sie noch Verbesserungspotenzial? 
Sardelic: Die Veranlagungsbestimmungen könnten etwas moderner gestaltet werden. Grob gesprochen können rund 5 Prozent der Gelder relativ frei investiert werden. Dazu kommt, dass die Instrumente dem Stand vor rund 20 Jahren entsprechen, da hat es viele Veranlagungsmöglichkeiten noch gar nicht gegeben. Die grundsätzliche Intention, das Risiko für die Anwartschaftsberechtigten einerseits über eine Kapitalgarantie und andererseits über Veranlagungsbestimmungen zu begrenzen, ist zwar nachvollziehbar. Wenn man bewährte Instrumente gar nicht oder nur in einem sehr geringen Ausmaß einsetzen kann, dann ist es in einem so schwierigen Jahr wie dem letzten einfach erkennbar, dass es wichtig wäre, auch andere Veranlagungsmöglichkeiten zu haben. Nachschärfen sollte man auch bei der Höhe der Beitragsleistung von 1,53 Prozent der Bruttolohnsumme. Wünschenswert wäre auch eine steuerfreie Übertragung der Abfertigung neu in die Pensionskasse, um den Vorsorgegedanken zu stärken und dort nachhaltigere Pensionsleistungen auszahlen zu können.