Esskultur im ständigen Wandel

Hanni Rützler sprach bei der Featuring Future Conference über das Spannungsfeld zwischen Konsumverhalten und Lebensmittelherstellung.

Die Sicherung des globalen Ernährungssystems stand im Mittelpunkt der u.a. von Agrana, LLI und RWA gesponserten Featuring Future Conference an der BOKU. Die besondere Rolle der Universitäten unterstrich in diesem Zusammenhang Robert Pichler vom Österreichischen Raiffeisenverband: „Um in Zeiten des voranschreitenden Klimawandels eine wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, braucht es Lösungsansätze aus der Wissenschaft, die in der Praxis umgesetzt werden können und die von Landwirten sowie von der Gesellschaft mitgetragen werden.“ Erforderlich sei dazu eine „gemeinsame Kraftanstrengung“ aller beteiligten Akteure. 

RWA-Vorstand Christoph Metzker bekannte sich im Rahmen der Konferenz zu einer nachhaltigen und sicheren Landwirtschaft in
Europa. Diese sei „angesichts häufiger werdender geopolitischer Konflikte notwendig, damit wir die Nahrungsmittelversorgung bei uns in Europa sicherstellen können.“

Markt oder Kunde?

Die Frage, wie man sich richtig ernähren soll, beschäftigt die Menschen seit Jahrzehnten. Ob tierisch oder pflanzlich, meist sind Diskussionen um das Essen von gesundheitlichen und moralischen Aspekten geprägt. Nicht weniger relevant ist: Wer entscheidet eigentlich, was wir essen – Markt oder Kunde? Dieser Frage widmete sich Hanni Rützler in ihrem Impulsvortrag bei der Featuring Future Conference an der BOKU.

Zur Beantwortung blickte die Ernährungswissenschaftlerin und Food-Trend-Expertin zunächst in die Vergangenheit: 1974 wurde in Äthiopien das 3,2 Millionen Jahre alte weibliche Skelett der Menschenaffen-Gattung Australopithecus afarensis gefunden. Der nach einem Beatles-Lied getaufte Sensationsfund namens „Lucy“ sei deswegen interessant, weil er Aufschluss über die Entwicklung der Esskultur gebe, so Rützler. So wurde zu Lucys Zeiten 50 Prozent des Tages gekaut – neben Blättern, Früchten und Kräutern auch Wurzeln. „Wir sind Jäger und Sammler und es ist die Vielfalt der Nahrungsmittel, die uns zum Menschen gemacht hat“, ist die Expertin überzeugt.

Ein Beleg dafür sei die Entwicklung des Gehirns: So war dieses beim Homo erectus vor 1,9 Mio. Jahren 1.000 cm3 groß. Bei unserem direkten Vorfahren, dem Homo sapiens, war es auf 1.400 cm3 gewachsen. Auch das Feuer und die Kulturtechnik des Kochens hätten neue Möglichkeiten eröffnet und beim Hirnwachstum ganz massiv mitgespielt. „Wir sind Omnivore“, betonte Rützler, also Allesesser.

Food-, Produkt- oder Brachentrends?

So wie sich die Ernährung der prähistorischen Menschen immer weiter entwickelte, so tut sie das durch ständigen Wandel und aufgrund von Krisen bis heute. In diesem Zusammenhang kam Rützler auf ihr Kernthema zu sprechen: Food-Trends. Der Begriff werde nahezu inflationär verwendet, unterscheide sich jedoch von Produkt- oder Branchentrends. „Food Trends sind Antworten auf Wünsche, Probleme und Sehnsüchte und entstehen meist in Nischen“, erklärte die 62-Jährige. Ein Merkmal sei auch die vergleichsweise lange Lebensdauer von fünf bis zehn Jahren.

Als Beispiel präsentierte Rützler den Trend-Cluster Nachhaltigkeit und erklärte: „Flexitarismus etwa wird vom Wunsch nach gesunder Ernährung angetrieben. Beim Veganismus geht es meist darum, das Leid der Tiere zu mindern.“ Beide hätten jedenfalls den Trend zu pflanzenbasierten Lebensmitteln vorangetrieben. Dem gegenüber stünden die Vegourmets, die vegetarisch oder vegan ohne Ersatzprodukte leben, und die Real Omnivores, die offen für neue Lösungen wie in-vitro-Fleisch, Insekten, Algen oder Schnecken sind. Darüber hinaus nannte Rützler die sogenannten Carneficionados: „Gemeint ist hier eine neue Liebe zum Fleisch.“ Zwar mit weniger, dafür bewussterem Konsum und mehr Fokus auf Qualität und Nachhaltigkeit.

Innovative Trends gegen Verschwendung

Abschließend sprach Rützler noch Lebensmittelverschwendung an. „Wir schmeißen ein Drittel weg, das ist verrückt. Aber da passiert was“, verwies sie auf den Zero Waste Trend, der darauf abzielt, auch vermeintlichen Abfall zu verwerten. Die Firma Kern Tec aus Herzogenburg etwa stellt aus 500.000 Tonnen ungenutzten Obstkernen Milch-Alternativen, Gourmet-Öle oder Nuss-Cremes ohne Nuss her. Stichwort Nuss: Das Schweizer Unternehmen Re-Nut verarbeitet bei der Herstellung von nusshaltigen Lebensmitteln die Schalen mit und zählt damit zum Circular Food Trend.

Eingehend auf die Ausgangsfrage resümierte Rützler, dass diese zu kurz greife: „Es geht nicht um Angebot und Nachfrage. Im Alltag steht zwar jeder vor der Wahl, was esse ich, wann esse ich, wie esse ich. Ich würde Ihnen zuerst einmal das Wie ans Herz legen.“ Es brauche klare Zukunftsbilder im Inneren von Unternehmen und Inspiration durch Food Trends von außen.

AusgabeRZ23-24

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