Wer war Toni? 

Begnadeter Komponist, Musiker und Inspiration für Kunstschaffende. Das „Nordico Stadtmuseum“ begibt sich in Linz mit der Ausstellung „It’s me, Toni“ auf die Spuren von Anton Bruckner.

Vom Biografen zum streng katholischen (oftmals bigott dargestellten) „Musikant Gottes“ verklärt, von den Neonazis als arischer Musiker instrumentalisiert und nach wie vor noch heute dafür bekannt, patschert im Umgang mit Frauen gewesen zu sein. Anton Bruckner hat im Laufe seines (Nach-)Lebens eine Vielzahl an Zuschreibungen erfahren. Das Linzer Stadtmuseum „Nordico“ spürt diesen nach und fragt, wer war dieser Komponist, der sich über Oberösterreich hinaus international einen Namen machen konnte? 

Bruckner und der Tod

Die Antwort fällt für die Besucher der sich über sechs Räume erstreckenden Schau bewusst facettenreich aus. In „It’s me, Toni“ können sich Neugierige auf die Lebensspuren des begnadeten Orgelimprovisators und sozialen Aufsteigers Anton Bruckner begeben und dabei tief in dessen Privatleben eintauchen.

Die aus der Bruckner-Erforschung gewonnenen Erkenntnisse werden im Rahmen der Präsentation von Bruckner-Experten betont subjektiv vermittelt. So befinden sich in der Ausstellung unter anderem sieben Video-Interviews mit Menschen, die sich im Laufe ihres Lebens intensiv mit Bruckner befasst haben. Offenkundig wird in den Interviews spekuliert und auch das eigene voyeuristische Empfinden thematisiert. So ließ beispielsweise der Autor, Künstler und Musiker Florian Sedmak im Zuge seiner Recherche zu seiner Publikation „Dickschädels Reisen. Mit Anton Bruckner durch Oberösterreich. Zum 200. Geburtstag“ ein Geburtshoroskop des Komponisten erstellen, während der wissenschaftliche Leiter des Anton-Bruckner-Instituts-Linz (ABIL), Klaus Petermayr, sich schockiert darüber zeigt, dass Bruckner sich einst ein Stück aus demselben Fleisch schneiden ließ, welches dem Frauenmörder Hugo Schenk als Henkersmahlzeit serviert wurde. Würde Bruckner im Heute leben, wäre er laut Petermayr wahrscheinlich ein leidenschaftlicher Kronen-Zeitung-Leser gewesen. 

Doch inwieweit ist Bruckners Liebe für das Extreme und seine Faszination für den Tod aus seiner Biografie heraus zu erklären? In ihrer, in die Ausstellung eingebetteten Graphic Novel „Der wahre, beste Freund“ beschäftigt sich Cleo Rinhofer mit der sich in der Gesellschaft heute veränderten Wahrnehmung des Todes im Vergleich zu Bruckners Zeiten. Als Mensch des 19. Jahrhunderts, der bereits in seiner Jugend zahlreiche familiäre Todesfälle erleben musste (Bruckner verlor mit 13 Jahren seinen Vater und überlebte mehrere seiner jüngeren Geschwister), stellt sich für die Illustratorin die Frage, ob „wir in dieser Hinsicht vielleicht zu schnell über Bruckner geurteilt haben“. 

Bruckner und die Frauen

Ebenso schwer lässt sich für uns heute auch Bruckners Umgang mit den Frauen eindeutig erschließen. Wie sehr sich der Zeit seines Lebens Unverheiratete tatsächlich gewünscht hatte, eine eigene Familie zu gründen, muss im Bereich des Spekulativen bleiben. Überliefert hat sich ein jedenfalls eher ungeschickter Umgang des Musikers mit dem weiblichen Geschlecht.

Dementsprechend tänzelt Bruckner in Laura Weiss’ Comic „Allerweil ein bisschen verliebt“ auf dem schmalen „Grat zwischen patschert und aufdringlich“ umher. Die Palette der überlieferten und von Weiss aufgegriffenen Anekdoten reicht von aufdringlichen Handküssen über einen Heiratsantrag des 66-jährigen Bruckner an die 19-jährige Tochter einer ehemaligen, ihn ebenfalls verschmähenden früheren Liebe, bis hin zur Begrüßung weiblicher Gäste mit weißem Handschuh an Beichttagen.

Noch weiter geht Stefanie Hilgarth mit ihrem ebenfalls für die Ausstellung entstandenen (und im Shop auch käuflich zu erwerbenden) Comic „Antonine“, in dem sie sich mit der Frage beschäftigt, was aus Bruckner geworden wäre, würde er heute als Frau leben. Geht es nach der zu Recherchezwecken befragten KI, würde sich Bruckner aktuell für den Klimaschutz und die Rechte der Frau einsetzen. Eine Interpretation, die von der Illustratorin allerdings bestritten wird. Fest steht, dass Bruckner zu seiner Zeit als Frau nicht nach St. Florian – eine Ausbildungsstätte, die für seinen weiteren Schaffensweg von enormer Bedeutung war – gekommen wäre.

Immer wieder kehrte er im Laufe seines Lebens in das Stift zurück. Unter der Orgel befindet sich noch heute die letzte Ruhestätte des für viele wegweisenden Komponisten. Besonders auf die Filmmusik hätte er laut Edith Wregg, Dozentin an der MUK Uni Wien, und dem Komponisten und Musiker Peter Androsch einen maßgeblichen Einfluss ausgeübt. 

Bruckner und die Kunst

Dass Bruckner auch Künstler zu inspirieren weiß, verdeutlicht in der Ausstellung die „Näherungsorgel“ der österreichischen Künstlerin Heike Kaltenbrunner. Das Instrument vereint Pfeifenorgel mit Theremin und reagiert auf die Annäherung der Besucher. Mit der „Brucknerharfe“ von Silke Müller und Marc9 wird zudem durch einen Saitenzug in einem Scherenschnittporträt des Musikers ein typischer Bruckner-Akkord erzeugt. In der Ausstellung sind zudem Arbeiten von Peter Androsch, Silke Grabinger, Gregor Graf, Anton Kehrer, Annerose Riedl, Peter Sengl und Helga Traxler zu sehen. 

Nicht fehlen dürfen natürlich auch originale Artefakte sowie historische Dokumente. Zu den skurrilsten Dingen zählt ein Stück vom vermeintlichen Haupthaar Anton Bruckners, der entgegen der Mode der damaligen Zeit nie Bart getragen hat. Noch bis Anfang März sind die Besucher dazu eingeladen, sich selbst ein Bild zu machen. Ein Bild, das sich – auch wenn laut Florian Sedmak in der Brucknerforschung keine neuen Erkenntnisse auftauchen werden – im Laufe der Geschichte doch noch verändern wird. „It‘s me, Toni“ bietet eine wunderbare Gelegenheit, sich mit Bruckner als Person vertraut zu machen und lädt dazu ein, darüber nachzudenken, wie wir mit Geschichte und Geschichten umgehen. 

AusgabeRZ39-2024

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