Nach elf Jahren als Leiterin des Nachhaltigkeitsmanagements in der RZB bzw. RBI sowie als Geschäftsführerin der Raiffeisen Nachhaltigkeits-Initiative ziehen Sie sich mit 54 Jahren jetzt aus dem Berufsleben zurück. Was sind die Beweggründe?
Andrea Sihn-Weber: Ich habe 36 Jahre Berufstätigkeit hinter mir, davon 33 Jahre bei Raiffeisen. 22 Jahre war ich zunächst in der Raiffeisen-Leasing tätig, wo ich mich bereits intensiv mit Nachhaltigkeit und erneuerbaren Energieprojekten beschäftigt habe. Und danach nun elf Jahre in der Raiffeisen Bank International als Leiterin des Group ESG & Sustainability Management. Das waren extrem spannende, prägende und herausfordernde Jahre. Die Vision, mit der ich angetreten bin, und die Ziele, die ich mir selbst gesetzt habe, habe ich gemeinsam mit meinem großartigen Team und vielen engagierten Kollegen umgesetzt. Das Thema Nachhaltigkeit ist verankert. Es sind Meilensteine erreicht worden. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt für mich, um innezuhalten und mir eine Auszeit zu genehmigen. Und über mögliche neue Ideen und Projekte zu reflektieren.
Welche Visionen haben Sie verwirklichen können?
Sihn-Weber: Vor elf Jahren gab es schon einige Initiativen, damals unter der Begrifflichkeit CSR Corporate Social Responsibility, aber es gab noch keinen strategischen Bereich. Auf EU-Ebene hat sich aber schon eine neue regulatorische Verpflichtung abgezeichnet, mit der dann ab 2017 auch nicht-finanzielle Daten veröffentlicht werden mussten. Das war einer der Gründe, warum ich damals vom RZB-Vorstand geholt wurde. Nachhaltigkeit ist eine Querschnittsmaterie, die alle Unternehmenseinheiten in irgendeiner Form betrifft – in Österreich sowie in den RBI-Netzwerkbanken in Zentral- und Osteuropa. Im Jahr 2012 haben wir also begonnen, entsprechende Prozesse aufzusetzen, um die Daten für einen Konzern-Nachhaltigkeitsbericht zu bekommen. Neben einer entsprechenden Software war auch ein großes Stück Überzeugungsarbeit notwendig. Denn bis 2016 war die Berichtserstellung ja noch freiwillig. Ich hatte aber von Beginn an den Anspruch, jedes Jahr einen auditierten Nachhaltigkeitsbericht zu publizieren, denn das war der Schlüssel zur Verbesserung unserer ESG-Ratings.
Wie gut ist das gelungen?
Sihn-Weber: Durch die Auditierung des Berichts und die ESG-Ratings bekommt man Feedback und sieht, in welchen Bereichen man nachschärfen muss. Je besser der Nachhaltigkeitsbericht inhaltlich durch entsprechende Maßnahmen wurde, desto mehr haben sich auch die Ratings verbessert. In den ersten Jahren war das echte Pionierarbeit. Wir haben auch eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt, die heute noch gültig ist: In der RBI wollen wir verantwortungsvolle Banker, fairer Partner und engagierter Unternehmensbürger sein. Dieser Zugang wurde durch die Unterzeichnung der Principles for Responsible Banking von UNEP Finance Initiative 2021 noch intensiviert.
Wie viel Überzeugungsarbeit war zu Beginn notwendig?
Sihn-Weber: Schon viel, aber ab 2015 mit der Verabschiedung der Sustainable Development Goals und dem Pariser Klimaabkommen und dann mit dem EU-Aktionsplan für nachhaltiges Wachstum und dem Green Deal hat sich das gedreht. Die Regulatorik war ein großer Treiber, aber auch die zunehmende Erwartungshaltung der verschiedenen Stakeholder. Ein Meilenstein war dann 2018 die erste Green-Bond-Emission. In den vergangenen Jahren ist richtig viel passiert.
„Leider bewegt man sich oft erst, wenn der Leidensdruck groß genug ist.“
Andreas Sihn-Weber
Bei welchen Kennzahlen hat sich die RBI in den vergangenen Jahren besonders verbessert?
Sihn-Weber: Wir haben über die Jahre in der Betriebsökologie deutlich CO2 reduziert, wobei es natürlich immer herausfordernder wird, je mehr Maßnahmen schon gesetzt wurden. Aber es geht noch immer was, etwa bei der Mitarbeiteranreise. Ein Thema, womit wir uns seit einigen Jahren intensiv – in enger Zusammenarbeit mit dem Risikomanagement – beschäftigen, sind die Emissionen der Finanzierungen unserer Firmenkunden. Das ist in der Finanzbranche natürlich der große Hebel. Und Firmenkunden müssen ja vor dem Hintergrund neuer Regularien zukünftig viel mehr ESG-Daten berichten.
Diese Verantwortung auf Finanzinstitute zu übertragen, ärgert viele Banker. Sie auch?
Sihn-Weber: Dass es in diese Richtung gehen wird, hat sich abgezeichnet. Es ist ja logisch: Wir haben den Hebel durch die Kreditvergabe und kennen unsere Firmenkunden sehr gut. Natürlich ist das wieder ein Mehraufwand, ESG-Daten zu erheben und zu berücksichtigen. Andererseits hat mittlerweile wirklich jeder verstanden, dass wir etwas tun müssen. Man kann es auch positiv sehen und schauen, wo tun sich Innovationen auf, wo gibt es neue Geschäftsmöglichkeiten. Abgesehen vom regulatorischen Druck haben wir zurzeit ja auch noch eine Energiekrise, hohe Inflation und globale Verwerfungen. Es ist jetzt jeder gut beraten, egal ob auf der Finanzierungsseite oder auf Kundenseite, seine Ressourcen effizient einzusetzen, Kreislaufprojekte zu forcieren und CO2 zu reduzieren. Es ist strategisch wichtig, auf allen Seiten Know-how aufzubauen, denn leider werden die Klimaprognosen jetzt schon von der Realität überholt. Man hätte schon vor 20 Jahren maßvoller beginnen können. Aber leider bewegt man sich oft erst, wenn der Leidensdruck groß genug ist. Die Menschen haben aber die Gabe, sich anzupassen und es passiert momentan auch viel. Man sollte auch auf die positiven Dinge schauen.
Wie geht es mit dem Nachhaltigkeitsbereich in der RBI weiter?
Sihn-Weber: Viele Meilensteine, die wir in den vergangenen Jahren umgesetzt haben, beruhen auf einer langen Vorarbeit. Die Pflöcke sind nun eingeschlagen. Die nachhaltige Transformation im Haus selbst und im Schulterschluss mit den Kunden ist eingeleitet. Meine Nachfolgerin, Christine Würfel, und die vielen engagierten Kollegen werden das weitertreiben.
Die RNI übersiedelt wieder in den Österreichischen Raiffeisenverband. Was wird sich dadurch ändern?
Sihn-Weber: Es ist jetzt ein guter Zeitpunkt, das Thema wieder auf eine neue Stufe zu heben und die starke Community, die sich in den vergangenen Jahren gebildet hat, weiterzuentwickeln. In der RNI war es seit vielen Jahren unser Ziel, Best Practice-Sharing zu forcieren und gemeinsam Projekte voranzutreiben, von denen möglichst alle einen großen Nutzen haben, wie etwa von einer Menschenrechts-Richtlinie oder einer Treibhausgasbilanz. Bisher haben wir stets versucht, einen Bogen zu spannen und Zukunftstrends für die Mitglieder aufzuzeigen und dort Maßnahmen zu entwickeln. Es gibt viele Themen, wo man noch enger kooperieren könnte. Bei der Bildung ist derzeit einiges in Gang. In einer nächsten Evolutionsstufe kann man auch konkretisieren und beispielsweise bei regionalen Projekten noch stärker zusammenarbeiten. Die Geschäftsführung der Raiffeisen Nachhaltigkeits-Initiative wird daher bis auf weiteres interimistisch von Justus Reichl aus dem ÖRV heraus übernommen.
Was können Sie Ihren Nachfolgern mitgeben? Welche Eigenschaften sollten diese mitbringen?
Sihn-Weber: Jeder hat seine eigenen Ideen und inhaltlichen Zugänge. Das ist auch gut so und damit kommt auch wieder ein frischer Wind hinein. Generell braucht es das Commitment, die Freude am Thema und die Begeisterung, Menschen dafür zu begeistern. Es ist wichtig, alle mitzunehmen. Wir müssen alle systemischer denken. Im Bewusstsein sind wir heute schon viel weiter als etwa noch vor zehn Jahren, jetzt geht es darum, wie können wir in allen unseren Unternehmen mit unserer Geschäftstätigkeit positiven Impact generieren und den negativen möglichst reduzieren. Was ist der Impact durch unsere Geschäftstätigkeit auf Umwelt und Gesellschaft? Damit muss man sich allumfassend beschäftigen, weil es da ganz starke Wechselwirkungen gibt. Man dreht an einem Schräubchen, um etwas Positives für das Klima zu generieren, dies könnte aber einen negativen Impact auf einen sozialen Aspekt haben. Dieses vernetzte, systemische Denken ist die Herausforderung für die Zukunft.
Raiffeisen heftet sich Nachhaltigkeit seit der Gründung auf die Fahnen. Wie glaubwürdig ist das aus Expertensicht?
Sihn-Weber: Die Wurzeln von Raiffeisen waren für mich immer ein persönlicher Treiber, vor allem diese in die Jetztzeit zu transferieren. Das fand ich immer extrem spannend und sinnstiftend. Nachhaltigkeit wird auch immer wichtiger für die Arbeitgeberattraktivität. Wir können jedenfalls glaubhaft darstellen, dass wir da schon viel tun und vieles gelungen ist. Der Stein ist ins Rollen gekommen, aber man kann und sollte noch mehr daraus machen.