„Die USA liefern aktuell die heftigste protektionistische Eskalation in der Weltwirtschaft seit hundert Jahren ab“, zu diesem Urteil kommt Raiffeisen-Chefanalyst Gunter Deuber, nachdem US-Präsident Donald Trump hohe Zölle auf Einfuhren in die USA verkündete und die bilateralen Zölle am oberen Rand von erwarteten Bandbreiten festlegte. „Der größte Importeur der Welt schreibt derzeit und wohl nachhaltig die Handelspolitik neu. Dessen sollten wir uns als – teilweise einseitig normativ-positiv orientierte – freihandelsoptimistische Europäer bewusst sein“, analysiert Deuber.
Der effektive Zollsatz für US-Importe als Gesamtes steigt durch die angekündigten US-Zölle (Basiszoll von 10 Prozent plus bilaterale Zölle) in den Bereich von 20 Prozent. In den letzten Dekaden waren hier Werte um die 5 Prozent oder darunter gültig, zeigt eine Analyse von Raiffeisen Research. Deuber geht nicht von einer baldigen Rückkehr der Zollsätze aus: „Wir erwarten mittel- bis langfristig deutlich höhere US-Zölle, auch wenn im Jahresverlauf 2025 sowie in den kommenden Jahren eine Reduktion möglich ist.“
Die bilateralen Importzölle sollen die vermeintlichen Nachteile und – aus US-Sicht – Ungerechtigkeiten im Außenhandel ausgleichen. Die Berechnung der „Gegenseitigkeitszölle“ basiert dabei nur auf bilateralen Handelsdefiziten im Güterhandel. Dieser Fokus lege nahe, dass es hier nicht nur um die Schaffung von Verhandlungsmasse für Zollsenkungen geht, sondern auch um eine nachhaltige Änderung von globalen Handelsströmen und Wertschöpfungsketten, also strukturell geringere US-Importe und Produktionsverlagerungen in die USA, analysiert Raiffeisen Research. Wichtige Ausnahmen für Halbleiter, Seltene Erden, Energie und Pharmazeutika zeigen dabei die Anerkennung strategischer Lieferkettenprioritäten.
Geringerer Welthandel
Generell hält das Analystenteam von Raiffeisen den Basiszollsatz von 10 Prozent als „verdaubar für die Weltwirtschaft“. Die zusätzlichen bilateralen Zölle hätten indes das Potenzial für „nicht-einfach verdaubare Abwärtsrisiken“. Deuber: „Wir sehen zähe Verhandlungen voraus. Weltwirtschaftlich gesehen erwarten wir uns selbst in einem ‚Handelskrieg-Szenario‘ aber kein Abrutschen in ein Szenario wie in den 1930er-Jahren. Die Notenbanken würden in einem Eskalationsszenario anders agieren als damals und die USA ist global gesehen heute viel ‚unbedeutender‘.“ Die Welthandelsorganisation WTO stellt einen Rückgang des Welthandels um zirka 1 Prozent in den Raum. Zum Vergleich: Im Kontext der globalen Finanzkrise oder der Covid-Krise ist der Welthandel um 10 bzw. 8 Prozent eingebrochen.
Das neue US-Zollregime erscheint zwar als disruptiv, sollte für sich alleine die US-Wirtschaft aber nicht unmittelbar in eine tiefe Rezession stürzen, so Raiffeisen Research. Die bilateralen Zölle eingerechnet gibt es allerdings das Potenzial, kurz- und mittelfristig Wohlstandsverluste für die USA zu erzeugen. Gerade einkommensschwächere Haushalte in den USA dürften stärker unter den Zoll- und Inflationseffekten leiden, so Deuber. Ein Wirtschaftswachstum um die 1 Prozent in den USA bei einer Inflation über 3 Prozent – also eine Stagflation – erscheine für 2025 wahrscheinlich.
Offene Gegenreaktionen
Spannend bleiben die Gegenreaktionen der Handelspartner. China hat im Sinne einer „Großmachtpolitik“ schnell Gegenzölle in Höhe von 34 Prozent auf alle US-Importe sowie Ausfuhrkontrollen und -beschränkungen für Seltene Erden in die USA verhängt und setzte weitere US-Unternehmen auf eine Liste von unzuverlässigen Unternehmen. „In Summe deutet die chinesische Haltung an, dass man denkt, als staatsgelenkte Wirtschaft einen Zollkrieg einfacher und länger aussitzen zu können als die USA“, kommentiert Deuber.
Selektive Gegenreaktionen werden auch von der EU erwartet, denn immerhin sind die großen EU-Handelsnationen Deutschland, Niederlande, Italien und Frankreich substanziell betroffen. Neben der verringerten Exporttätigkeit von europäischen Unternehmen werden sich einige auch die Standortfrage stellen. Ohne diese möglicherweise negativen Effekte auf die Investitionstätigkeit errechnete Raiffeisen Research direkte negative BIP-Effekte je nach Land zwischen 0,2 bis 0,9 Prozent. Die Wachstumsprognosen für den Euroraum wurde für das Jahr 2025 von 1,2 auf 1,0 Prozent nach unten korrigiert und für das Jahr 2026 von 1,7 auf 1,5 Prozent.
Auch in Österreich dürfte sich der Wirtschaftsabschwung vertiefen, davon gehen auch die Wirtschaftsforscher von Wifo und IHS aus. Sie schätzen, dass die Wirtschaftswachstumsrate für 2025 durch die Zölle um 0,35 bzw. 0,2 Prozentpunkte geringer ausfällt.
Heftige Marktreaktion
Die angekündigten US-Zölle treffen vorwiegend große, börsenotierte und international tätige Unternehmen, dementsprechend stark waren die Reaktionen an den globalen Märkten. Für Karin Kunrath, Chief Investment Officer der Raiffeisen KAG, wenig überraschend: „Es herrscht Verunsicherung über die möglichen Auswirkungen auf den weltweiten Handel, die Gewinnsituation der Unternehmen, die Inflationsentwicklung und die Weltwirtschaft.“ Die gestiegene Wahrscheinlichkeit für eine Rezession in den USA hat dazu geführt, dass nun wieder drei Leitzinssenkungen durch die Fed im weiteren Jahresverlauf gepreist werden. In der Eurozone werden zumindest noch zwei weitere Senkungen erwartet, allerdings haben in der EZB zuletzt auch die restriktiveren Stimmen wieder zugenommen.
Anhaltende Volatilität
Karin Kunrath rechnet in den nächsten Wochen jedenfalls mit weiterer Volatilität, sowohl bei Aktien- als auch Anleihenmärkten. Schon vor der Ankündigung der umfangreichen Zölle durch die USA habe sich die Stimmung an den globalen Aktienmärkten markant eingetrübt: „Die erratischen Maßnahmen aus den USA führen vor allem zu einem: Unsicherheit.“ Geringeres Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig höheren Inflationsraten werde den Unternehmenssektor insbesondere in den USA belasten, so Kunrath. Beim Einpreisen einer Rezession dürften auch Banken unter Druck kommen. Vor allem wurde auch der IT-Sektor stark abverkauft, da viele Unternehmen Komponenten aus dem Ausland importieren bzw. im Ausland über Produktionsstätten – auch für den Import fertiger Produkte in die USA – verfügen.
Gunter Deuber erwartet ebenfalls keine rasche und vor allem nachhaltige Aktienmarktstabilisierung, solange keine Signale einer „wirtschaftspolitischen Rationalität“ gesendet werden. Ansonsten gebe es bei den aktuellen Bewertungsniveaus der Aktienmärkte noch viel Platz für weitere Marktkorrekturen. Signale „einer baldigen rationalen Kooperation“ wären für Raiffeisen Research etwa ein Aussetzen der zusätzlichen bilateralen Zölle für mindestens 60 bis 90 Tage, keine weiteren Eskalationen und unmittelbare Gespräche der USA mit China und der EU. Ohne diese Signale müssten alle Finanzmarktprognosen revidiert werden.
Der einzige Zufluchtsort für Anleger scheinen derzeit klassische Safe-Haven-Produkte zu sein: Staatsanleihen und Covered Bonds. Die Reaktion der Anleihenmärkte auf die Entwicklung der letzten Tage war klar positiv, sowohl US-Treasuries als auch Euro-Staatsanleihen sind gestiegen und die Renditen gefallen.