„Die Corona-Pandemie war ein Brandbeschleuniger für die Veränderungen in der Bankenbranche“, weiß Dirk Hörner, Geschäftsführer bei 4P Consulting, und verdeutlicht: „Strukturelle Umbrüche in der Real- und Kreditwirtschaft haben an Dynamik gewonnen. Die Risiken der Globalisierung wurden gnadenlos offengelegt. Die digitale Transformation von Unternehmen und Geschäftsmodellen hat einen massiven Schub erfahren und hybrides, dezentrales Arbeiten ist das neue Normal.“ Und da die Entwicklungen nicht linear verlaufen, dürfe man den Wandel keinesfalls unterschätzen, mahnt der Berater beim Funktionärsforum 2021 ein.
Dass die Bedeutung des Online-Bankings stetig zunimmt, ist längst kein Geheimnis mehr, aber vor allem das Interesse älterer Kunden ist in den Pandemie-Jahren überdurchschnittlich gestiegen. Zudem dürfe man nicht außer Acht lassen, dass die nachwachsenden Bankkunden ausschließlich aus der „Genration Smartphone“ kommen. Schon heute stammen fast 70 Prozent der Zugriffe auf Mein Elba von mobilen Endgeräten.
Somit müssten auch Filialkonzepte überdacht und angepasst werden. Hier sieht Hörner noch Potenzial: „Raiffeisen- und Regionalbanken agieren häufig noch zögerlich bei der Filialrestrukturierung, obwohl sie nach wie vor ein signifikanter Stellhebel zur Kostensenkung wären.“ Außerdem würden schlagkräftige Konzepte fehlen oder sich nicht bewähren: „Eine Filiale mit Café-Bistro und kostenlosem Wlan reicht nicht aus, um Kunden zu überzeugen und zu binden.“
Mit dem Konzept der Digitalen Regionalbank und der konsequenten Umsetzung der Omnikanalstrategie hat Raiffeisen bereits auf die Zeichen der Zeit reagiert. Der stetige Ausbau der digitalen Produkt- und Beratungsangebote zahle auf die gestiegenen Ansprüche der Kunden ein. Nicht zu unterschätzen sei der Kundenwunsch nach Mehrwert jenseits der Finanzdienstleistungen. Hier habe Raiffeisen dank der genossenschaftlichen Kernwerte einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil, allerdings müssen diese wieder stärker ins Bewusstsein der Kunden gerufen werden.
Die Raiffeisenbank Vorderes Ötztal beispielsweise hat sich durch einen klaren Fokus auf die genossenschaftlichen Werte neu positioniert. Mit der Konzentration auf Mitgliedschaft und regionale Kreisläufe versucht die Bank ihre „wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit“ abzusichern, erklärt die Aufsichtsratsvorsitzende Petra Bell. Mit dem „Regionalkredit“ ist dem Strategieprozess zudem ein Produkt entsprungen, das die Genossenschafts-Idee erlebbar macht: „Dieser zinsgünstige Immobilienkredit ist ausschließlich für Genossenschaftsmitglieder – allerdings unter der Voraussetzung, dass die Hälfte der Aufträge an Betriebe aus der Region gehen“, erklärt Geschäftsleiter Manfred Scheiber die Idee. Damit werde eine Win-win-Situation für alle Beteiligten und die Region geschaffen.
Zur Stärkung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens in der Region setzt die Raiffeisenbank Wienerwald zum Beispiel einen Förderschwerpunkt für E-Mobilitätsvereine. Diese ermöglichen dabei nicht nur umweltfreundliche Mobilität, sondern fördern dadurch auch das soziale Leben in den Gemeinden. Die Bank unterstützt die Vereine unter anderem mit einer Anstoßfinanzierung zur Gründung und mit Sonderkonditionen bei der Finanzierung der E-Autos.
Erfolgsbeispiele gibt es viele, wichtig sei es jetzt, sich nicht auf dem Geleisteten auszuruhen, sondern die positiven Effekte aus der Krise mitzunehmen, bestärkt Dirk Hörner die Teilnehmer des Funktionärsforums 2021 nicht zu alten, traditionellen Mustern zurückzukehren.
Commitment und Diversität
Die Erfahrung, dass hybrides Arbeiten, Agilität und Flexibilität im Bankensektor möglich sind, stellt natürlich Führungskräfte vor neue Herausforderungen. Das müssen auch Funktionäre berücksichtigen, sie sind es schließlich, die die Geschäftsleitung einer Genossenschaft bestellen. Und bei den aktuell knapp 710 Raiffeisen-Geschäftsleitern liegt der Altersdurchschnitt bei 52 Jahren, das heißt, in den nächsten Jahren sind einige Nachfolge-Entscheidungen zu treffen.
Worauf man bei der Wahl – neben der fachlichen Eignung natürlich – besonders achten sollte, weiß Johannes Steyrer von der Wirtschaftsuniversität Wien: Demzufolge ist entscheidend, dass die Art und Weise der Führung einen enormen Einfluss auf das sogenannte „emotionale Commitment“ der Mitarbeiter hat. Und je höher dieses Commitment, also die Verbundenheit zum Arbeitgeber, desto besser ist das für den Unternehmenserfolg. Commitment könne man aufbauen durch Partizipation und Selbstverpflichtung: „Mitarbeiter müssen sich selbst das definieren, was der Arbeitgeber von ihnen will“, veranschaulicht Steyrer. Deshalb müsse Leadership eine zentrale Kompetenz zukünftiger Führungskräfte sein.
Besonderes Augenmerk sei bei künftigen Besetzungen auf die Diversität zu legen – und das auch in den Funktionärsgremien, betont Erwin Hameseder, Obmann der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien und Aufsichtsratsvorsitzender der RLB NÖ-Wien: „Wir haben viel zu wenig Frauen und junge Menschen in unseren Organen. Daran werden wir gemeinsam arbeiten müssen, damit wir weiterhin die richtigen Entscheidungen für die Zukunft treffen können.“ Geht es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sei man schon „ein gutes Stück weitergekommen, aber bei weitem nicht dort, wo wir hin müssen“. Junge Frauen gehören gezielt gefördert und dürfen nicht aus Karrierebildern ausgeschlossen werden, „weil sie sich irgendwann vielleicht dazu entscheiden Kinder zu bekommen. Das müssen wir unterstützen“, so Hameseder. Zielbild soll sein, die Gesellschaft in den Gremien und Geschäftsleitungen entsprechend abzubilden.
Um junge Menschen als Mitglieder und aktive Funktionäre bei Raiffeisen zu gewinnen, hat der Österreichische Raiffeisenverband (ÖRV) das Projekt „Raiffeisen next“ aus der Taufe gehoben. Hier könne man wieder vom aktuellen Zeitgeist profitieren, ist Justus Reichl, ÖRV-Generalsekretär-Stellvertreter und Leiter des Kompetenzzentrums Genossenschaft, überzeugt: „Stichwort Beteiligung, Engagement, Nachhaltigkeit, Sharing Economy – diese Werte müssen wir nicht erfinden, sondern haben sie in unserer Raiffeisen-DNA.“ Jetzt gelte es, Kontaktpunkte zu schaffen und auf die jungen Menschen zuzugehen. Zur Unterstützung bietet der ÖRV ein kostenloses Service-Paket, bestehend aus Workshop-Angeboten, Kommunikationsunterlagen, Werbematerialien oder einem Unterrichtspaket. Damit könne man mit der nächsten Generation in Dialog treten und das Thema Genossenschaft bekannter machen. Denn: „Jede Bewegung lebt von den Menschen, die sie tragen.“