Was waren die vorwiegenden Emotionen, als Sie vor zwei Wochen nach China abhoben, um sich auf den dortigen Weltcup-Start vorzubereiten? Vorfreude? Abschiedsschmerz? Dankbarkeit?
Andreas Prommegger: (lacht) Alles, was aufgezählt wurde, war dabei. Tatsächlich freue ich mich richtig darauf, endlich wieder Rennen zu fahren. Ich wusste, dass wir zum Saisonstart vier Wochen am Stück unterwegs sind, mit vielleicht einem Tag daheim zum Umpacken. Deswegen versäume ich die ganze Vorweihnachtszeit, das sehe ich mit einem weinenden Auge. Es überwiegt aber die Dankbarkeit. Es ist nicht selbstverständlich, dass ich immer noch so erfolgreich auf höchster Ebene Leistungssport betreiben darf. Ich sehe das als großes Privileg.
Sie haben an dieser Stelle mal erzählt, dass die Trennung von der Familie von Jahr zu Jahr schwieriger wird.
Prommegger: Das ist nach wie vor so, auch wenn es meine Kinder gar nicht anders kennen. Aber ich habe heuer so stark für das Snowboarden gebrannt, das war schon ein Unterschied zu den Jahren davor. Das hat sich durch die ganze Vorbereitung gezogen. Und jetzt freue ich mich, dass es wieder mit dem Weltcup losgeht.
Warum haben Sie mehr gebrannt als vorher?
Prommegger: Das hat mehrere Gründe. Zum einen hatte ich einen sehr schönen Sommer, hab mit der Familie viel Quality-Time genossen. Und es hat auch persönliche Gründe. Meine Frau ist 2020 an Brustkrebs erkrankt, ihr ging es lange nicht gut. Wenn ich da weggefahren bin, war es schwierig, sich voll auf den Sport zu konzentrieren. Wenn das Telefon geläutet hat, war immer die Angst dabei, dass etwas passiert sein könnte. Das haben wir Gott sei Dank überstanden, ich kann mich jetzt sorglos den Hang hinabstürzen.
Dazu kommt Ihre Routine aus mehr als 20 Jahren Weltcup.
Prommegger: So ist es! Ich muss nichts mehr erzwingen. Geht es gut, wunderbar, wenn nicht, ist auch nichts verloren. Alles kann – nichts muss. Das macht es einem leichter.
Sie sagen seit Jahren, dass Sie sich erst nach einer Saison entscheiden, ob Sie im nächsten Jahr wieder fahren wollen. Ist der Eindruck falsch, dass Sie diesmal schon früher wussten, dass Sie weitermachen?
Prommegger: Insgeheim schon, ja. Ich sage immer, dass ich es mir offenlasse, bis zum Schluss der Vorbereitung eigentlich. Kann ja sein, dass mich plötzlich das Training nicht mehr reizt oder ich spüre, dass das Feuer nicht mehr brennt oder ich nicht mehr konkurrenzfähig bin. Dann würde ich sofort Schluss machen. Aber ich habe diesmal früh gespürt, dass ich weitermache. Einen guten Zeitpunkt zum Aufhören gibt es ja nie, 2026 ist zum Beispiel Olympia in Cortina. Wäre ja irgendwie blöd, ausgerechnet das nicht mitzunehmen, nachdem ich vorher schon bei den Spielen in Sotschi, Korea oder Peking war.
Außerdem fehlt Ihnen die Olympia-Medaille noch, nachdem Sie sonst wirklich alles schon gewonnen haben.
Prommegger: Ja, aber das ist nicht mein Antrieb. Klar wäre es schön, eine zu gewinnen, aber das ist definitiv kein Ziel mehr. Ich habe so viel erlebt und erreicht, ich kann auch ohne Medaille auf eine schöne Karriere zurückblicken.
Rafael Nadal, Toni Kroos, Dominic Thiem, es gab einige prominente Sportler-Rücktritte in diesem Jahr. Haben Sie sich mal bei dem Gedanken ertappt: „Cool, die haben die Schinderei hinter sich“?
Prommegger: Nein, weil ich das Training, so hart es auch manchmal ist, nicht als Schinderei begreife. Mir macht es meistens Spaß. Ich bin natürlich oft in der Kraftkammer, fahre im Sommer aber genauso oft mit dem Mountainbike in den Bergen. Die sportmedizinischen Checks haben gezeigt, dass ich wahnsinnig gute Ausdauerwerte habe. Fettgehalt, Muskelmasse – alles ist besser denn je.
Woran liegt das?
Prommegger: Ich mache alles bedachter, bin konsequenter. Und wenn ich ehrlich bin, auch viel professioneller als früher. Das kommt auch daher, weil meine Frau durch ihre Krankheit sehr auf den Körper und die Ernährung achten musste, da habe ich mir etwas abgeschaut.
Sie sind seit der vergangenen Saison der älteste Weltmeister und der älteste Weltcup-Sieger, den es je bei einem FIS-Bewerb gab. Mit welchen sportlichen Ambitionen geht man dann in eine neue Saison?
Prommegger: Ich weiß, dass ich konkurrenzfähig bin, wenn ich am Start stehe – und das ist für mich das Wichtigste! Ich war in den letzten zehn, 15 Jahren immer unter den besten Fünf, Sechs, Sieben im Gesamt-Weltcup (Anm.: in der vergangenen Saison Zweiter), es gibt keinen anderen, der das so konstant geschafft hat. Ich muss nicht mehr sagen: Puh, ich muss unbedingt noch dieses oder jenes gewinnen. Auch wenn ich mich gegen eine Kristallkugel nicht wehren würde. Mein einziges Ziel ist, nicht zu übersehen, wenn ich irgendwann nicht mehr konkurrenzfähig sein sollte. (lacht) Nur eines muss ich im Blick haben …
Und zwar?
Prommegger: Der Roland Fischnaller aus Südtirol fährt ja auch immer noch im Weltcup mit und wäre jederzeit in der Lage, ein Rennen zu gewinnen. Der ist zwei Monate älter als ich und kann mir so meine ganzen Bestleistungen, bei denen ich der Älteste bin, wegschnappen. Aber Spaß beiseite: Eine Zeit lang fand ich diese Bestleistungen mit „Ältester“ immer komisch. Mittlerweile bin ich auch ein bisschen stolz drauf, weil man schon viel richtig machen muss, um mit den 20-Jährigen immer noch mithalten zu können.
Aktuell sind Sie in China, es gibt auch Rennen in Kanada und über ganz Europa verteilt. Gibt es ein Event, auf das Sie sich besonders freuen?
Prommegger: Ich finde die Rennen in Italien immer gut, vor allem das Nachtrennen in Cortina. Wenn du oben am Start stehst und die Silhouette der Dolomiten siehst, das ist sehr cool. Und natürlich mein Heimrennen in Bad Gastein, das ist natürlich ein großes Highlight. Aber auch unberechenbar, der Hang ist eine Wundertüte. Da kann ich aufs Podium fahren, aber auch das Finale verpassen. Atmosphärisch ist es aber genial.
Sie starten zum 15. Mal mit Raiffeisen als Partner in eine Saison, sind nicht nur einer der längstdienenden, sondern auch erfolgreichsten Sportler unter dem Giebelkreuz. Und es gibt ja nicht grad wenige …
Prommegger: Das ist für mich wirklich etwas Besonderes. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass du als Sportler – noch dazu in einer nicht gerade medial überrepräsentierten Sportart – solch einen starken Partner hast. Noch dazu steht Raiffeisen für Werte wie Treue oder Nachhaltigkeit, mit denen ich mich voll und ganz identifizieren kann. Von daher passt das schon wahnsinnig gut.