Nach monatelanger Vorbereitung beginnt demnächst die Weltcup-Saison der alpinen Skifahrer. Wie schwierig ist es, genau am Tag X top vorbereitet zu sein?
Daniel Hemetsberger: Wir haben immer einen genau getakteten Plan. Angefangen mit Konditionstraining, um körperlich fit zu werden, dann geht es auf die Piste, wo es natürlich auch auf die Verhältnisse ankommt. Allerdings gilt: Wenn man zu den ersten Rennen schon eine super Form hat, ist es zu früh!
Ach so?
Hemetsberger: Sicher möchte man auch bei den ersten Rennen vorne mitfahren, klar. Aber es ist schwer, die Topform dann über einen langen Zeitraum zu halten. Im Idealfall ist es so, dass man ab den Bewerben in Gröden, Bormio, Wengen, Kitzbühel, also ungefähr ab Mitte Dezember, die Bestform hat. Das ist genau richtig.
Sie haben vergangene Saison gleich zu Beginn in Lake Louise mit einem Podestplatz zugeschlagen …
Hemetsberger: (lacht) „Leider“ ja. Das war super, aber danach habe ich den Faden verloren, meine Leistung nicht mehr so gebracht, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es gibt die ideale Technik und das ideale Skifahren, wenn ich das aber jetzt schon hätte, wäre es zu früh. Andererseits: Wenn man jetzt im Training richtig langsam ist, ist es auch nicht gut. Es kommt auf den Mittelweg an.
Sie sind mit 32 Jahren nicht mehr der Jüngste, haben schon ein paar Saisonen in den Knochen. Was sagt Ihr Bauchgefühl, wo stehen Sie gerade?
Hemetsberger: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt ganz schwer zu sagen. Wir haben in Chile (Anm.: Trainingslager) mit Aleksander
Aamodt Kilde und ein paar Schweizer Jungs trainiert. Nach diesen Eindrücken bin ich relativ sicher, dass ich bei meinem ersten Rennen in Zermatt konkurrenzfähig sein werde. Genauer kann ich es nicht sagen. Reden wir nach dem Rennen nochmal drüber …
„ich will auch heuer wieder besser sein als im Vorjahr.“
Daniel Hemetsberger
Die vergangene Saison war die beste Ihrer Karriere. Die meisten Punkte, 16. im Gesamtweltcup, zwei Podestplätze. Nimmt man so einen Schwung in die neue Saison mit?
Hemetsberger: Auf alle Fälle! Ich habe es Gott sei Dank geschafft, mich von Jahr zu Jahr zu steigern, immer einen Schritt nach vorne zu machen. Das nehme ich mit und will auch heuer wieder besser sein als im Vorjahr.
In den vergangenen Saisonen waren Vincent Kriechmayr und Matthias Mayer die Zugpferde im Speed-Team. Hat sich durch den überraschenden Rücktritt von Mayer während der vergangenen Saison etwas innerhalb des Teamgefüges geändert?
Hemetsberger: Groß nicht, aber Matthias geht schon ab. Er hatte extrem viel Erfahrung, hat jüngere Fahrer oder die, die neu dazu kamen, immer mit Rat und Tat unterstützt. Sein Fehlen ist nicht ganz so ideal. Aber Vinc macht es richtig gut und versucht, die Lücke zu schließen. Und ich bin auch ein bissl nachgerückt, obwohl ich trotz meines fortgeschrittenen Alters erst drei Weltcup-Saisonen gefahren bin.
Spüren Sie, dass sich Ihre Rolle verändert hat?
Hemetsberger: Das sollte schon so sein. Wenn wer etwas von mir braucht oder etwas wissen will, helfe ich natürlich gerne. Dann kann jeder auf mich zukommen. Ich von mir aus mache es allerdings selten, weil ich mich nicht aufdrängen will. Für mich ist das Wichtigste, gute Leistungen zu bringen und das Team dadurch zu entlasten.
Ist das nicht ein Balanceakt? Auf der einen Seite seid ihr innerhalb des ÖSV Konkurrenten, tretet aber doch als gemeinsames Team auf.
Hemetsberger: Der Teamgedanke steht im Vordergrund. Wenn du in einem kleinen Team bist, kannst du als Einzelkämpfer gut performen. Aber wir sind eine große Mannschaft, der interne Konkurrenzkampf beflügelt uns und macht uns stärker. Daher: Je besser das Teamgefüge ist, desto bessere Leistungen werden wir auch erbringen.
Sie haben mal gesagt, dass Hermann Maier und Stephan Eberharter Ihre großen Idole waren, zwei echte Legenden. Nun kommen Sie selbst in die Rolle, Vorbild für andere zu sein. Behagt Ihnen das?
Hemetsberger: Vorweg: Ich würde mich nie auf eine Ebene mit Maier oder Eberharter stellen, die waren um ein Eck erfolgreicher. Aber es wäre natürlich schön, mal in ihre Fußstapfen zu treten. Prinzipiell gehe ich entspannt damit um, ich will mir da keinen Druck machen.
„Jetzt ist es für alle neu, das ist vielleicht gar nicht schlecht für mich.“
Daniel Hemetsberger
Für die Riesentorläufer beginnt die Saison am kommenden Wochenende in Sölden, die Speedfahrer steigen am 11./12. November in Zermatt in den Weltcup ein. Eine ganz neue Piste, die kaum jemand richtig kennt…
Hemetsberger: … die Schweizer vereinzelt, aber 95 Prozent der Fahrer kennen sie nicht.
Wie gehen Sie es an?
Hemetsberger: Man hört ein paar Sachen, ich lasse es aber eher auf mich zukommen. Wenn es soweit ist, haben wir eine Besichtigung und drei Trainings, ich sehe dem entspannt entgegen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass ich mir leichter tu als alteingesessene Fahrer. Die profitieren sonst von ihrer Erfahrung auf anderen Strecken und hatten dadurch einen Vorteil mir gegenüber. Jetzt ist es für alle neu, das ist vielleicht gar nicht schlecht für mich.
Sie sagen, Sie haben sich von Saison zu Saison gesteigert. Nehmen Sie sich ein konkretes Ziel für 23/24 vor? Und geht das eher Richtung Gesamtwertung oder Einzelergebnisse?
Hemetsberger: Ich habe natürlich Ziele, man macht sich aber schnell einen Druck, wenn ich sage, dass ich in der Abfahrt in der Gesamtwertung Dritter sein will. Wenn man dann in den ersten zwei Rennen nicht gleich performt, rückt das Ziel in weite Ferne. Von daher ist meine Herangehensweise: nach Möglichkeit bei jedem Rennen aufs Podest. Wenn ich gut fahre und meine Sachen beieinander habe, kann das durchaus möglich sein. Was ich mir sonst noch vorgenommen habe, wissen nur mein Mentalcoach und ich.
Sie warten noch auf Ihren ersten Sieg im Weltcup. Kann es in dieser Saison so weit sein?
Hemetsberger: Das ist sicher ein Ziel! Da lügt sich auch jeder selbst an, wenn er sagt: Das ist nicht mein Ziel. Ich bin aber in den letzten drei Saisonen auch immer auf Sieg gefahren, habe es halt noch nicht geschafft. Es kann ohnehin nur gelingen, wenn man einen perfekten Tag erwischt. Gute Besichtigung, gute Linie, Topform. Es hilft aber nicht weiter, sich da auf etwas zu versteifen.
Stimmt es, dass Sie während der Saison keinen Tropfen Alkohol trinken?
Hemetsberger: Stimmt! Das ist für mich aber nicht schwierig. Ich kann damit besser leben, weil ich denke, dass Alkohol die körperliche Leistungsfähigkeit negativ beeinflusst. Wenn ich sage, ich habe die ganze Saison nichts getrunken, dann weiß ich, dass ich mir diesbezüglich nichts vorwerfen muss.
„Ich werde seit Beginn meiner Karriere von meiner Hausbank unterstützt.“
Daniel Hemetsberger
Aber mal angenommen, Sie würden die Streif gewinnen …
Hemetsberger: … okay, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich zwei, drei Bier trinken würde. Aber auch nur, wenn das nächste Rennen weit genug weg ist.
Raiffeisen ist im Ski-Zirkus kein Unbekannter, die meisten verbinden damit den schwarz-gelben Helm. Sie werden von der Privatbank Attersee-Süd gesponsert, weswegen Ihr Helm ein dunkelrotes Design hat. Wie taugt Ihnen das optisch?
Hemetsberger: Ich finde das geil, ja klar, man hebt sich damit ein bisschen ab. Ich werde seit Beginn meiner Karriere von meiner Hausbank unterstützt, kenne viele Mitarbeiter persönlich, das ist ein riesiger Vorteil. Die Unterstützung wird dadurch emotionaler. Ich bin sehr dankbar für die Zusammenarbeit und weiß, dass ich in guten Händen bin.
Es war zu hören, dass Sie ein paar spezielle Paar Skisocken haben, die für Sie als Glücksbringer fungieren. Was hat es damit auf sich?
Hemetsberger: (lacht) Ja, es gibt mehrere, die schon ein paar Löcher haben. Solange die nicht bei den Zehen sind, macht das aber nichts. Das Geheimnis ist: Je öfter man die Socken trägt und wäscht, desto geschmeidiger und besser zu tragen werden sie. Deswegen züchte ich mir meine Socken. Wenn ich neue bekomme, trage ich sie erst nur im Training, Rennsocken werden sie erst nach etwa zwei Jahren.