„2025 wird ein zähes Jahr“

Seit zwei Jahren steckt die österreichische Wirtschaft in einer Rezession. Die Ursachen und Folgen der ausgeprägten Schwächephase analysiert Raiffeisen-Chefökonom Gunter Deuber. Dabei steht die heimische und europäische Politik vor zahlreichen Hausaufgaben.

Heuer war ein Jahr der negativen Überraschungen. Österreichs Wirtschaft befindet sich im zweiten Rezessionsjahr. Droht uns eine längerfristige Schwächephase?
Gunter Deuber: Es sind sowohl die Konsumenten als auch die Unternehmen verunsichert. Die Konsumenten sparen und die Unternehmen investieren nicht mehr. Das ist ein Worst-Case-Szenario. Die Stimmung im Land hat sich eingetrübt. Eine strukturelle Konsolidierung wurde in den vergangenen Jahren verabsäumt, das kann man nicht in ein, zwei Jahren nachholen. Den bisherigen Höhepunkt in der Wirtschaftsleistung aus dem Jahr 2022 werden wir voraussichtlich erst wieder 2026 erreichen. Insoweit sind es verlorene Jahre.

Wie sehen die Aussichten für 2025 aus? 
Deuber: Wir haben unsere Prognose für Österreich nach unten revidierten und erwarten für das kommende Jahr ein Miniwachstum von 0,4 Prozent. Angesichts der Wirtschaftslage kann man hier nicht wirklich von einer wirtschaftlichen Erholung sprechen. Sollte es zu irgendeiner negativen Überraschung kommen, dann kann die Konjunktur relativ rasch in Richtung Stagnation abdriften. Wir erwarten, dass der private Konsum 2025 um 1 Prozent zulegen wird und auch die Investitionen sollten um 1,1 Prozent wieder anziehen. Insgesamt gesehen wird 2025 ein zähes Wirtschaftsjahr. Es besteht aber die Hoffnung, dass die Stimmung in einem Jahr besser ist als heute. Das sollte uns Rückenwind für 2026 geben und das Wirtschaftswachstum auf über 1 Prozent beschleunigen.

Die Europäische Zentralbank hat vergangene Woche die Leitzinsen erneut um 25 Basispunkte gesenkt. Wie beurteilen Sie die Lockerung?
Deuber: Die Märkte haben einen deutlicheren Schritt von 50 Basispunkten erwartet. Allerdings ist das Inflationsproblem vordergründig nicht mehr so virulent, aber es ist auch nicht komplett gelöst. In Österreich erwarten wir eine Inflation im kommenden Jahr von 2,2 Prozent, nach 3,0 Prozent heuer. Und auch die Kernrate der Inflation prognostizieren wir für 2025 mit 2,4 Prozent im Euroraum erkennbar über dem EZB-Ziel. Zudem hinkt die Konjunkturentwicklung in Deutschland und Österreich jener im Euroraum hinterher, wo wir ein Wachstum von 1,2 Prozent haben. Das liegt zwar unter dem Wachstumspotenzial, schreit aber nicht nach einer expansiven Geldpolitik. Dazu kommt, dass die EZB geldpolitisch nicht vorsorglich auf mögliche Effekte reagieren möchte, wie etwa auf die Ankündigungen des künftigen US-Präsidenten Donald Trump, ohne zu wissen, was da wirklich kommt.

In Österreich kommt die Industrie nicht aus der Rezession heraus. Wie geht es da weiter?
Deuber: Die Industrie lebt davon, dass Güter gehandelt werden. Aufgrund der geopolitischen Entwicklung sind Verbesserungen im Export kaum wahrscheinlich. So will Donald Trump mithilfe von Zöllen die Produktion in die USA zurückholen und den US-Markt abschotten. Europa wiederum muss aufgrund der geopolitischen Spannungen seine Rüstung und Verteidigung hochfahren. Hier ist die Frage, kriegen wir daraus in den nächsten zwei, drei Jahren etwas Rückenwind für die Industrie. Davon wird auch abhängen, wie lange sich die Industrieschwäche in Europa noch hinziehen wird. Schafft man es eine Ersatzproduktion aufzubauen oder müssen Werke geschlossen werden – das ist eine Diskussion, die noch nicht öffentlich geführt wird. Plakativ gesprochen kann das etwa für Deutschland bedeuten, von der Autoproduktion in Richtung Panzer- und Rüstungsproduktion zu gehen. Die Industrie ist ein substanzieller Wirtschaftsfaktor. Gerade für Länder wie Deutschland und Österreich, die hohe Industrieanteile haben, stehen wir also vor Weichenstellungen.

Gunter Deuber im Gespräch
© RBI/Martin Schreiber

Um welche Weichenstellungen geht es da?
Deuber: Wir brauchen in Europa ein Umdenken bei den selbst auferlegten Zielen, zum Beispiel beim Thema Nachhaltigkeit. Wollen wir bei manchen Dingen wie dem Aus für den Verbrennermotor im Pkw wirklich so strikt bleiben, wie wir es uns vorstellen? Mittelfristig alles auf eine Karte zu setzen, macht industriepolitisch keinen Sinn. Wie gehen wir in Österreich mit den gestiegenen Energiekosten um? Das sind alles hochsensible politische Themen, die man neu überdenken und bewerten muss – auch vor dem Hintergrund des Wirtschaftsstandortes.

Trotz der angespannten Wirtschaftslage in Österreich läuft der Tourismus relativ gut. Was können wir von der Wintersaison erwarten?
Deuber: Die positive Nachricht ist, dass die Wirtschaft in Europa im Gegensatz zu den Sorgenkindern Deutschland und Österreich insgesamt gesehen relativ gut unterwegs. Urlaub ist etwas, wo man als Letztes spart. Daher sollte der Tourismus weiterhin gut performen. Allerdings ist das Wertschöpfungsproblem in der Branche nach wie vor nicht gelöst. Trotz Preissteigerungen fällt die Profitabilität der Unternehmen. Das hat auch mit den Standortfaktoren in Österreich zu tun, wie den stark gestiegenen Lohn- und Energiekosten, aber auch der relativ hohen Inflation und der diese voll abgeltenden Lohnabschlüsse der vergangenen Jahre. 

Das Auslaufen der strengen Kreditregeln für private Wohnraumfinanzierungen Mitte 2025 dürfte dem Wohnbau helfen. Wie ist Ihre Einschätzung?
Deuber: Ein größerer Schwung ist nicht zu erwarten. Auch wenn die sogenannte KIM-Verordnung bald ab Mitte 2025 Geschichte sein wird und damit die strengen Regeln für die Kreditvergabe auslaufen, will die Finanzmarktaufsicht den Geist der Verordnung in der Bankenaufsicht weiter beibehalten. Dennoch sollte es bei gewissen Finanzierungen zu Erleichterungen kommen. Wir erwarten für die heimische Baubranche, die in den letzten Jahren eine der stärksten Rezessionen in Europa zu verkraften hatte, nur eine marginale Verbesserung. Im kommenden Jahr sollten die Bauinvestitionen nach zwei Jahren mit deutlichen Rückgängen insgesamt wieder ins positive Terrain schwenken und um 1,8 Prozent zulegen. In einigen Bundesländern kommt nun das angekündigte Wohnbaupaket langsam ins Rollen. Es zeichnet sich eine Stabilisierung auf sehr niedrigem Niveau ab. 2026 sollte sich die Dynamik dann weiter beschleunigen. 

Die Unternehmensinsolvenzen haben heuer enorm zugenommen. Wie bedrohlich ist die Entwicklung?
Deuber: Einerseits holen uns jetzt die während der Corona-Zeit aufgeschobenen Firmenpleiten ein und andererseits steigt der Druck in einigen Sektoren wie der Bau- und Immobilienbranche oder dem Handel. Da sind wir über das Gröbste noch nicht hinaus. Dazu kommt, dass viele Unternehmen wie der Motorradhersteller KTM zu sehr auf die Konjunktur gesetzt haben. Allerdings erreichen wir wie erwähnt erst im Jahr 2026 die Wirtschaftskraft von 2022. Es hat niemand in seiner Unternehmens- oder Cashflow-Planung vorausgesehen, dass wir vereinfacht gesprochen in der Wirtschaft insgesamt erst in zwei Jahren den Umsatz von vor zwei Jahren schaffen werden. Dazu kommt, dass viele österreichische Leitbetriebe der Industrie aus den globalen Wertschöpfungsketten herausfallen, in denen sie zum Teil seit Jahrzehnten vertreten waren, weil sie nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Daher bleiben Insolvenzen und damit auch steigende Risikokosten im Bankensektor auch im nächsten Jahr ein Thema.

Der heimische Bankensektor steht trotz der Rezession im zweiten Jahr relativ gut da. Wird sich daran etwas ändern?
Deuber: Aufgrund der sinkenden Zinslandschaft geht das Zinsaufkommen der Banken insgesamt gesehen zurück. Dieser Trend wird sich auch im kommenden Jahr fortsetzen. Auf der anderen Seite steigen wie angesprochen die Risikokosten. In der Vergangenheit hat der Bankensektor vom relativ hohen Anteil der variabel verzinsten Kredite profitiert, dieser Effekt läuft nun langsam aus. Solange die Leitzinsen nicht unter das Niveau von 1,5 Prozent fallen, was sich derzeit nicht abzeichnet, sollte die Ertragslage der Banken solide bleiben. 

In Österreich wird über eine neue Regierung verhandelt. Angesichts der relativ großen Budgetlöcher braucht es eine substanzielle Konsolidierung des Staatshaushaltes. Was tun?
Deuber: Ein Punkt wäre, die nicht einkommensabhängigen Maßnahmen der Vergangenheit wie den Klimabonus, das Klimaticket oder die generös gehandhabte Bildungskarenz zu überdenken. Das könnte den Staatshaushalt jährlich um einige Milliarden Euro entlasten. Weiters sollte man Doppelförderungen auf Bundes- und Landesebene durchforsten und reduzieren. Und vielleicht müssten die Gehälter im öffentlichen Dienst auch einmal unter der Inflation angepasst werden. Denn ein Job im öffentlichen Sektor ist weitaus sicherer als zum Beispiel im Industrie- oder Bausektor, wie die aktuelle Arbeitsmarktlage zeigt.

Gunter Deuber im Porträt
© RBI/EAP

Wo sehen Sie Wachstumsimpulse?
Deuber: Im Gegensatz zu Österreich sehen wir in Europa einen zarten Wachstumsaufschwung und eine relativ gute Konjunkturdynamik. Es gibt auch Beispiele, die zeigen, wie es besser gehen kann. Die Schweiz, die auch ein Industrieland ist, wird heuer zwischen 1 und 1,5 Prozent wachsen. Und auch die in Zentral- und Osteuropa schwächer wachsenden Volkswirtschaften dürften auf ein BIP-Plus von 1,5 bis 2 Prozent oder mehr kommen. Insoweit ist die Lage in Europa nicht ganz so dramatisch, wie man mit dem Blick aus Österreich meinen könnte. Und auch die US-Wirtschaft dürfte ihren Wachstumsvorsprung gegenüber dem Euroraum auch im kommenden Jahr beibehalten. Die Folgen der angekündigten Wirtschaftspolitik unter Donald Trump dürften erst 2026 dämpfend wirken. Insoweit gibt es durchaus Potenziale im Export, ob man die auch nützen wird können, ist aber eine andere Frage. 

Die EU hat vor einigen Tagen die Verhandlungen über das umstrittene Freihandelsabkommen mit den sogenannten Mercosur-Staaten – Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay – abgeschlossen. Die Umsetzung in der EU steht noch bevor. Was halten Sie davon?
Deuber: Es ist vorerst vor allem als ein Signal in Richtung Wirtschafts- und Geopolitik zu verstehen. Real gesehen wird diese Einigung der EU vorerst einmal nicht wirklich helfen. Der Widerstand gegen das Abkommen ist gerade von großen EU-Staaten wie Frankreich, Italien, Spanien, aber auch Polen groß. Und auch die Landwirtschaft befürchtet Nachteile. Dazu kommt, dass eine mögliche Implementierung des Abkommens wohl lange dauern dürfte. Insoweit ist das ein länger andauernder Prozess mit offenem Ergebnis. 

AusgabeRZ51-2024

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