Nach 46 Jahren bei der Raiffeisen-Landesbank Tirol – davon 30 Jahre im Vorstand – treten Sie Anfang Mai Ihren beruflichen Ruhestand an. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Reinhard Mayr: Ich bin jemand, der gut loslassen kann – das wird sich auch dieses Mal nicht ändern. Vor allem in den vergangenen fünf Jahren, seit der Übernahme des Vorstandsvorsitzes, hatte ich wenig Zeit für meine Familie und meine Hobbys wie das Reisen. Das werde ich jetzt nachholen. Ich freue mich schon darauf, meine Zeit selbständig einteilen zu können. Und ich gehe mit dem guten Gefühl in die Pension, dass die RLB Tirol und die Raiffeisen-Bankengruppe Tirol sehr gut aufgestellt sind.
Sie sind seit dem Jahr 2020 Vorstandsvorsitzender der RLB Tirol. Damals standen wir am Beginn der Corona-Pandemie. Seither erlebt die Wirtschaft eine Berg- und Talfahrt. Was sind Ihre Lehren daraus?
Mayr: Die Pandemie näherte sich damals ihrem Höhepunkt und ich wusste schon bei meiner Bestellung, dass uns eine große Kraftanstrengung bevorstand. Gerade in solchen herausfordernden Zeiten zeigt sich die wahre Stärke eines Unternehmens. Wir haben bewiesen, dass wir nicht nur Krisen gut bewältigen, sondern aus diesen auch gestärkt hervorkommen können. Die Pandemie hat uns alle gezwungen, die Digitalisierung voranzutreiben, und der Energiepreisschock hat uns gelehrt, wie wichtig nachhaltige Finanzierungen sind. So gesehen haben wir auch positive Dinge mitnehmen können. Es war insgesamt gesehen durchaus eine sehr intensive, aber auch unglaublich lehrreiche Zeit.
Als Bankmanager hat man zahlreiche Aufgaben zu erledigen. Was haben Sie geliebt?
Mayr: Fasziniert haben mich vor allem strategische Entscheidungen, insbesondere die Entwicklung neuer Ideen. Zu sehen, wie aus einer Vision Realität wird, ist schon großartig. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Leuchtturmprojekt „Das RAIQA“, das als neues Stadtquartier in Innsbruck den Hauptbahnhof, die Adamgasse sowie den Bozner Platz verbinden wird. Es wird nicht nur die RLB Tirol beheimaten, sondern umfasst auch ein Hotel und ein breites Angebot an Geschäften. Die ersten Überlegungen haben wir 2016/17 vorgenommen, die Fertigstellung ist bis zum Jahresende 2025 geplant. Auf die Eröffnung, die im ersten Quartal 2026 erfolgen dürfte, freue ich mich schon – dann allerdings in meiner Rolle als Kunde.
Der Neubau ist mit Abstand die größte Investition der RLB Tirol in ihrer Geschichte mit einem Investitionsvolumen von rund 155 Millionen Euro. Wie sehen Sie diesen Schritt heute?
Mayr: Wir haben das damalige Pionierprojekt mit einer gewissen Demut entschieden. Das Gebäude wurde möglichst umweltschonend auf ein tragfähiges Skelett zurückgebaut und im weiteren Verlauf in das Gesamtkonzept integriert. Das neue Gebäude wurde dann rund um das dadurch entstandene Atrium errichtet. Zum Zeitpunkt der Entscheidung war nicht ganz klar, welche Herausforderungen bei diesem neuen Ansatz auf uns zukommen werden, ob zum Beispiel die Statik des alten Gebäudes ausreichen wird. In der Bauphase waren die Herausforderungen zu unserer Freude aber überschaubarer als gedacht.
Noch einmal zurück zu den Aufgaben – welche haben Sie nicht so gerne erledigt?
Mayr: Weniger spannend war die oftmals notwendige Beschäftigung mit der Regulatorik, insbesondere dann, wenn die Regelungen gegen die Bedürfnisse der Kunden sprachen. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte KIM-Verordnung, die den Banken Vorgaben bei der Finanzierung von Wohneigentum im Privatkundengeschäft verschreibt. Das hat uns nachhaltig beeinträchtigt und wir sind froh, dass die Regelung Mitte 2025 auslaufen wird.
Bei Raiffeisen gibt es seit einiger Zeit in vielen Organisationen bzw. Banken einen Generationenwechsel in der Führungsebene. Welche Erfahrungen können Sie diesbezüglich teilen?
Mayr: Grundsätzlich glaube ich, dass jeder seine eigenen Erfahrungen machen muss. Auch ich habe versucht, die Dinge anders voranzutreiben, aber nicht im Sinne von gut oder schlecht, sondern auf Basis des eigenen Erfahrungsschatzes. Gerade am Anfang meiner Karriere war ich extrem ungeduldig, es konnte mir nichts schnell genug gehen. Aus heutiger Sicht würde ich mehr Geduld empfehlen. Aber letztlich muss man auch diese Erfahrung erst machen.
Die Digitalisierung ist seit Jahren einer der großen Treiber im Bankgeschäft. Wie kann man das Vertrauen im digitalen Zeitalter aufrechterhalten?
Mayr: Im Wesentlichen geht es unseren Kunden um die Themen Transparenz, Sicherheit und Verlässlichkeit. Diese drei Punkte sind auch in Zeiten der Digitalisierung der Schlüssel für erfolgreiche Kundenbeziehungen. Es reicht aber nicht aus, nur digitale Kanäle anzubieten. Sie müssen den Kunden auch einen echten Mehrwert bieten. In vielen Fällen befinden wir uns noch am Beginn der Reise. Es wird noch einige Zeit vergehen, bis wir hier das optimale Konzept gefunden haben. Dazu kommt, dass es ein gewisses Stadt-Land-Gefälle bei der Akzeptanz von digitalen Services gibt. Dabei haben wir mit unserer sehr starken Präsenz in der Fläche den Vorteil, dass uns die Kunden nach wie vor sehr gut erreichen können.
Welchen Wert haben die Grundprinzipien von Raiffeisen wie Subsidiarität, Solidarität, Nachhaltigkeit und Regionalität in der heutigen Zeit?
Mayr: Sie sind moderner denn je. Auch wenn der technologische Fortschritt und damit eine rasante Veränderung der Umwelt in meiner fast fünf Jahrzehnte langen Karriere sicherlich die größte Überraschung war, hat sich Stabilität als ein wichtiger Faktor erwiesen, weil sie Sicherheit bietet. Unsere Grundprinzipien sorgen gerade in unsicheren Zeiten für diese Stabilität, auf die sich die Menschen auch verlassen können.
Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial bei Raiffeisen?
Mayr: Wir haben uns in den letzten Jahren sehr stark weiterentwickelt, dennoch gibt es immer Möglichkeiten, sich noch weiter zu verbessern. Besonders bei unserer Kundenzentrierung dürfen wir nicht nachlassen und uns noch stärker an den Bedürfnissen der Menschen ausrichten. Das gilt aber nicht nur für unsere Bankdienstleistungen, sondern auch im Umgang mit unseren Mitarbeitern und der neuen modernen Arbeitswelt. Es geht darum, die Flexibilität in beiden Bereichen zu erhalten und weiterzudenken.
„Unsere Stärke liegt in der Kombination von Tradition und Innovation.“
Reinhard Mayr
Als Mathematiker haben Sie ein besonderes Verhältnis zu Zahlen. Wie hat sich die RLB Tirol in Ihrer dreißigjährigen Vorstands-Ära entwickelt?
Mayr: Zahlen erzählen in einem gewissen Sinn Geschichten – und wenn ich so zurückblicke, dann sehe ich eine Geschichte des Wachstums und der Stabilität. So hat sich die Bilanzsumme von 2 Milliarden auf zuletzt 10 Milliarden Euro verfünffacht. Noch besser lief es beim Betriebsergebnis, das sich von 12 Millionen auf knapp 70 Millionen Euro knapp versechsfacht hat, und das EGT hat sich von 7 Millionen auf 45 Millionen Euro sogar mehr als versechsfacht. Besonders stolz bin ich aber darauf, dass wir dieses Wachstum nie um seiner selbst willen verfolgt haben, sondern dabei auch immer den klaren Blick auf eine nachhaltige Entwicklung der Region hatten.
Österreichs Wirtschaft steht vor einem dritten Rezessionsjahr in Folge. Wie geht es der RLB Tirol in diesem widrigen konjunkturellen Umfeld?
Mayr: Trotz der gesamtwirtschaftlich herausfordernden Zeiten stehen wir auf einem starken Fundament. Wir sind krisenerprobt, gut kapitalisiert und vor allem in der Region fest verankert. Das ist eine extrem gute Ausgangsposition, um auch in diesem schwierigen Umfeld zu wachsen. Unsere langjährige Erfahrung, gepaart mit innovativen Lösungsansätzen und einem starken regionalen Netzwerk, ermöglicht es uns, auch in solchen Zeiten als stabiler Partner agieren zu können.
Was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse in Ihrer Karriere?
Mayr: Dass unsere Stärke in der Kombination aus Tradition und Innovation liegt. Wir ruhen uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit aus, sondern schreiten mutig voran und entwickeln unser Wertefundament mit dem Fokus auf Regionalität, dem Miteinander und Zukunftsorientierung weiter. Das hat uns durch viele, durchaus wechselvolle Jahre gebracht.
Banken suchen zunehmend neue Geschäftsfelder. Wo sehen Sie Chancen?
Mayr: Wir engagieren uns beim Thema erneuerbare Energien und konnten in diesem Bereich bereits erfolgreich erste Zeichen setzen. Dabei geht es um den klassischen Ansatz ,Aus der Region für die Region’. Daher passt das Thema extrem gut zu unserer Marke. Zudem können wir auch mit dem traditionell hohen Vertrauen in das Giebelkreuz punkten.
Bei vielen Kreditinstituten spielen Beteiligungen eine große Rolle. Wie ist das bei der RLB Tirol?
Mayr: Wir haben ein kleines, aber sehr feines Beteiligungsportfolio rund um unsere Immobiliengesellschaft. Dort haben wir alle unsere Immobilien mit Ausnahme der Bankimmobilie ausgelagert und wirtschaften sehr gut damit. Darüber hinaus haben wir eine Mehrheitsbeteiligung am Hotel- und Thermenressort Aqua Dome im Ötztal. Es ist nicht nur eine sehr gut gehende Beteiligung, sondern eigentlich ein Infrastrukturprojekt im Tourismusland Tirol, das der ganzen Region dient.
Das Bankgeschäft ist einem stetigen Wandel unterworfen. Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen?
Mayr: Bei den Kunden geht der Trend sehr stark in Richtung Individualisierung. Der Wunsch nach flexiblen und individuellen Lösungen ist sehr groß. Gleichzeitig schreibt die Regulatorik den Banken relativ starre Regeln vor, die nicht immer mit den Kundenbedürfnissen kompatibel sind. Das unter einen Hut zu bringen, fordert uns sehr intensiv und es braucht oftmals viel persönlichen Einsatz unserer Betreuer draußen am Markt.
Im Rückspiegel betrachtet scheint das Bankgeschäft vor allem das Managen von Krisen zu sein – angefangen von der Finanz- und Wirtschaftskrise über die Euro-Krise bis hin zur Corona-Pandemie. Täuscht der Eindruck?
Mayr: Seitdem ich Vorstandsvorsitzender geworden bin, sind drei große globale Krisen dazugekommen, die ich miterlebt habe. Davor waren es insgesamt fünf. Krisen haben vor allem eines gemeinsam: Man muss rasche, besonnene, aber trotzdem entschlossene Entscheidungen treffen. In solchen Situationen ist es besonders wichtig, das Vertrauen der Menschen zu bewahren und handlungsfähig zu bleiben. Das ist uns im Großen und Ganzen sehr gut gelungen, was sehr viel mit unserer Wertewelt zu tun hat. Als verlässlicher Partner reagieren wir nicht nur auf aktuelle Herausforderungen, sondern bieten langfristige Lösungen mit Weitblick an.
Sie haben einen riesigen Erfahrungsschatz. Schließen Sie ein Comeback für Raiffeisen aus?
Mayr (lacht): Wer so lange bei Raiffeisen war, bleibt immer ein Teil von Raiffeisen. Ich werde der RLB Tirol sowohl als Kunde als auch als Aktionär erhalten bleiben. Und eines ist sicher: Mein Interesse an der Weiterentwicklung der gesamten Raiffeisen-Bankengruppe Tirol wird nicht verschwinden. Aber ich werde das Geschehen in Zukunft aufmerksam von außen verfolgen.