Das Wunder von Dornbirn

Der Schachklub Dornbirn lehrt die großen Vereine des Landes immer wieder das Fürchten und liefert vor allem mit seinem Damen-Team regelmäßig Top-Leistungen ab. Heuer feierten die Vorarlberger ihr 100-jähriges Bestehen, haben aber noch lange nicht genug, wie Obfrau Julia Novkovic erzählt.

Manche Entstehungsgeschichten sind so gut, dass sie auf großer Fläche erzählt werden müssen. Zum Beispiel die, wie der Schachklub Dornbirn 1925 ins Leben gerufen wurde. „Philipp Mäser geriet während des Ersten Weltkrieges in russische Gefangenschaft und wurde nach Sibirien geschickt. Doch er hatte das Glück, einem Offizier als Stiefeljunge zugeteilt zu werden“, erzählt Julia Novkovic, die den Verein als Spielerin, Trainerin und seit 2024 auch als Obfrau prägt. Besagter Offizier war ein leidenschaftlicher Schachspieler. „Er brachte Mäser das Spiel bei, hievte ihn auf ein gewisses Niveau und spielte blind und auf mehreren Brettern gleichzeitig gegen ihn.“ 

Das wiederum sorgte dafür, dass sich der Gefangene frei bewegen und sogar eine Kuh kaufen konnte, mit deren Milch er ein paar Rubel verdiente. Und so konnte er es sich sechs Jahre nach Kriegsende leisten, seinen Lieben daheim eine Karte mit der Information zu schicken, dass er noch am Leben ist und bald nach Hause kommen wird. „Zurück in Dornbirn suchte er sich im Gasthaus Weißes Kreuz ein paar Gleichgesinnte, um mit ihnen Schach zu spielen. So ist 1925 unser Verein entstanden.“

Würdiges Jubiläum

Doch was aus diesem 100 Jahre später werden würde, konnte Mäser zu dem Zeitpunkt beim besten Willen nicht erahnen. Heute ist der Schachklub Dornbirn der größte seiner Art in Vorarlberg, blickt auf Mannschaftsebene auf österreichische Meisterschaften und auf Einzelebene auf erfolgreiche Teilnahmen an Welt- und Europameisterschaften in verschiedenen Altersklassen zurück. „Wir haben in den vergangenen 30 Jahren vier Spielerinnen für das österreichische Nationalteam gestellt“, sagt Julia Novkovic stolz. „Das ist für eine kleine Gemeinde wie Dornbirn eine stattliche Zahl.“

Eine dieser Spielerinnen war Novkovic selbst. Sie kam Anfang der 1990er-Jahre aus der Slowakei nach Dornbirn und hatte viel Liebe und noch mehr Talent für das Schachspiel im Gepäck. Erst verstärkte sie verschiedene Teams des Klubs als aktive Spielerin, dann wurde sie Trainerin, schließlich stellvertretende Obfrau. Und als vergangenes Jahr ein neuer Boss gesucht wurde, war es nur logisch, dass die Lehrerin für Mathematik, Physik und Chemie den Posten übernimmt. 

Und das zu einem äußerst spannenden Zeitpunkt, schließlich stand das Jahr 2025 ganz im Zeichen der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen. „Es gab fast jeden Monat eine Aktivität, von der großen Feier mit 80 Gästen im Raiffeisen-Forum bis zum Integrations-Turnier mit Spielern aus 13 verschiedenen Nationen. Mir war es ein großes Anliegen, das Jubiläum würdig zu begehen“, sagt sie. Und bekommt heute aus allen Richtungen bestätigt, dass ihr das mehr als gelungen ist. 

Besonderer Meilenstein

Sportlicher Höhepunkt der Feierlichkeiten: Der Schachklub Dornbirn durfte im März das große Finale gleich für drei Bundesligen ausrichten: für die erste und zweite Bundesliga der Frauen sowie für die zweite Bundesliga West der Männer. Ein Meilenstein, wobei Novkovic auf eine Begebenheit besonders stolz ist. „Mit Alexandra Kostenjuk hat erstmals eine ehemalige Weltmeisterin auf Vorarlberger Boden gespielt. Das war sicher etwas Spezielles.“

Ebenfalls besonders: In der zweiten Bundesliga der Damen sicherte sich die „Mädchen-Mannschaft“ der Dornbirner den Sieg und damit das theoretische Recht auf den Aufstieg. Praktisch fand der allerdings nicht statt, weil es mit der ersten Mannschaft bereits einen seit mehr als zehn Jahren etablierten Bundesligisten gibt. Und zwei Mannschaften aus einem Verein dürfen freilich nicht in der höchsten Liga dabei sein.

Trotzdem zeigt die Geschichte, dass gerade das Frauen-Team das große Aushängeschild des Klubs ist. Seit der Saison 2014/15 sind sie auf allerhöchster Ebene dabei, gleich im ersten Jahr gewannen sie den Titel. Und das gegen finanziell stärkere Konkurrenz aus großen Städten wie Wien, Linz oder Graz. „Wir haben fast schon traditionell ein starkes Frauen-Team, weil wir auch immer starke Vorbilder und eine gute Arbeit im Nachwuchs hatten und haben“, sagt Novkovic, die von 2007 bis 2021 auch Mitglied der österreichischen Nationalmannschaft war und auch heute noch für mehrere Teams regelmäßig in das Gefecht mit Türmen, Läufern und Springern zieht. „Wir gehen auch in die kommende Saison mit der Ambition, es auf das Stockerl zu schaffen“, sagt die 53-Jährige, die nach ihrem Amtsantritt die bis dato lose Partnerschaft mit der Raiffeisenbank im Rheintal in einen vertraglich geregelten Deal goss, von dem beide Seiten profitieren.

Julia Novkovic am Brett bei einem Bundesligamatch in Rankweil
Julia Novkovic am Brett bei einem Bundesligamatch in Rankweil © Gerhard Mannsberger

Gute Lebensschule

Am meisten liegt der vom Weltverband FIDE lizenzierten Trainerin aber die Arbeit mit dem Nachwuchs am Herzen. Wobei das Spektrum des Klubs, der stolze 160 aktive Mitglieder zählt, ein riesiges ist. „Zu uns kommen Senioren, die sich geistig fit halten wollen, und Kinder, die davon träumen, der neue Magnus Carlsen zu werden“, sagt sie. „Sie alle sollen bei uns eine Heimat finden.“ 

Denn davon, dass Schach eine sehr gute Lebensschule ist, auf deren Vorzüge man in vielen Lagen zurückgreifen kann, ist sie überzeugt: „Schach fördert spielerisch Bereiche, die in der Berufswelt von großem Vorteil sind. Insbesondere die Verantwortung für das eigene Handeln, Risikobewertung, Lösungswege für Probleme suchen, strukturiertes Denken, Vorstellungsvermögen, Selbstbeherrschung und Disziplin. Dazu kommen Liebe zum Detail – Genauigkeit, Konzentrationsfähigkeit, Geduld und Ausdauer, vorausschauendes Handeln und Kreativität.“ Kein Wunder, dass sie sich dafür einsetzt, dass Schach an Schulen angeboten wird, wobei sie an den Einrichtungen, in denen sie selbst unterrichtet, mit gutem Beispiel vorangeht und Schach als Freigegenstand etabliert hat.

Als der Österreichische Schachbund zu seinem eigenen 100. Geburtstag eine Broschüre herausgab, in dem die wichtigsten Vereine des Landes vorgestellt wurden, lautete die Überschrift bei „ihrem“ Klub: „Das Wunder von Dornbirn“. Ein Motto, das Novkovic sehr gut gefällt, das sie aber auch als Verpflichtung für die Zukunft definiert. „Wenn ich sehe, wie sehr Menschen aller Altersklassen vom Schachspiel profitieren, ist das mehr als genug Motivation.“

AusgabeRZ45-2025

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