Auf zu neuen Ufern

Es gibt wenig Gründe zum Jubeln. Aber sehr viele, „Trotzdem“ zu sagen, findet der österreichische Kabarettist Thomas Maurer und bestreitet ab 8. Oktober im Wiener Stadtsaal sein neues Soloprogramm.

Rund 30 Kabarettprogramme hat der österreichische Autor, Schauspieler und Kabarettist im Laufe seiner Karriere mittlerweile auf die Bühne gebracht. In seinem aktuellen Soloprogramm überlegt der gelernte Buchhändler dem aktuellen Zeitgeist entsprechend, ob manch Aussage von Spitzenpolitikern das Produkt von ChatGPT sein könnte, warum artifizielle Intelligenz weitgehend für die Erzeugung artifizieller Idiotie eingesetzt wird und fragt: „Haben Sie auch schon einmal, wenn Ihr Smartphone die Wochenbildschirmzeit anzeigt, gedacht ‚Das muss ein Irrtum sein?’“ Lautet die Antwort ja – dann könnte dieser Abend, laut Thomas Maurer, etwas für Sie sein. 

Herr Maurer, es heißt bekanntlich „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“. Sie behandeln in Ihrem neuen Programm die Klimakrise, Künstliche Intelligenz und die Aussagen des einen oder anderen Spitzenpolitikers. Gibt es Dinge, die als Kabarettist tabu sind oder kommt es letztendlich immer „nur“ auf das Wie und den Ton an?
Thomas Maurer: Grundsätzlich finde ich ja, dass man über alles und alle Witze machen kann, darf und soll. Wenn man es extra auf Konfrontation anlegt, darf man danach halt nicht jammern, wenn man Kontra kriegt. Und natürlich sollte man immer zuerst das eigene Nest beschmutzen, schon weil man da die Leute, die Mechanismen und die wunden Punkte am besten kennt und am wenigsten gefährdet ist, depperte Klischees zu reproduzieren.

Es ist mittlerweile über 35 Jahre her, seit Sie 1988 zum ersten Mal mit einem Kabarettprogramm in die Öffentlichkeit getreten sind. Wir sind heute auf der einen Seite mit zunehmender Political Correctness konfrontiert, andererseits herrscht hohe Salonfähigkeit, wenn es um Rassismus, Frauenhass etc. geht. Vor allem im Netz. Hat sich der Gegenwind über die Jahre verschärft? Wie gehen Sie mit Anfeindungen via sozialer Medien um? Welche Rolle spielen diese generell für Sie? 
Maurer: Dass sich mit der sogenannten „Wokeness“ eine teilweise lachhafte Überempfindlichkeit in manche Debatten eingeschlichen hat, ist genauso Tatsache wie dass der Diskurs inzwischen so weit nach rechts gerutscht ist, dass man zum Beispiel sogar die gutbürgerlich-gesellschaftsliberalen Grünen als linksextrem bezeichnen kann, ohne umgehend und einhellig ausgelacht zu werden. Und, umgekehrt, aus Machträson, Herbert Kickl zum „Bürgerlichen“ umhalluziniert wird. Betroffen davon bin ich aber in erster Linie als Staatsbürger, wie alle anderen auch. Als Kabarettist habe ich, finde ich, Stimmungen eher zu analysieren als ihnen zu folgen. Und das Gleiche gilt für die „sozialen“ Medien. Ich schau mir das an, lebe aber nicht dort. Dass meine Abende in der Regel Stückcharakter haben und sich daher für TikTok-Schnipsel nicht unbedingt anbieten, könnte man als Nachteil sehen. Ich hoffe aber darauf, dass es immer noch genug Menschen als Qualität empfinden, von einem Bühnenabend unterhalten, aber auch ein bisschen gefordert und vielleicht sogar überrascht zu werden.

Am beängstigsten in unserer heutigen Zeit erscheint mir, dass viele Demokratie offenbar als alten grauen Mantel betrachten. Warum gehört Demokratie Ihrer Meinung nach nicht in die Altstoffsammlung?
Maurer: Weil wir, bei allen eingebauten Fehlern – und das stupid kurzsichtige Denken in Legislaturperioden ist da vielleicht der wichtigste – schlicht keine bessere Methode haben, gesellschaftliche Verwerfungen darzustellen und gegebenenfalls auszugleichen. Und wie kostbar allein die Möglichkeit ist, Fehlentscheidungen nach ein paar Jahren zu korrigieren, sehen wir zum Beispiel gerade in Ungarn, wo diese Möglichkeit fast nur noch theoretisch besteht. Dass gar nicht wenige bei uns das auch so haben wollen, ist erschreckend. Umso wichtiger ist es, darauf zu bestehen, dass Demokratie etwas fundamental anderes ist als die unumschränkte Herrschaft der stärksten Partei.

Als Staatskünstler treten Sie regelmäßig mit Florian Scheuba und Robert Palfrader auf? Was sind für Sie die Unterschiede, ob man als Solokünstler arbeitet oder mit mehreren Personen ein Programm entwickelt beziehungsweise auf der Bühne agiert? 
Maurer: Die Unterschiede im Arbeitsprozess sind eklatant, und das ist ein Grund, warum ich so gerne zwischen Solo und Teamarbeit wechsle. Allein kann man besser privaten Spinnereien und Abseitigkeiten nachgehen, allerdings um den Preis, stundenlang auf seinem Hintern vor einem blanken Bildschirm zu sitzen. Miteinander schreiben ist ein sehr kommunikativer Prozess, bei dem alle Kompromisse machen und am Schluss etwas herauskommt, dass niemand von den Beteiligten allein genauso gemacht hätte. Und das ist natürlich eine Qualität für sich.

Die Premiere von „Trotzdem“ findet im Wiener Stadtsaal statt. Sie touren mit dem Programm aber natürlich auch durch die Bundesländer? Gibt es Pointen, die hier funktionieren und dort nicht? 
Maurer: Der Unterschied zwischen Auftritten in der Stadt und auf dem Land ist kleiner als der Unterschied zwischen einer guten und einer sehr guten Vorstellung. Es ist nicht so, dass die Zuschauer in den Bundesländern alle gerade vom Melken oder Heumachen kämen. Ein verlässlicher Bringer ist es aber, wenn der Dialekt des jeweiligen Bundeslandes im Programm vorkommt.

Gehen Sie die Sachen heute anders als noch vor 35 Jahren an? Inwieweit ist das Älterwerden für sie ein Grund, jetzt erst recht oder eben „Trotzdem“ zu sagen? 
Maurer: Obwohl ich mittlerweile sehr viel mehr darüber weiß, wie man so ein Kabarettprogramm anlegen kann, hat sich nichts daran geändert, dass ich am Anfang immer wieder das Gefühl habe, das Rad neu erfinden zu müssen. Das hat aber auch damit zu tun, dass ich von mir nach wie vor erwarte, mit jedem Programm irgendwo zu landen, wo ich davor noch nicht war.

AusgabeRZ40-2024

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