„Wandel ist kein Naturgesetz“

Die Welt enkelfähig gestalten und in der Wirtschaft über Liebe sprechen, das sind zwei Appelle, die Wirtschaftsphilosoph Anders Indset an die Teilnehmer des ESG Investment Days der Raiffeisen KAG richtete.

Die Raiffeisen KAG-Geschäftsführung, Rainer Schnabl, Mi­chal Kustra und Dieter Aigner freuten sich über das Impulsreferat von Anders Indset (2.v.r.)
Die Raiffeisen KAG-Geschäftsführung, Rainer Schnabl, Mi­chal Kustra und Dieter Aigner freuten sich über das Impulsreferat von Anders Indset (2.v.r.). (c) Raiffeisen KAG

„Krisen machen müde. Der Mensch wird untätig“, zu diesem Schluss kommt Anders Ind­set. Der Wirtschaftsphilosoph und Bestsellerautor, zuletzt mit seinem Buch „Das infizierte Denken“, reflektiert dabei auf die Pandemie, den Krieg und den Klimawandel. Es hätten sich die Menschen schon die vergangenen 50 Jahre in einer Selbstverständlichkeit gemütlich gemacht, die Krisenherde unserer Welt ausblendete. Zu Pandemiebeginn sei man kurz wachgerüttelt worden. Denn während der erste Lockdown von vielen noch als bereichernd empfunden wurde – Familie, Freunde und Nachbarn erlangten einen neuen Stellenwert, man lernte backen, Gitarre spielen oder konnte sich anderen Interessen widmen, die sonst zu kurz gekommen sind – seien die weiteren Lockdowns mehr und mehr von Trägheit geprägt gewesen. 

In einer Zeit multipler Krisen argumentiert Indset eindringlich für eine Neu- und Wiederentdeckung des Denkens. Ein Denken, das unsere Grundhaltungen hinterfragt und Veränderungen nicht nur zulässt, sondern begrüßt. „Wir müssen nicht nur das Widersprüchliche ertragen, sondern auch das Unbekannte“, so Indset. Menschen sollten sich von der Absolutheit und dem Denken in Schwarz und Weiß verabschieden und nicht darauf aus sein, immer recht zu haben. „Die Kunst, unrecht zu haben, ist verloren gegangen. Dabei ist die Wahrnehmung, sich zu irren, die Basis dafür, etwas zu lernen“, analysiert Indset. Nur wenn man der Welt gegenüber aufgeschlossen ist, habe man die Chance, eine „mit-menschliche Zukunft“ zu gestalten. 

„Wandel ist kein Naturgesetz. Der einzige Ausweg aus der Krise ist der positive Fortschritt“, philosophiert Anders. In der Wirtschaft liege dieser in der Enkelfähigkeit. Enkelfähig zu sein bedeutet, werteorientiert zu leben und das mit unternehmerischem Denken in Einklang zu bringen – eine Art Kapitalismus mit Mitgefühl. Enkelfähige Unternehmen bedienen sich neuer Technologien und nehmen zugleich Rücksicht auf globale und lokale Faktoren. Eine Verbundenheit über Generationen hinweg zwischen Mensch und Natur. Diese Idealsituation müsse mit Geschichten erzählt werden. „Wir müssen in der Wirtschaft über Liebe sprechen“, so Indset, denn „wir brauchen diesen positiven Anreiz, erst dann kommen die Menschen ins Tun“. 

Anders Indset bei den ESG Investment Days der Raiffeisen KAG
Anders Indset (c) Raiffeisen KAG

Indsets Betrachtungsweise ist bei Raiffeisen keineswegs neu: „Enkeltauglichkeit ist eine Grundphilosophie von Raiffeisen und Nachhaltigkeit steht in der DNA der Genossenschaft“, kommentiert Dieter Aigner, Geschäftsführer der Raiffeisen KAG, das Impulsreferat beim ESG Investment Day, zu dem rund 100 institutionelle Kunden aus dem In- und Ausland ins RBI-Headquarter am Stadtpark gekommen sind. Trotz der guten Basis ist für Aigner auch klar: „Wenn die Welt sich wandelt, bedeutet Stillstand Rückschritt.“ Sich von alten Selbstverständlichkeiten zu lösen, damit hat die Fondsgesellschaft ab 2013 intensiv begonnen, als man den Fokus auf nachhaltige Geldanlage gerichtet hat. Als eine der ersten Fondsgesellschaften hat die Raiffeisen KAG die UN Principles for Responsible Investment unterzeichnet und eine Abteilung für nachhaltiges Investment mit einem Team von zwei bis vier Personen – rund um Wolfgang Pinner – installiert. 

Vernetztes Denken

Das Thema Nachhaltigkeit hat bei der Raiffeisen KAG seither immer mehr Fahrt aufgenommen und die Umstellung der Produktpalette schreitet voran. Mittlerweile sind 50 Prozent der rund 42 Mrd. Euro Assets under Management nachhaltig veranlagt. Um dem Thema noch adäquater begegnen zu können, hat man im Vorjahr begonnen, auch die Fondsmanagement-Struktur umzustellen. „Die Welt der Nachhaltigkeit definiert man nicht nur einmal, sondern es ist notwendig, dass man sich laufend damit beschäftigt. Und wir beschäftigen uns jetzt im gesamten Fondsmanagement mit den Zukunftsthemen wie Energie, Gesundheit, Kreislaufwirtschaft, Rohstoffe, Infrastruktur, Sicherheit oder Technologie“, erklärt Aigner. Das vernetzte Denken in internen Teams auf Basis unterschiedlicher Daten sei notwendig, um sich eine Meinung zu einem Themengebiet zu bilden und diese dann in den Investmentprozess zu integrieren. „Wichtig für den Erfolg mit Nachhaltigkeit sind Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Beides kann man nur erreichen, wenn man konsequent und umfassend nachhaltige Entwicklungen und Prozesse verfolgt und vorantreibt – und zwar als gesamtes Unternehmen“, ist Aigner überzeugt. 

Entstanden sind daraus schon Policys, also Regelwerke zum Umgang mit Kohle und Nuklearenergie. In Zeiten wie diesen ist aber einmal mehr klar, „wir müssen unsere Policys laufend überarbeiten“, so Aigner. An der strikten Null-Atomenergie-Strategie wird die Raiffeisen KAG trotz oder gerade wegen aktueller Entwicklungen nichts ändern. Atomkraft wird weiterhin als nicht nachhaltig klassifiziert. Auch Kohle bleibt aufgrund der langfristigen Orientierung ein Ausschlusskriterium, ebenso wie beim Thema Rüstung sogenannte „kontroverse Waffen“. Allerdings habe der Krieg in der Ukraine schon auch zu einem Umdenken geführt, wie Wolfgang Pinner, Bereichsleiter Corporate Responsibility der Raiffeisen KAG, erklärt: „Ich sehe einen Paradigmenwechsel. Das Thema Verteidigung muss man heute anders werten als vor einigen Monaten.“ 

Stärkere Regulierung

„Werteentscheidungen werden immer wichtiger, aber viele Überlegungen kommen nicht nur aus der KAG heraus, sondern auch von EU-Ebene“, betont Dieter Aigner und auch institutionelle Kunden haben oft ihren eigenen Nachhaltigkeitsansatz. Die regulatorischen Anforderungen haben sich in den vergangenen Jahren jedenfalls stark verändert – Stichwort: EU-Taxonomie, Offenlegungsverordnung, die EU-Richtlinie MiFID 2 oder die nichtfinanzielle Berichterstattung. „Alle Themen sind mit hohem aufsichtsrechtlichen Risiko verbunden. Wir wollen nicht wegen Green Washing in der Zeitung stehen, deshalb haben wir einen vorsichtigeren Zugang gewählt“, erklärt Sabine Macha, Leiterin des Produktmanagements, weshalb die Raiffeisen KAG „nur“ zwei ihrer nachhaltigen Fonds nach dem strengeren Artikel 9 – der Fonds muss ein nachhaltiges Anlageziel verfolgen – eingestuft hat. Wichtig ist für Sabine Macha zu betonen, dass es sich bei den EU-Vorgaben um Transparenzregeln handelt und keine Produktregeln. Fakt ist, dass die Regeln laufend verschärft werden sollen, für die Produktmanagerin ein Dilemma: „Wir würden viel lieber über die ESG-Story sprechen und nicht nur immer über Regulatorik. Auch mit den Kunden müssen wir viel über Artikel 8 und 9 sprechen, das ist schade.“ Dem stimmt auch Rainer Schnabl, CEO der Raiffeisen KAG, zu: „Beim Thema Nachhaltigkeit geht es um Geschichten, aber wir verlieren uns in der Regulatorik. Wir müssen mit Themen umgehen, die diese Geschichte nicht mehr unterstützen. Wir würden uns alle wünschen, dass es nur eine Regulierung gibt.“ 

Wie komplex die Bewertung von Nachhaltigkeitsthemen ist, zeigt die Vielzahl an Gütesiegeln. ISS ESG ist eine der großen Rating­agenturen, die seit mehr als 30 Jahren Unternehmen auf nachhaltige Kriterien analysiert. Philipp Rühle, Executive Director von ISS ESG, geht von einer Standardisierung der Ratings und Gütesiegeln aus: „Wir rechnen mit einer gewissen Regulierung, aber wie die aussehen wird, wissen wir heute noch nicht.“ Verpflichtende Ansätze machen für ihn keinen Sinn und auch Wolfgang Pinner ist gegen eine Reduktion der Gütesiegeln: „Die mehrseitige Betrachtung eines Unternehmens ist wichtig und richtig.“ Für Pinner sollten die Positivkriterien jedenfalls mehr in den Mittelpunkt rücken und sich auch in Fonds thematisch wiederfinden. 

„Keine Sozialromantiker“

Das Vorantreiben nachhaltiger Entwicklungen auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene ist für Christiane Flehberger, Leiterin des institutionellen Geschäfts der Raiffeisen KAG, jedenfalls das Gebot der Stunde: „Eine Herkulesaufgabe, für die es uns alle braucht. Und ganz besonders braucht es die Finanzindustrie, Anleger, die ihr Kapital verantwortungsvoll investieren.“ Dabei unterstreicht Flehberger auch in Reaktion auf Anders Indsets Aussage: „Wir sind keine Sozialromantiker. Es muss auch die Performance stimmen, denn sonst hört sich irgendwann die Liebe auf.“

Den genauen Blick auf die einzelnen Produkte und Assetklassen richteten beim ESG Investment Day dann die Roundtables, bei denen die Teilnehmer in den Dialog mit den Kapitalmarktexperten der Raiffeisen KAG treten konnten. Łukasz Januszewski, Aufsichtsratsvorsitzender der Raiffeisen KAG und Vorstandsdirektor für Markt und Investment Banking der Raiffeisen Bank International, betonte abschließend, dass das Thema Nachhaltigkeit eine „Herzensangelegenheit“ sei, die sich aber auch konkret festmachen lässt. Die RBI hat 2021 als erste österreichische Bank die UN Principles for Responsible Banking unterzeichnet, die die Rolle des Bankensektors in Einklang mit den UN Sustainable Development Goals (SDGs) sowie dem Pariser Klimaabkommen bringt. Die Bank verpflichtet sich dadurch, das Thema Nachhaltigkeit in all ihren Geschäftsbereichen zu verankern und zu erkennen, wo ihr Potenzial liegt, um den größtmöglichen Beitrag für eine nachhaltige Welt zu leisten. „Für den RBI-Konzern ist Nachhaltigkeit ein Grundprinzip und ein Maßstab für den Unternehmenserfolg“, so Januszewski.