IV: „Die Zeiten von Bequemlichkeiten sind vorbei“

Österreichs Industrie kämpft mit zu hohen Kosten und einer überbordenden Bürokratie. Von der künftigen Bundesregierung fordert IV-Präsident Georg Knill mutige Reformen für den Standort, damit Österreich wettbewerbsfähiger wird.

Der Wirtschaftsstandort Österreich steht seit geraumer Zeit unter Druck. Nach zwei Rezessionsjahren soll es den Wirtschaftsforschern zufolge heuer konjunkturell mit einem Wachstum von 0,5 Prozent etwas besser laufen. Von der anhaltenden Konjunkturschwäche und den geopolitischen Spannungen ist vor allem die Industrie stark getroffen, die sich im dritten Rezessionsjahr befindet. „Wir leiden unter mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, hervorgerufen durch zu hohe Kosten bei Arbeit, Energie und Bürokratie“, betont Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), bei seinem wirtschaftspolitischen Jahresauftakt. 

Produktionsrückgänge, Betriebsschließungen und Mitarbeiterabbau hätten sich vor allem Ende 2024 zunehmend gehäuft. Im Dezember 2024 verzeichnete die produzierende Wirtschaft einen Anstieg der Arbeitslosenquote um 17,8 Prozent. „Deindustrialisierung findet statt“, mahnt Knill. 2023 und 2024 habe Österreich bereits 6,8 Prozent der industriellen Wertschöpfung verloren. Daher müsse die kommende Bundesregierung dieser Entwicklung energisch gegensteuern. „Unser eindringlicher Appell ist, ganz rasch und massiv klare Signale zu setzen, damit Österreich wirtschaftlich wieder nach vorne kommt“, so Knill. Das sei besonders für die Industrie wichtig, die für rund eine Million Beschäftigte und 25 Prozent der österreichischen Bruttowertschöpfung stehe.

Aus dem Markt gepreist

Als eine der Hauptaufgaben wird die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gesehen. 2025 wird das weltweite Wirtschaftswachstum auf 3 Prozent prognostiziert. „Wir in Österreich nehmen an diesem Weltwachstum nicht mehr teil, weil wir uns aus dem Markt gepreist haben“, so der IV-Präsident. Daher sei es für die heimische Industrie entscheidend, bei den Lohnstückkosten preislich wieder herunterzukommen, etwa durch geringere Energiekosten oder den Abbau von Überregulierung. 

Den vorsichtigen Optimismus der Wirtschaftsforscher für das laufende Jahr teilt der IV-Präsident grundsätzlich. Allerdings stehe dieser unter zwei Prämissen: der Entwicklung des US-Außenhandels nach der Inauguration von US-Präsident Donald Trump sowie dem Konsolidierungspfad des österreichischen Staatsbudgets. Trump sei das US-Handelsdefizit mit der EU ein Dorn im Auge. Sollten die angekündigten US-Zölle für importierte Produkte in der Höhe von 10 Prozent kommen, bedeute dies für das europäische BIP einen Verlust von kumuliert 420 Mrd. Euro für die nächsten vier Jahre. Vor allem exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland und Österreich wären von so einer Entwicklung besonders betroffen. „Wir alle wissen, Österreich lebt vom Export. Wir verdienen sechs von zehn Euro im Ausland. Das wird sich auch in einem neuen Regierungsprogramm ganz klar widerspiegeln müssen“, fordert Knill. Vor diesem Hintergrund werde der österreichischen Außenpolitik, aber auch einer weiterhin starken Stimme Österreichs in der EU eine wichtige Rolle zukommen.

IV-Präsident Georg Knill
IV-Präsident Georg Knill © IV

Belastungen vermeiden

Angesichts des hohen Budgetlochs von über 6 Mrd. Euro für heuer, „das für uns alle überraschend gekommen ist“, müsse ein entsprechender Konsolidierungspfad „intelligent und nachhaltig“ aufgesetzt werden, mahnt der IV-Präsident. Knill pocht vor allem auf eine ausgabenseitige Budgetsanierung: „Wir dürfen die Unternehmen und die Wirtschaft nicht weiter zusätzlich belasten und damit ein zartes Pflänzchen des Wachstums wieder abwürgen.“ Zu einem „smarten“ Konsolidierungsplan zählt der Interessenvertreter eine zielgerichtete Ausgabenkürzung im Staatshaushalt, etwa im Förderwesen. Österreich liege mit einer Förderquote von 7,5 Prozent gemessen am BIP deutlich über dem EU-Durchschnitt von 5,7 Prozent. „Allein die Reduktion auf das europäische Niveau würde ein Konsolidierungspotenzial von rund 8,5 Mrd. Euro bringen“, rechnet Knill vor. Zudem gelte es auch die Effizienz, etwa im Gesundheits- und Bildungsbereich, weiter zu steigern, ohne allerdings das Leistungsspektrum einzuschränken. 

„Allein die Reduktion auf das
europäische Förderniveau würde ein
Konsolidierungspotenzial von
rund 8,5 Mrd. Euro bringen.“

Georg Knill

Bei den ersten Koalitionsgesprächen zwischen FPÖ und ÖVP haben sich die beiden Parteien auf eine Budgetsanierung innerhalb von sieben Jahren geeinigt, wobei heuer konkret 6,4 Mrd. Euro eingespart werden sollen. Damit könnte das Budgetdefizit auf unter 3 Prozent des BIP gedrückt und ein EU-Defizitverfahren verhindert werden. In so einem Verfahren gibt die EU-Kommission einen Pfad vor, wie ein Defizitstaat die Verschuldung in den nächsten Jahren abbauen soll. Um das Verfahren zu verhindern, muss rasch ein glaubwürdiger Sanierungsplan nach Brüssel geschickt werden. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und IHS-Direktor Holger Bonin haben sich dagegen für ein EU-Defizitverfahren gegen Österreich anstatt eines radikalen Sparkurses ausgesprochen, damit die Konjunktur nicht abgewürgt wird. Eine sprunghafte Reduktion des Defizits auf die Maastricht-Höchstgrenze von 3 Prozent würde laut aktueller Wifo-Prognose das Wachstum um 0,5 bis 1 Prozentpunkt dämpfen. 

Bonität in Gefahr

Dass die Zeit drängt und die Herausforderungen groß sind, zeigt auch die aktuelle Analyse der US-Ratingagentur Fitch. Sie hat zwar ihre „AA+“-Bonitätsnote für Österreich bestätigt, der Rating-Ausblick wurde aber von „stabil“ auf „negativ“ gesenkt. Mit einem negativen Rating-Ausblick droht Österreich nun eine Herabstufung in näherer Zukunft. Dadurch könnte sich auch die Aufnahme neuer Staatsschulden verteuern. Als Hauptgründe für den geänderten Ausblick führte die Ratingagentur unter anderem ein höher als erwartetes Budgetdefizit 2024, eine Verschlechterung des makroökonomischen und fiskalpolitischen Ausblicks sowie das drohende EU-Defizitverfahren an. Ohne eine Haushaltskonsolidierung der künftigen Regierung wird sich Fitch zufolge das staatliche Budgetdefizit heuer auf 4 Prozent des BIP erhöhen. Sollte es keine Sparmaßnahmen geben, droht ein Anstieg des öffentlichen Schuldenstands auf bis zu 85 Prozent des BIP im Jahr 2028. Zum Vergleich: 2024 beliefen sich die österreichischen Staatsschulden auf 79 Prozent des BIP.

Auf den Kapitalmärkten ist von dieser Entwicklung noch wenig zu spüren. „Prinzipiell sehen wir die Risikoprämien für die Republik Österreich bei zehnjährigen Benchmarkanleihen mit aktuell ca. 40 bis 50 Basispunkten gegenüber deutschen Bundesanleihen derzeit auf einem fairen Niveau gegenüber Ratingpeers“, betont Raiffeisen Research. Des Weiteren sei angesichts eines weiteren Rückgangs der Anleihekäufe durch die Europäische Zentralbank sowie generell erhöhter Defizit- und Emissionsvolumina in Europa sowie einer gestiegenen Zinsmarktvolatilität auch mittelfristig mit leicht erhöhten Staatsanleihenspreads im Vergleich zu Zeiten der Niedrigzinsen und umfassenden EZB-Anleihekäufe zu rechnen. „Insofern sollte selbst eine fiskalische Konsolidierungsstrategie einer neuen Bundesregierung die Risikoprämien der Republik kurz- und mittelfristig nicht deutlich niedriger ausfallen lassen“, ist man bei Raiffeisen Research überzeugt. 

Hohe Steuerquote

Trotz der angespannten Budgetlage will Knill mittelfristig aber auch bei einer Entlastung bei der Steuer- und Abgabenquote festhalten. Diese betrage in Österreich fast 44 Prozent. Ziel muss es sein, in den nächsten fünf Jahren unter 40 Prozent zu kommen, wie in der Vergangenheit von zahlreichen Bundesregierungen angestrebt. „Wenn ich in meinem Unternehmen mit den Ausgaben nicht zu Rande komme, muss ich sparen und effizienter werden. Das Verständnis dafür ist in der Bevölkerung wesentlich weiter, als es in der Politik ist“, so Knill. 

Ein dringender Punkt sei die Entlastung der Unternehmen von unnötigen Berichtspflichten, so Knill. Dies koste den Staat nichts, würde aber den Unternehmen aber extrem viel bringen. Berechnungen gehen von 10 bis 15 Mrd. Euro an jährlichen Kosten für die Wirtschaft aus. „Das ist ein Hemmschuh für das Wachstum“, betont IV-Generalsekretär Christoph Neumayer. Österreichische Unternehmen geben im Durchschnitt rund 2,5 Prozent ihrer Umsatzerlöse für die Einhaltung bürokratischer Vorschriften aus. Das sei Geld, das auch in Investitionen gehen könnte. Um die Bürokratie einzudämmen, bräuchte es wieder eines Deregulierungsgrundsatzgesetzes, wie es Österreich schon einmal hatte. Damit könnte man das abstrakte Thema Bürokratie transparent und angreifbar machen, mit dem Ziel, die Unternehmen zu entlasten. 

„Eine neue Bundesregierung muss es schaffen, Vertrauen in den Standort zurückzugewinnen. Es braucht einen transparenten Weg, der nachvollziehbar ist, wohin dieses Land entwickelt werden soll“, fordert Neumayer. 

Ohne Strukturreformen werde eine langfristige Absicherung des Wirtschaftsstandortes und des Sozialstaates Österreich nicht möglich sein, ist der IV-Präsident überzeugt. Daher müsse man auch heiße Themen wie Pensionen, den Arbeitsmarkt oder den Föderalismus angehen. „Wir müssen jetzt konsequente Schritte setzen, wenn wir ein drittes Rezessionsjahr abwenden möchten“, so Knill. Beim Föderalismus etwa könne man Milliardenbeträge holen. Es gebe einen Wirrwarr an unterschiedlichen Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. „Das gehört entwirrt, entflochten und entknotet. Das ist mühsam, aber wir können es uns nicht leisten, so viele Ineffizienzen und Milliardenbeträge der öffentlichen Hand liegenzulassen. Die Zeiten von Bequemlichkeiten sind vorbei“, so Knill. 

Regierung bis Februar möglich

Von den Koalitionsverhandlungen zwischen der FPÖ und ÖVP erwartet sich Knill ein starkes Standortprogramm. „Jede Maßnahme, die im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit nicht gesetzt wird, wird die Rezession verlängern. Wir würden eine rasche Regierung brauchen, aber es geht um Inhalt vor Zeitpunkt“, bringt es der IV-Präsident auf den Punkt. Angst sei jetzt ein falscher Begleiter. Aus seiner Sicht könnte eine Regierung relativ rasch nach vier bis sechs Wochen stehen. Es sei viel Vorarbeit in den Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP, der SPÖ und den NEOS erfolgt. „Ich gehe davon aus, dass wir im Februar ein fertiges Regierungsprogramm haben können“, so Knill. Dabei sollten auch unpopuläre Maßnahmen in Angriff genommen werden. Denn: „Es geht jetzt um die nachhaltige Ausrichtung des Landes für die kommenden Jahre und Jahrzehnte. Dafür braucht es Mut und Zuversicht“, gibt Knill den Parteien mit.

Zu roten Linien in der EU-Politik hält Knill fest, dass man „in manchen Punkten eine berechtigte Kritik an der EU“, Stichwort Bürokratie, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, teile. Aber man müsse diese Sorgen als starke Stimme Österreichs innerhalb der EU ansprechen – und nicht von außen. „Wir müssen weiter am Zukunftsprojekt Europa mitarbeiten und auch daran glauben“, ist der IV-Präsident überzeugt. Zur Außenwirkungen einer möglichen FPÖ-Kanzlerschaft rät der IV-Präsident zu mehr Gelassenheit: „Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.“ Ein Blick nach Italien, wo es ebenfalls einen Rechtsruck gegeben hat, zeige, dass sich die wirtschaftliche Positionierung des südlichen Nachbarn gebessert habe. „Es liegt an dieser Regierung, klare Antworten auf diese Sorgen zu finden und dies zu entkräften“, sagt der IV-Präsident.

AusgabeRZ3-2025

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