Sie haben beim 6:1-Testspielsieg über Rumänien Ihr Comeback gefeiert. Wie war es, nach 481 Tagen endlich wieder den ÖFB-Dress überzustreifen?
Viktoria Schnaderbeck: Echt mega cool! Schön war, dass ich von Anfang an dabei war, also die Mädels aufs Feld führen dürfte. Ich habe bewusst versucht, diesen Moment zu genießen, das ist mir gelungen. Es war auch Demut dabei, denn ich weiß, was für eine lange Reise hinter mir liegt.
Sie hatten eine Knorpelverletzung im Knie. Warum hat es so lange gedauert?
Schnaderbeck: Die 481 Tage betrafen nur die Nationalmannschaft, ich habe zwischendurch im Verein (Anm.: Arsenal London bzw. Tottenham Hotspur) gespielt. Es kamen muskuläre Geschichten dazu, es war ein On und Off. Wie lang die Zeit beim ÖFB-Team wirklich war, ist mir erst jetzt im Trainingslager in Marbella richtig bewusst geworden. Bei der Anreise war die Anspannung größer als sonst, da man nicht weiß, was sich verändert hat, wobei die Vorfreude schon überwogen hat. Das Gute ist: Nach den ersten Trainingseinheiten hatte ich das Gefühl, als hätte ich mein Comeback schon vor Monaten gefeiert.
Sie sind Kapitänin – wie haben Sie den Kontakt zum Team gehalten?
Schnaderbeck: Mit Manu Zinsberger (Anm.: Torfrau) hatte ich bei Arsenal eine Teamkollegin, die mich über die sportliche Entwicklung und die Gruppendynamik upgedatet hat. Viele Spiele habe ich mir im Fernsehen angeschaut, allerdings nicht alle, das muss ich zugeben. An manchen Tagen wäre es zu schmerzhaft gewesen, da bin ich lieber mit meiner Freundin in die Stadt gefahren. Und in der Zeit meiner Abwesenheit gab es die Prämienverhandlungen für die EURO mit dem ÖFB, da war ich mittendrin statt nur dabei. Das war wichtig, weil ich dadurch Verantwortung übernehmen konnte.
In einem sportlich spannenden Jahr wird die EURO im Sommer das Highlight. Hatten Sie Befürchtungen, das Event zu verpassen?
Schnaderbeck: Ehrlich gesagt schon. Ich habe alle Methoden ausprobiert, Extraschichten absolviert, war die Erste und Letzte im Gym. In den Phasen, in denen wenig weiterging, habe ich mir Fragen gestellt: Wie soll das jemals wieder gehen? Kann ich überhaupt wieder Fußball spielen? Schaffe ich es zur EURO? Das ist sehr zermürbend, vor allem wenn es über mehrere Monate geht. Letztlich war es eine Operation und konsequentes Extra-Training, das mir geholfen hat.
Sind Sie ein Mensch, der diese Dinge mit sich selbst ausmacht oder die Sorgen mit anderen teilt?
Schnaderbeck: Als Typ bin ich sehr stark reflektiert. Wenn man sich nicht selbst eingestehen kann, dass es gerade scheiße ist, bringt dir das beste Umfeld nichts. Positiv sein ja, aber man muss auch der Realität ins Auge schauen. Wichtig war meine Partnerin, die in der Phase auch so etwas wie meine Mentaltrainerin war.
Das Turnier findet in England statt, Sie leben seit 2018 in London. Ist das so genial wie man glaubt oder wird dieser Umstand von Außenstehenden überbewertet
Schnaderbeck: Er wird nicht überbewertet. Oft denke ich: Für mich schließt sich dort ein Kreis. Ich habe damals den Schritt nach England gewagt, jetzt ist die EM genau dort, wo im Frauenfußball am meisten passiert. Liga, Nationalteam – England ist der Hotspot schlechthin. Von meinem Wohnzimmer aus sehe ich das Wembley-Stadion (Anm.: dort findet am 31. Juli das Finale statt) und rufe mir ins Bewusstsein: Genau dort wird bald die Hölle los sein.
Wenn sich ein Kreis schließt, geht auch eine Reise zu Ende. Denkbar, dass Sie nach dem Turnier Ihre Karriere beenden?
Schnaderbeck: Daran denke ich nicht. Mein Vertrag bei Arsenal läuft im Sommer aus, die EURO war immer mein Ziel, nur darauf liegt mein Fokus. Diese Entscheidung werde ich treffen, wenn es sich für mich richtig anfühlt. Derzeit geht es mir gesundheitlich gut, das gibt mir Zuversicht und Gelassenheit.
Sie haben sich im Winter von Arsenal zu Tottenham verleihen lassen. Was waren die Beweggründe?
Schnaderbeck: Die Frage war: Was ist in diesem halben Jahr vor der EURO das Beste für mich? Ich komme aus einer langen Verletzung, die Konkurrenz bei Arsenal ist groß. Jetzt ist wichtig, Spielzeit zu bekommen. Da hat sich mit den Hotspurs eine Möglichkeit aufgetan, für die ich nicht mal umziehen musste (Anm.: Beide Klubs spielen im Norden Londons). Die Trainerin und das Umfeld haben mir ein gutes Gefühl gegeben, der Klub ist sportlich sehr ambitioniert – auch wenn von den Einzelspielerinnen Arsenal schon eine Klasse für sich ist.
Hätten Sie diesen Schritt auch gemacht, wenn Sie London verlassen hätten müssen? Sie sind ja ein großer Fan der City.
Schnaderbeck: (überlegt) Ich sag mal so: Als die Anfrage kam, wusste ich, dass es kaum ein anderes Angebot geben wird, das mich überzeugen kann. Es war auch keine Entscheidung gegen Arsenal, sondern für die Chance mit Tottenham.
Zurück zur EURO, die für Österreich mit dem Eröffnungsspiel gegen den Gastgeber in Manchester beginnt. Das dortige Stadion Old Trafford wird auch „Theatre of Dreams“ genannt – wovon dürfen die Fans träumen?
Schnaderbeck: Das wird extrem, in jeder Hinsicht! Wir hatten noch nie eine Eröffnung, das historische Stadion, ausverkauftes Haus, der Gastgeber – diese Faktoren machen das Ganze extrem speziell. Wir müssen uns bewusst machen: Heute dürfen und wollen wir, aber wir müssen gar nichts. Wir dürfen auch die Underdog-Rolle gegen einen der großen Turnierfavoriten bewusst einnehmen und trotzdem mit Selbstbewusstsein an die Aufgabe gehen. Wir haben schon oft bewiesen, wozu wir als Team in der Lage sind.
Zuletzt gab es eine knappe 0:1-Niederlage gegen England, gegen Frankreich gelangen sogar Punktgewinne. Wie weit ist Österreich von diesen Top-Nationen noch entfernt?
Schnaderbeck: Der Unterschied ist die enorme Breite in deren Kadern. Ich kenne es von Arsenal, da wurden geniale Spielerinnen nicht zu ihren Nationalteams eingeladen, einfach weil es Alternativen gibt. Die haben da ein echtes Luxusproblem. Auch unsere Teamchefin Irene Fuhrmann muss harte Kaderentscheidungen treffen, aber das ist nochmal ein anderes Niveau. Und trotzdem dürfen wir selbstbewusst sein, denn es gibt vielleicht keine Mannschaft, die einen so guten Spirit hat wie wir.
Die weiteren Vorrundengegner heißen Norwegen und Nordirland. Wie stehen die Chancen, dass es für die K.o.-Runde reicht?
Schnaderbeck: Gegen Nordirland muss unser Anspruch sein, einen Sieg zu holen. Man kann es drehen, wie man will, wir sind qualitativ einfach besser. Gelingt das, haben wir im letzten Spiel wahrscheinlich die Chance, es ins Viertelfinale zu schaffen. Mehr kann man sich nicht wünschen. Wir haben Chancen, wenn wir individuell und als Mannschaft an unsere Leistungsgrenzen gehen.
Die Erinnerungen an das Sommermärchen 2017, als das Halbfinale erreicht wurde, kommen so sicher wie das Amen im Gebet. Okay für Sie oder sollte man das ruhen lassen?
Schnaderbeck: Für alle Externen sind diese Bilder wichtig, die sollen sich gerne daran erinnern. Für uns als Team sehe ich es differenziert. Jeder soll abrufbar haben, was man erreichen kann, wenn man groß träumt. Aber wenn man das zu sehr in den Fokus stellt, besteht die Gefahr, halb in der Vergangenheit zu sein. Wenn das Turnier startet, müssen wir aber voll im Hier und Jetzt sein, im Moment leben.
Vor und nach der EURO stehen Spiele der WM-Qualifikation auf dem Programm. Sie haben als Spielerin in Ihren Klubs und bei der Nationalmannschaft irrsinnig viel erlebt. Wie groß ist dennoch die Gier, es einmal zu einer Weltmeisterschaft zu schaffen?
Schnaderbeck: Ich muss ehrlich sagen: Je älter du wirst und je mehr du erreicht hast, umso größer wird die Lust, noch mehr zu erreichen. Man strebt nach großen Spielen und Momenten und nach Turnieren wie eine WM. Für mich wäre es ein Traum, ein großes Ziel. Aber jetzt steht die EURO im Mittelpunkt.
Sie bauen sich seit Längerem eine Zweit-Karriere als Speakerin auf und halten Vorträge vor großen Unternehmen. Hat das während der Verletzungszeit gelitten?
Schnaderbeck: Nein, im Gegenteil, es hat sich stark positiv entwickelt. Für mich war es ein toller Anker, in einem anderen Berufsfeld erfolgreich zu sein, positives Feedback zu bekommen. Dieses Adrenalin vor einem Vortrag, die Challenge, die man dann meistert – das kenne ich vom Fußball und habe ich vermisst, als ich verletzt war. Durch Corona hat sich viel ins Digitale verlagert, was mir aber entgegenkam. Ich konnte so an meinen freien Tagen locker einen Vortrag halten, ohne irgendwohin reisen zu müssen.
Wovon handelten Ihre letzten Vorträge?
Schnaderbeck: Generell sind Topics wie Diversität und Inklusion große Themen, mit denen sich Unternehmen befassen. Und ich finde die Brücke zwischen Sport und Wirtschaft sehr spannend, da gibt es irrsinnig viele Parallelen. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto klarer wird es für mich. Ich denke, zu diesem Thema kann ich einiges beitragen.