Der Wertekompass bleibt unverändert

Zertifizierte Nachhaltigkeitsfonds werden in Österreich auch künftig Investments in Nuklearenergie ausschließen. Die heimische Fondsindustrie könnte davon sogar profitieren.

Kompass liegt in Wiese – Symbolfoto
(c) Adobe Stock

Anfang Februar hat die EU-Kommission Atomkraft und Erdgas in ihre Taxonomie aufgenommen und damit als „grüne“ Finanz­investitionen deklariert. Österreich will dagegen rechtlich vorgehen. Bis zu einem Urteil werden wohl Jahre vergehen und die Erfolgsaussichten sind ungewiss. Ungeachtet dessen stellen sich Anleger die Frage, was das für ihre Investments bedeutet und wie Fondsgesellschaften damit umgehen. Prinzipiell könnte ja zukünftig ein grüner Energiefonds also zu einem Großteil aus Atomenergie bestehen. 

„Das Bild wird sich in Österreich nicht verändern. Auch wenn Atomkraft von der Taxonomie erlaubt wird, muss natürlich niemand in Atomenergie investieren. Es ist ja nicht verbindlich“, kommentiert Wolfgang Pinner, Leiter des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) Österreich und Leiter der Abteilung SRI (Sustainable & Responsible Investment) in der Raiffeisen KAG. Österreich werde dem Zugang zum Atomthema treu bleiben. Der FNG-Marktbericht des Vorjahres zeigt, dass in Österreich Kernenergie hinter Kohle und Rüstung bei nachhaltigen Geldanlagen an dritter Stelle der Ausschlusskriterien steht. 

„Der Rückschlag der EU wird den persönlichen Wertekompass nicht neu ausrichten. Nachhaltige Investoren werden auch in Zukunft keine AKWs oder Erdgasprojekte sponsern“, ist auch Nachhaltigkeits- und Finanzberater Josef Obergantschnig überzeugt. Nach der Taxonomie-Entscheidung hat er erste Reaktionen eingeholt und da wird klar, dass für alle österreichischen Fondsgesellschaften sowie institutionelle Investoren wie Kirchen oder Vorsorgekassen Atomenergie ein Ausschlusskriterium bleibt. 

Internationale Fondsanbieter stecken da etwas mehr im Dilemma, denn immerhin steht jedes 4. Atomkraftwerk in Europa und Frankreich deckt rund 70 Prozent der Energie durch AKWs ab. Auf der anderen Seite stehen 14 EU-Länder, die komplett ohne Atomenergie auskommen. Die internationalen Fondsgesellschaften werden sich also an den Wertekompass ihrer Absatzmärkte orientieren müssen. 

Wolfgang Pinner, Leiter Abteilung SRI in der Raiffeisen KAG
Wolfgang Pinner (c) Raiffeisen KAG/Pia Morpurgo

„Die Taxonomie ist in ihrer Glaubwürdigkeit nach unten gerutscht.“

Wolfgang Pinner

In Österreich wird sich an der strengen Haltung gegenüber Nuklearenergie also nicht viel ändern, aber die EU-Taxonomie sei in der Glaubwürdigkeit nach unten gerutscht und das in Zeiten, „in denen Green Washing immer wieder angeprangert wird“, so Pinner. Die Raiffeisen KAG entwickelt deshalb gerade eine Atomenergie-Policy, die vor allem klären soll, wie man auf staatlicher Seite mit dem Thema Atomenergie umgeht. „Unser Indikator für Staatsanleihen bezieht etwa den Energiemix der Staaten und die Energiepolitik wie Expansionsstrategien bei Atomkraft mit ein“, erklärt Pinner. 

Zertifizierung nachhaltiger Fonds

Gegen das Problem von Green Washing können nachhaltige Labels für Finanzprodukte wie das österreichische Umweltzeichen oder das FNG-Siegel helfen und den Privatinvestoren Orientierung geben. Die Kriterien für das Umweltzeichen und das FNG-Siegel werden sich aufgrund der EU-Entscheidung jedenfalls nicht ändern, davon waren alle Teilnehmer des Finanzjournalistenforums überzeugt. Und obwohl die EU zukünftig mit dem neuen EU Ecolabel den europäischen Wildwuchs an nationalen Labels bei grünen Investments aufhalten wollte, könnten die einzelnen Gütesiegeln nun an Bedeutung gewinnen. Vor allem wenn Nachhaltigkeitsfonds mit hohen Anteilen an Atomkraft das EU Ecolabel tragen könnten. Generell stelle die EU die ökologische Betrachtung in den Mittelpunkt, während österreichische Fondsmanager gesamthaft denken und einen breiteren Ansatz verfolgen, so Pinner. Da geht es auch um Soziales und Unternehmensführung sowie Stimmrechtsausübung, normbasiertes Screening und etwa Best-in-Class-Ansätze.

Aktiv gegen Atomenergie

Wie viel Atomkraft aktuell in Fonds steckt, das hat sich Armand Colard, Geschäftsführer von ESG Plus und Betreiber der Onlineplattform „Cleanvest“, die Fonds auf Nachhaltigkeit prüft, im Detail angeschaut. Knapp 2.000 Publikumsfonds mit rund 2,1 Billionen Euro Volumen – die allesamt in Österreich vertriebszugelassen sind – wurden mit Fokus auf Atomenergie analysiert. Das Ergebnis: In 45 Prozent der konventionellen und in 41 Prozent der nachhaltigen Fonds sind aktuell Atomkraft-Investments enthalten. In nachhaltigen Fonds ist der Atomkraft-Anteil allerdings wesentlich geringer als in konventionellen Fonds und es macht zudem einen deutlichen Unterschied, ob der Fonds aktiv oder passiv gemanagt wird. Bei aktiv gemanagten nachhaltigen Fonds liegt der Atomkraft-Anteil bei 0,29 Prozent, bei passiven sind es 0,44 Prozent. Colard interpretiert die Ergebnisse so: „Die Vermutung liegt nahe, dass die in nachhaltigen Fonds enthaltenen Atomkraft-Investments aus nicht-zertifizierten nachhaltigen Fonds stammen, da sowohl das Österreichische Umweltzeichen für nachhaltige Finanzprodukte als auch das FNG-Siegel das Thema Atomkraft als Ausschlusskriterium haben.“ Die strengeren Regeln könnten für zertifizierte Fonds also einen Vorteil bringen. „Mit den Siegeln wird man sich stärker differenzieren und positiv im Ausland positionieren können“, prognostiziert Colard. 

Zusätzliche Bedeutung wird das Thema jedenfalls ab August 2022 bekommen, denn ab dann wird Nachhaltigkeit in der Veranlagungsberatung eine zentrale Rolle spielen und die Nachhaltigkeitspräferenz der Kunden abgefragt. Zusätzliche Verwirrung durch das Atomkraft-Thema erwartet Wolfgang Pinner dabei nicht: „Nachhaltige Geldanlage ist mittlerweile sehr gut verankert, sowohl bei den Kunden als auch bei den Beratern. Ein neuer Aspekt wird sich hier nicht schädlich auf die Gesamtperzeption auswirken.“