„Die EU muss aktiver werden“

Beim EU Sky Talk der RBI gab der deutsche Spitzendiplomat Christoph Heusgen Einblicke in die aktuelle Diskussion über eine neue Weltordnung.

Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mit Gastgeber und RBI-CEO Johann Strobl, Christoph Heusgen und Ex-Vizekanzler Wilhelm Molterer
Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mit Gastgeber und RBI-CEO Johann Strobl, Christoph Heusgen und Ex-Vizekanzler Wilhelm Molterer © Sabine Klimpt

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine bedeutet eine Zäsur auch für die internationale Weltordnung. Beim EU Sky Talk der Raiffeisen Bank International (RBI) analysierte der deutsche Diplomat Christoph Heusgen, der im Vorjahr den Vorsitz der Münchner Sicherheitskonferenz übernahm, ob auf globaler Ebene eine Rückkehr zu einer regelbasierten internationalen Ordnung realistisch oder utopisch sei. Dabei war er wenig optimistisch und mit einem Blick in die Vergangenheit auch selbstkritisch: „Wir haben zu lange an etwas geglaubt, an das wir glauben wollten“, sagte Heusgen, der viele Jahre die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angelika Merkel in außen- und sicherheitspolitischen Fragen beriet, mit einem Blick nach Europa. Die osteuropäischen Staaten warnten schon immer aufgrund ihrer historischen Erfahrungen mit Russland vor den Machtallüren des Kremls. Das sei in Westeuropa auch vor dem Hintergrund der Energieabhängigkeit nicht ausreichend beachtet worden.

Die russische Aggression gegen die Ukraine sei ein fundamentaler Bruch des Völkerrechts und ein Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen, betonte Heusgen. Zudem spreche erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg ein Land in Europa einem anderen das Existenzrecht ab. Daher sei es von besonderer Wichtigkeit, die Ukraine bei ihrer Verteidigung weiter zu unterstützen – auch damit das Recht des Stärkeren in den internationalen Beziehungen zum Durchbruch gelange, so Heusgen.

Krieg wird weiter anhalten

Aktuell sieht der deutsche Experte keinen Raum für Verhandlungen mit dem Kreml. Denn solange Russlands Präsident Wladimir Putin glaubt, dass er den angezettelten Krieg auch gewinnen könne, werde er sich nicht auf den Verhandlungstisch setzen, so der Diplomat. Darüber hinaus könne selbst für den Fall eines Waffenstillstandes oder Friedens niemand auf mögliche Sicherheitsgarantien Putins vertrauen. Und auf der anderen Seite sei es in dieser Situation für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelensky derzeit unmöglich, die Kampfhandlungen einzustellen. Zudem sei nach den Massakern der russischen Streitkräfte unter anderem in der ukrainischen Stadt Butscha der überwiegende Teil der ukrainischen Bevölkerung – laut Umfragen 90 Prozent – dafür, den Verteidigungskampf fortzusetzen. „Der Krieg wird daher weiter anhalten“, ist Heusgen überzeugt. 

Angesprochen darauf, ob westliche Unternehmen den russischen Markt verlassen sollten, meinte der Diplomat, dass er Sanktionen gegen Russland zwar befürworte, aber nicht glaube, dass alle Unternehmen das Land verlassen sollten. Er begründete dies auch damit, dass sich einfache russische Bürger vom Westen und Europa im Stich gelassen fühlen würden und sie weiter isoliert würden. Dies könnte die Spannungen weiter eskalieren lassen. 

Wie sich Russlands Politik nach der Ära Putin entwickeln werde, sei aus heutiger Sicht nur schwer prognostizierbar, zeigte heuer eine Expertendiskussion auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Heusgen wies aber darauf hin, dass Europa weiterhin Russland brauchen werde, etwa für die Rohstoffversorgung oder beim Klimaschutz.

China gewinnt an Boden

Die aktuelle Situation spiele vor allem der aufstrebenden Macht China in die Karten, die ihr Einflussgebiet global ausweitet. „Sie gewinnen an Boden – in Afrika, in Südasien und Lateinamerika – und wir verlieren zunehmend an Boden“, warnte der Diplomat. China nütze all seine Instrumente, um seine Interessen durchzusetzen. „Der Elefant im Raum ist China“, formulierte Heusgen. Daher sei auch klar, dass alle EU-Länder geopolitisch eine aktivere Rolle übernehmen müssten.