Erstmals seit Beginn der Pandemie konnte der Raiffeisenverband Tirol seinen Verbandstag wieder gänzlich ohne Einschränkungen unter dem Beisein zahlreicher Mitglieder und Ehrengäste abhalten. Die Hoffnung auf eine tatsächliche Rückkehr zur Normalität habe sich bisher jedoch noch nicht erfüllt, wie Obmann Hermann Kuenz in seiner Eröffnungsrede ausführte. „Energieversorgung, Rohstoffknappheit und Lieferkettenprobleme haben sich im Jahr 2022 zu einer extremen Herausforderung ausgewachsen und bleiben auch weiterhin eine riesige Challenge.“ Darüber hinaus strahle die hohe Inflation des vergangenen Jahres auch in das bereits laufende Jahr hinein. Trotz alledem hatte man in Tirol „das Glück der besonderen Gegebenheiten“ und stand mit 7,9 Prozent Wirtschaftswachstum an der Spitze der Bundesländer.
Und auch die Gesamtentwicklung der Raiffeisengenossenschaften im Vorjahr bietet Anlass zur Zufriedenheit. „Regional verankerte Geschäftsmodelle wie Raiffeisen gewinnen an Bedeutung. Durch Robustheit und Stabilität in der Krise wird das Vertrauen der Kunden gewonnen“, berichtete der Obmann über den nachhaltig veränderten Stellenwert von Regionalität und Sicherheit. Insgesamt blickt der Raiffeisenverband Tirol auf ein intensives Arbeitsjahr zurück, nicht zuletzt aufgrund der Umsetzung des Projektes „RBGT-bereit für die Zukunft“ und das Peer-Review in der Revision zur Erlangung der APAB-Bescheinigung (Abschlussprüferaufsichtsbehörde) für die nächsten sechs Jahre, welche außergewöhnliche Herausforderungen darstellten.
Ebenso nutzte Kuenz die Gelegenheit, Verbandsdirektor Peter Sapl seinen Dank für annähernd 40 Jahre Engagement für den Raiffeisenverband Tirol auszusprechen. Nachfolgen wird Sapl, der seine Dienste noch bis Ende August zur Verfügung stellt, Alexander Büchel, der seine Aufgaben unter anderem im Bereich der Revision übernehmen wird.
Einen Rückblick auf die Entwicklung der Genossenschaften und die Tätigkeit der Revision im Jahr 2022 lieferte Sapl selbst. So beschäftigte die Geldgenossenschaften vorwiegend der Russland-Ukraine-Konflikt, wobei man in dem Bereich noch mit keinen großen Auswirkungen zu kämpfen hatte. Als wesentliche Belastungen nannte der Verbandsdirektor einerseits die FMA-Mindeststandards, die vor allem für kleinere Raiffeisenbanken ein großes Hindernis darstellten, und andererseits die KIM-Verordnung (Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung). „Viele Kredite im Wohnbaubereich waren deshalb nicht mehr möglich und vor allem junge Leute waren durch die KIM-VO davon ausgeschlossen, Eigentum zu schaffen“, gab Sapl zu bedenken. Herausforderungen wie diese seien in weiterer Folge auch ein Grund für den Anstieg an Fusionen im vergangenen Jahr. Waren es im Geschäftsjahr 2021 noch 57 selbstständige Tiroler Raiffeisenbanken, so ist diese Zahl durch insgesamt fünf Verschmelzungen inklusive zwei Dreierfusionen auf 50 zurückgegangen, berichtete Verbandsdirektor Edwin Grubert.
Gute Wachstumsraten
Diese insgesamt 50 Raiffeisenbanken konnten in allen Bereichen Zuwächse erzielen und trotz anhaltender Niedrigzinsphase konnten die Ersteinlagen auf rund 11,7 Mrd. Euro erhöht werden, was einer Steigerung von 2,7 Prozent entspricht. Das Ausleihungsvolumen konnte aufgrund der anhaltenden starken Investitionstätigkeit um 5,4 Prozent auf 11,2 Mrd. Euro gesteigert werden. Dabei handelt es sich um „durchaus vernünftige, gute Wachstumsraten“, so Sapl. Ebenso erhöht hat sich die Bilanzsumme von 14,9 Mrd. Euro im Jahr 2021 auf 15,5 Mrd. Euro. Die Eigenmittelquote liegt bei 19,2 Prozent.
Belief sich der Umsatz im Geschäftsjahr 2021 noch auf rund 237 Mio. Euro, so konnten die neun eigenständigen Lagerhäuser, die zwei warenführenden Raiffeisenbanken sowie die 23 Standorte der „Unser Lagerhaus“ WGH im vergangenen Jahr rund 317 Mio. Euro erwirtschaften. Im Bereich der sechs operativen Milchgenossenschaften belief sich der Umsatz auf 34,3 Mio. Euro, bei den 20 Energiegenossenschaften auf 14,7 Mio. Euro. „Zusammenfassend war es in allen Genossenschaften durchaus ein sehr zufriedenstellendes Jahr 2022“, resümierte Sapl.
Mehr Diversität
Ein fixer Programmpunkt des Verbandstages ist mittlerweile auch der Bericht aus dem Funktionärinnen-Beirat. Mit aktuell 13,7 Prozent Frauenanteil in den Gremien des Bankensektors ist Tirol noch weit vom Ziel – 25 Prozent bis 2025 – entfernt. Erstmals konnte die Tirol-Vertreterin im Funktionärinnen-Beirat Lisa Spöck, Aufsichtsratsvorsitzende-Stellvertreterin in der RB Wildschönau und Vorstandsmitglied im Raiffeisenverband Tirol, auch die Zahlen für die Bereiche Molkereien und Lagerhäuser präsentieren.
So kann Tirol 2,5 Prozent Frauenanteil in den Lagerhäusern und 1,7 Prozent in den Molkereien aufweisen. Mit insgesamt 16 Banken ohne Funktionärin hat Tirol nach wie vor den größten Aufholbedarf. Eine Tatsache, die im Raiffeisenverband Tirol zum Umdenken motiviert hat. „Wir haben uns dazu entschlossen, ein sichtbares Zeichen nach innen und außen zu setzen“, merkte Alexander Büchel an und präsentierte Claudia Lohmeier von der Stabstelle Bildung und Assistenz im Raiffeisenverband als neue Diversitätsbeauftragte.
Zwischenzeitlich gab Politikwissenschafter Gerhard Mangott in seinem Gastvortrag einen Überblick über den Russland-Ukraine-Konflikt – von Motiven und Interessen über den Verlauf und Sanktionen bis hin zu einem möglichen Ende – und teilte seine Expertise mit den Gästen.
Abschließend folgten Grußworte der Ehrengäste. So bedankte sich Christof Splechtna, Vorstandsvorsitzender der Raiffeisen-Landesbank Tirol, für die gute Zusammenarbeit: „Ich möchte nicht ohne Stolz auf die Erfolge der genossenschaftlichen Finanzdienstleistung hinweisen und mit Zuversicht auf die gemeinsame Zukunft schauen.“ Dem schloss sich auch ÖRV-Generalsekretär Johannes Rehulka an und ist überzeugt: „Wenn es eine Krise gibt, dann rücken Genossenschaften wieder ins Zentrum des Interesses.“ Die Herausforderung sieht er nun darin, junge Menschen für die Genossenschaft zu begeistern und zu zeigen, was Raiffeisen von anderen Banken unterscheidet. „Selbst gestalten ist, was die Genossenschaft ausmacht“, führte er aus.
Dass Raiffeisen und damit auch die Genossenschaft bereits stark in der Region verankert ist, zeigt sich in Tirol an 400 Betrieben in insgesamt 277 Gemeinden. Grund zur Freude für Landeshauptmann Anton Mattle, der darin ein Zeichen für das „Vertrauen zwischen der Tiroler Bevölkerung und den Genossenschaften von Raiffeisen“ sieht.