Führen ist die schwierigste Aufgabe in einem Betrieb, weil Führung eine Querschnittsmaterie ist. Dabei lässt sich das Fachliche erlernen – doch eine abgerundete Persönlichkeit und gute Kommunikation sind unerlässlich“, sagt die frühere Politikerin und Industriemanagerin Brigitte Ederer bei der Podiumsdiskussion von „Zukunft.Führen“ im JO Congress in St. Johann im Pongau. Mit ihr diskutierten Anna Doblhofer-Bachleitner, Mitglied der Geschäftsleitung des Raiffeisenverbandes Salzburg (RVS), sowie Jungunternehmerin Julia Gehmacher, die den Familienbetrieb in der Mozartstadt übernommen hat.
Doblhofer-Bachleitner griff das Stichwort Kommunikation auf und erklärte: „Ein offener Umgang ist so wichtig. Im Verband haben wir in den vergangenen Monaten vier Grundsätze formuliert, nach denen wir handeln. Einer davon lautet ,aufrichtig‘. Was einfach klingt, ist schwierig, gerade in unangenehmen Situationen. Doch Konflikte unterschwellig schwelen zu lassen, kann Teams kaputtmachen. Führung ist keine Schönwetter-Aufgabe. Sie braucht Klarheit.“ Alle drei Frauen kennen ein gewisses „Stille-Post-Syndrom“, bei dem sich Informationen im Unternehmen eigene Wege bahnen und die Botschaft von Station zu Station immer vager wird.
Schnell lernen
Doch wie sind die Frauen am Podium in ihre Führungspositionen gekommen? Doblhofer-Bachleitner erinnert sich an einen Professor an der Universität, den sie als starken Förderer erlebt hat. Er habe sie schnell in die Verantwortung genommen und ihr Möglichkeiten für Publikationen eröffnet. „Als ich ihm gesagt habe, dass ich keine wissenschaftliche Karriere anstrebe, hat er zum Hörer gegriffen und drei ihm bekannte Geschäftsführer angerufen. Ihnen hat er gesagt: ‚Wenn du gescheit bist, holst du diese Frau‘“, berichtet die erste Geschäftsleiterin im Raiffeisenverband.
Eine ganz andere Geschichte erzählt Julia Gehmacher. Sie sei ins kalte Wasser geworfen worden, als sie den elterlichen Traditionsbetrieb übernehmen sollte. Dieser besteht seit 1893 in der fünften Generation und bietet Schönes in Sachen Zuhause und Mode; außerdem gehört ein Café dazu. Direkte Vorbilder im Führen fehlten ihr – bis auf die Eltern eben. „Ich habe versucht, schnell zu lernen. Etwa durch Bücher und durch Expertinnen oder Experten.“ Der Rest war offensichtlich stark vom Motto „learning by doing“, also Lernen durch Handeln, geprägt, wie sie berichtete. Seit der Pandemie ist Gehmacher von zehn auf rund 40 Mitarbeitende gewachsen.
Gutes Maß Bauchgefühl
Ganz andere Dimensionen kennt Brigitte Ederer. Nach ihrem Ausscheiden aus der Politik im Jahr 2000 wechselte die Wegbereiterin für den EU-Beitritt Österreichs in den Vorstand der hiesigen Siemens AG. Fünf Jahre später trat sie ihren Posten als Generaldirektorin und Vorstandsvorsitzende an, bevor sie 2010 in den Vorstand der Siemens AG in München wechselte. Dort leitete sie den Bereich Corporate Human Resources und betreute die Wirtschaftsregion Europa. Zu diesem Zeitpunkt war sie Führungskraft für rund 300.000 Menschen. „Natürlich kennt man diese Menschen nicht alle. Umso wichtiger ist es, das unmittelbare Umfeld gut zu kennen. Das sind bestenfalls 20 Frauen und Männer. Gerade unter solchen Vorzeichen war ich gut beraten, mir diese 20 aufmerksam auszusuchen.“
Bei ihrer Auswahl legte Ederer ein Hauptaugenmerk auf das Fachliche – das Menschliche lag ihr mindestens ebenso am Herzen. Vor den rund 100 Raiffeisen-Führungskräften im Saal in St. Johann berichtete sie über ihr Vorgehen. In erster Linie bestand dieses aus „fragen, fragen, fragen“, denn im Bewerbungsgespräch könnten sich Menschen durchaus verstellen, „aber nicht drei Stunden lang“. Ederer habe etliche Auswahlprozesse durchgeführt und sich bei Entscheidungen selten geirrt. Wohl auch deshalb, weil sie ein gutes Maß Bauchgefühl mitentscheiden lassen hat. „Mein Kriterium war, ob ich mit der Person nach Dienstschluss noch gern auf ein Bier gehen würde. Ich habe brillante Köpfe kennengelernt und meine eigene Frage bei ihnen nicht immer mit einem Ja beantworten können.“ Ihr Fazit: Selbst, wenn die fachliche Expertise noch so hoch war, brauche Führung das Menschliche. Wie es um dieses bestellt war, erfuhr Ederer durch ihre „fragen, fragen, fragen“-Taktik.
Blickwinkel ändern
Die Vorteile einer genossenschaftlichen Struktur gegenüber einem Weltkonzern wie Siemens spricht der Moderator der Diskussion und Leiter der Personalabteilung im Raiffeisenverband Salzburg, Markus Winkelmeier, an. Anna Doblhofer-Bachleitner gab mit Blick auf die interne Kommunikation zu bedenken, dass jede Bank diese für sich gut löse. Aber selbst ihr als Führungskraft sei es schon passiert, dass sie sich lange mit einer Information beschäftigt habe und davon ausgegangen sei, dass die Inhalte längst für alle bestens bekannt waren. Doch weit gefehlt: „Viele Leute hatten noch nie von dem gehört, was ich offenbar voraussetzte. Da habe ich gelernt, meinen Blickwinkel zu ändern und mich selbst immer wieder zu hinterfragen und zu reflektieren, um mit offenen Augen und Ohren in Gespräche zu gehen.“
Beim Stichwort Reflexion betonte Julia Gehmacher, dass sie den Willen und den Mut zur Selbstreflexion für essenziell bei Führungskräften hält. „Leadership ist ein Handwerk, das man lernen muss. Denn selbst wenn man etwas von Herzen gut meint, macht man es nicht immer gut und reagiert im Frust falsch.“ Deshalb sei für sie das genaue Hinschauen entscheidend. Nur so ließen sich Verhaltensmuster entdecken. „Mein größter Gewinn war zu erkennen, dass wir eine Kultur schaffen müssen, in der Mitarbeitende der Chefin oder dem Chef Feedback geben dürfen.“ Ihr Wissen gibt sie heute in ihrer Leadership Academy weiter.
Frisches Weiterentwickeln
Um einen Blick in die Zukunft, mit jungen Generationen und Bedürfnissen wie Work-Life-Balance oder Homeoffice, bat Moderator Winkelmeier zum Abschluss des Abends. „Eine sehr starke Generation, die unseren Arbeitsmarkt lange getragen hat, geht in Pension“, sagte Anna Doblhofer-Bachleitner. „Auf der anderen Seite kommen Menschen, die Neues von uns als Arbeitgeber fordern. Sie suchen Sinn und ethische Verantwortung. Wir sind gefordert, Flexibilität zu zeigen, um hoch motivierte Frauen und Männer ins Unternehmen zu holen und zu fördern.“
Eine Lanze für Work-Life-Balance brach Julia Gehmacher, die darauf hinwies, wie wichtig die mentale Gesundheit in unsicheren Zeiten wie diesen sei. „Ich will Orte schaffen, an denen Menschen ankommen können“, sagte sie. Den starken Wunsch nach Homeoffice sieht Brigitte Ederer indes kritisch. „Ich sehe zwei Gefahren. Einerseits vereinsamen Menschen ohnehin in unserer Gesellschaft. Wenn sie zum Arbeiten viel zu Hause und nicht in ihrem Team vor Ort sind, fehlt ihnen das Gegenüber und soziales Korrektiv. Hätte ich ein Unternehmen, gäbe es maximal einen Homeoffice-Tag pro Woche, um keine skurrilen Typen mit Meinungen zu produzieren, die allein aus dem Internet stammen.“
Doblhofer-Bachleitner schloss mit einer Prognose: „Wir werden den Generationenwechsel gut hinbekommen und uns als Arbeitgeber so aufstellen, dass wir Wissen und Werte vermitteln. Trotzdem werden wir uns frisch weiterentwickeln. Darauf freue ich mich.“